Walter Scheel – ein Nachruf Mann mit Mut

Walter Scheel ist tot: Der Liberale hat als Außenminister und Bundespräsident Maßstäbe gesetzt – und wurde doch oft verkannt. Ohne den lebenslustigen Freidemokraten wäre das alte Westdeutschland ein anderes Land gewesen.

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Der Alt-Bundespräsident – hier mit seiner Frau Barbara 2011 – starb im Alter von 97 Jahren. Quelle: dpa

München Er war der letzte der Offiziers-Frontgeneration aus dem Zweiten Weltkrieg, der nach 1945 in der Politik Karriere machte. Ein Kind des verworrenen wie dynamischen 20. Jahrhunderts, der es in der Bundesrepublik als Außenminister und Bundespräsident zu Bedeutung gebracht hat. Walter Scheel aber hat die Zeit im Militär zeitlebens nicht vergessen, die frühe Einberufung im September 1939, den entbehrungsreichen Russlandfeldzug 1941/42, die Flecktyphuserkrankung, den Dienst im Nachtgeschwader. 1942 wurde er Offizier und heiratete die Tochter eines Fabrikanten, was einen gesellschaftlichen Aufstieg für den Handwerkersohn aus Solingen bedeutete, der eine Banklehre gemacht hatte.

Walter Scheel ist in den Betrachtungen über die Jahrzehnte der Bonner Republik weniger präsent als Willy Brandt, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher oder auch Franz Josef Strauß. Das mag an der soignierten, großbürgerlichen Art gelegen haben, mit der sich der silberlockige Politiker mit seiner zweiten Frau Mildred Scheel als Präsident (1974-1979) inszenierte. Oder auch an einem gewissen Bruder-Leichtfuß-Image, weil der damalige Außenminister und FDP-Chef 1973 für Spendenzwecke das Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ mit zwei Düsseldorfer Männegesangsvereinen aufgenommen hatte. Die Schallplatte wurde tatsächlich ein Hitparadenerfolg. Das mag den frühen Polit-Entertainer stimuliert haben, 1987 die Pilotfolge der ZDF-Talkshow „Live“ zu moderieren.

Und doch wäre das alte Westdeutschland ohne den lebenslustigen Freidemokraten ein anderes Land gewesen. Es war Scheel, der nach der Bundestagswahl 1969 bei knappsten Mehrheitsverhältnissen auf eine Koalition mit der SPD drängte und dem Werben der CDU widerstand. Ein ähnliches Manöver hatte er ja schon in Nordrhein-Westfalen hinter sich, wo er in den 1950er-Jahren als Antreiber im Kreis der „Jung-Türken“ eine sozialliberale Koalition mit initiiert hatte.

Politik mit ökonomischen Bewusstsein

Scheel hatte sowohl ein Gespür für Machterhalt, was ihn als Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in zwei CDU-FDP-Bundeskabinetten (Adenauer, Erhard) im Amt beließ, als auch ein Gefühl für notwendige gesellschaftliche Reformen. Die leitete er mit Brandt ein. Scheel ist Mitautor der „Freiburger Thesen“ der FDP, die aus der Partei eine progressive Kraft machten. Seine historisch bleibende Tat ist eine Ostpolitik, die auf Entspannung und Verständigung setzte, nicht auf Eskalation des Kalten Krieges mit Russland und der DDR.

Wandel durch Annäherung, das gefiel dem durch und durch liberalen Wirtschaftsmann Scheel. Das interpretierte er als Wandel durch Handel. Schließlich hatte er nach dem Krieg als Geschäftsführer in der Industrie und in Verbänden gearbeitet. 1958 gründete Scheel dann mit Gerhard Kienbaum und Carl Zimmerer in Düsseldorf das auf Fusionen und Übernahmen spezialisierte Unternehmen Interfinanz. Aus dem Management stieg er 1961 aus, seinen 42-Prozent-Anteil gab er 1964 ab. Fortan machte er Politik mit ökonomischen Bewusstsein.

Scheel habe den Mut gehabt, „voranzugehen und den Gedanken der Sozialen Marktwirtschaft von Deutschland aus in die Welt hinauszutragen“, lobt der Hamburger Versandhaus-Unternehmer Michael Otto.
In den letzten Jahren lebte der an Demenz erkrankte Scheel in einem Pflegeheim in Bad Krozingen. Politische Schlagzeilen machte allenfalls noch mal Vorgänge aus der Kriegszeit. Der FDP-Politiker hatte seine NSDAP-Mitgliedschaft erst sehr spät eingeräumt, was eine unabhängige Historikerkommission 2010 kritisierte. Am Mittwoch ist Walter Scheel – der oft verkannte Gestalter einer liberalen Republik – im Alter von 97 Jahren nach schwerer Krankheit verstorben.

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