Walter Krämer "Es wird viel Schmu mit Zahlen betrieben"

Nur weil zwei Variablen in die gleiche Richtung laufen, bedeutet das keinen Zusammenhang: Wirtschaftsprofessor Walter Krämer über strategische Rechenfehler, Suggestivfragen und die plumpe Methodik von Armutsberichten.

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Walter Krämer ist Wirtschaftsprofessor in Dortmund. Quelle: Dominik Asbach für WirtschaftsWoche

Professor Krämer, sagt Ihnen der Name Darrell Huff etwas?

Selbstverständlich. Das war ein amerikanischer Publizist, der mit seinem Buch „How to lie with statistics“ erstmals die Tricks und Fallstricke bei der Interpretation von Zahlen analysiert hat – im Jahr 1954.

Hat sich seitdem beim Umgang mit Statistik etwas verändert?

Nein. Es fällt den Menschen ebenso schwer wie früher, mit Wahrscheinlichkeiten, Brüchen und Prozenten umzugehen. Das erleichtert es Politikern und Lobbyisten, mit Zahlen so zu jonglieren, dass eine gewünschte Aussage herauskommt. Die „Times“ hat einmal Bankkunden die Frage gestellt, was 40 Prozent seien und als mögliche Antworten vorgegeben: 4 von 10, einer von 40, einer von 25, vier von 100. Raten Sie mal, wie viel die richtige Antwort gegeben haben?

Zur Person

Keine Ahnung. 70 Prozent?

Weniger als die Hälfte! Ich fürchte, dass ebenso wenig Menschen den Unterschied zwischen Prozent und Prozentpunkt erklären können. Der ist aber wichtig. Bei Werten unter 100 ist das Wachstum in Prozentpunkten immer kleiner als in Prozent. Wenn ein Anteil von 50 auf 60 Prozent steigt, ist er um zehn Prozentpunkte gewachsen – aber um 20 Prozent. Wer Interesse an einer deutlichen Erhöhung hat, argumentiert mit der Prozentzahl.

Gibt es beim Umgang mit Statistik länderspezifische Unterschiede?

Zumindest beim Umgang mit Mathematik. Da sind wir Deutschen kein Vorbild. Im Bildungsbürgertum kann man auf einer Party sein Sozialprestige erhöhen, wenn man sagt: Ich hatte in Mathe eine Fünf. Dann wird verständnisvoll gelacht, und man kriegt ein Bier. In Frankreich wäre das undenkbar, da ist es sozial schädlich, als Mathe-Dilettant zu gelten.

Was sind die größten Fehler beim Umgang mit Statistik?

Ein beliebter Fehler ist es, Prozentzahlen zu addieren. Der US-Sender NBC hat einmal über Kriminalität in Chicago berichtet. Dort war die Zahl der Diebstähle um drei Prozent und die Zahl der Einbrüche um fünf Prozent gestiegen. NBC machte daraus einen Gesamtanstieg von acht Prozent. Quatsch! Beliebt ist auch in den Medien, bei mehrjährigen Tarifabschlüssen die Lohnzuwächse zu addieren. Wenn es zwei Prozent im ersten Jahr und ein Prozent im zweiten Jahr gibt, ist die Gesamterhöhung aber nicht drei Prozent – weil das Plus im zweiten Jahr auf den erhöhten Lohn erhoben wird. Eine Quelle grotesker Fehler sind ferner Hochrechnungen aus nicht repräsentativen Stichproben.

Optische Täuschung

Was meinen Sie damit?

Ein Beispiel: In Berlin haben Studenten eine Umfrage gemacht, was die Berliner für Hobbys haben. Als Nebenergebnis kam heraus: Jeder dritte Berliner ist Hausmeister. Warum? Die Studenten sind vormittags ausgeschwärmt, wenn die meisten bei der Arbeit sind, und haben vorzugsweise im Erdgeschoss von Mehrfamilienhäusern geklingelt. Wer saß da? Der Hausmeister.

Wie hoch ist die Gefahr, Korrelation mit Kausalität zu verwechseln?

Das ist ein zentraler Punkt. Wenn zwei Variablen in die gleiche Richtung laufen, muss nicht unbedingt ein kausaler Zusammenhang bestehen. Ein US-Wissenschaftler, der auf Risiken beim Umgang mit Statistik aufmerksam machen will, hat jüngst eine perfekte Korrelation der Ausgaben für Weltraumforschung mit Todesfällen durch Ersticken und Erhängen nachgewiesen. Häufig bilden sich auch aus purem Zufall regionale Cluster von allen möglichen Phänomenen. In den USA gibt es zum Beispiel eine Häufung von Leukämiefällen im Umkreis katholischer Kirchen.

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