Walter Krämer "Es wird viel Schmu mit Zahlen betrieben"

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"Umfragen von Interessengruppen in Eigenregie können Sie in den Papierkorb werfen"

Es gibt in der Statistik mehrere Möglichkeiten, einen Mittelwert zu errechnen. Spielt die Wahl eine Rolle für das Ergebnis?

Aber ja! Wenn eine Verteilung nicht symmetrisch oder glockenförmig ist, ist der sogenannte Median – der Wert, der eine Gruppe in zwei gleich große Hälften teilt – oft der bessere Mittelwert. Beim arithmetischen Mittel entstehen Verzerrungen, sobald es Ausreißer nach oben gibt, die den Durchschnitt erhöhen. Wenn in Brunei das durchschnittliche Einkommen bei 30.000 Euro liegt, geht das vor allem auf den märchenhaften Reichtum des Sultans zurück.

Inwiefern wird mit Statistik auch Politik gemacht?

Statistik lässt sich drehen und dehnen. Besonders manipulationsanfällig ist die Arbeitslosenquote. Die Niederlande etwa frisieren ihre Zahlen nach unten, indem sie viele Arbeitslose krankschreiben. Auch in der Umwelt- und Gesundheitspolitik wird ziemlich viel Schmu mit Zahlen betrieben. Die krassesten Fälle von Meinungsmache durch vermeintlich objektive Statistik sind die Armutsberichte, die suggerieren, die Deutschen würden verelenden.

Was stört Sie an den Berichten?

Die falsche Definition von Armut. Man verwechselt Armut mit Ungleichheit, das aber ist strikt zu trennen. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat. Diese Grenze ist erstens willkürlich und zweitens statistischer Unfug. Nehmen wir an, über Nacht würden sich alle Einkommen real verdoppeln. Die Armut bliebe dann laut Definition gleich – obwohl jeder Geringverdiener doppelt so viel Geld hat. Das Problem ist: Es gibt in Deutschland eine mächtige Armutslobby. Diverse Organisationen und Interessengruppen profitieren politisch und finanziell davon, wenn die Armut nicht sinkt.

Wie würden Sie denn Armut messen – wenn nicht über das Einkommen?

So, wie es der Nobelpreisträger Amartya Sen vorschlägt: Arm ist, wem Dinge fehlen, die für ein menschenwürdiges Leben nötig sind. Da muss man Kriterien entwickeln. Das kann vom Stromanschluss bis hin zum Zugang zur ärztlichen Versorgung reichen.

Halten Sie Studien generell für fragwürdig, die Interessengruppen in Auftrag geben?

Nicht, wenn die Studien von renommierten Instituten durchgeführt werden. Die haben einen Ruf zu verlieren. Was Sie in den Papierkorb werfen können, sind Umfragen von Interessengruppen in Eigenregie. Da wird gern durch Suggestivfragen das gewünschte Ergebnis herbeigezaubert.

In einer neuen Statistikserie erklärt die WirtschaftsWoche die Fallstricke im Umgang mit Zahlenkolonnen, Quoten und Umfragen – und beschreibt die Tricks der Manipulateure aus Politik, Wissenschaft und Interessengruppen.

Die empirische Wirtschaftsforschung zählt zu den Boomdisziplinen der VWL. Ist das trotz der Probleme beim Umgang mit Statistik ein guter Trend?

Ja. Empirisches Arbeiten ist in der VWL absolut notwendig. Wirtschaftstheorie ohne empirische Unterfütterung wäre Wissenschaft im Elfenbeinturm. Umgekehrt braucht die Empirie aber auch ein theoretisches Gerüst. Was nützt der Nachweis einer hübschen Korrelation von zwei Variablen, wenn ich nichts über mögliche Ursachen zu sagen weiß?

Inwiefern lässt sich bei empirischen Studien tricksen?

Sagen wir mal so: Es geht. Wenn man 1000 Datensätze hat, die nichts Auffälliges zeigen, nimmt man sich eben Teilmengen daraus vor. Auch über die Wahl der erklärenden Variablen lässt sich manches steuern. Es gab einmal die Schlagzeile, dass Langzeitstudenten mehr verdienen als Schnellstudierer. Stimmt auch. Das liegt aber allein an den Medizin- und Chemiestudenten, deren Studium per se länger dauert, deren Abschluss aber ein hohes Einkommen garantiert. Man hat bei der Interpretation der Daten die erklärende Variable Studienfach einfach weggelassen.

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