Walter Scheel ist tot Wie der Liberale zum Visionär wurde

Als Bundespräsident suchte Walter Scheel die Nähe zum Volk. Als Vizekanzler der Regierung Brandt unterschrieb er die Ostverträge. Im Kalten Krieg setzte der Liberale auf Entspannungspolitik – und wurde so zum Visionär.

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ARCHIV - Altbundespräsident Walter Scheel applaudiert am 14.11.2011 zu Beginn des Festakts zum 50. Jubiläum des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin. Foto: Hannibal/dpa (zu dpa «Alt-Bundespräsident Walter Scheel tot» vom 24.08.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Walter Scheel ist vielen als singender Bundespräsident in Erinnerung – „Hoch auf dem gelben Wagen“ war ein vor gut 40 Jahren hochpopulärer Schlager, der ihm Gold- und Platin-Schallplatten einbrachte. Vor allem aber war er politisch ein Schwergewicht, denn er legte den Grundstein für die Deutsche Einigung.

Mit dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) richtete der FDP-Mann in der sozialliberalen Koalition die deutsche Ostpolitik neu aus und initiierte so in Zeiten des Kalten Krieges eine richtungsweisende Entspannungspolitik. Nun ist der Visionär Scheel am Mittwoch im Alter von 97 Jahren im badischen Bad Krozingen gestorben – als dritter prominenter FDP-Politiker in diesem Jahr nach den Ex-Außenministern Guido Westerwelle und Hans-Dietrich Genscher.

In den 60er und 70er Jahren war er einer der populärsten und bedeutendsten deutschen Politiker – von 1969 bis 1974 Außenminister und Vizekanzler der von Brandt geführten SPD/FDP-Regierung, von 1974 bis 1979 dann Bundespräsident. Die FDP führte er als Vorsitzender von 1968 bis 1974, bis er Bundespräsident wurde. Im Ausland wurde Scheel zeitweise „Mister Bundesrepublik“ genannt.

"Unser Land ist ihm zu großem Dank verpflichtet"
Merkel Quelle: dpa
Bundespräsident Joachim Gauck Quelle: dpa
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CSU-Chef Horst Seehofer Quelle: dpa
Bundestagspräsident Norbert Lammert Quelle: AP
FDP-Chef Christian Lindner Quelle: dpa
Heiko Maas Quelle: REUTERS

Der zweifache Witwer Scheel lebte mit seiner dritten Ehefrau Barbara seit Anfang 2009 in Bad Krozingen bei Freiburg. Scheel war der letzte noch lebende Minister der Regierungen Konrad Adenauer und Ludwig Erhard (beide CDU). In den vergangenen Jahren hatte er sich, gesundheitlich angeschlagen und unter Demenz leidend, nur noch selten in der Öffentlichkeit gezeigt. Ein Streit über seine Pflege machte zuletzt Schlagzeilen.

Walter Scheel wurde am 8. Juli 1919 in Solingen als Sohn eines Stellmachers geboren. 1946 trat er in die FDP ein. Er machte eine bemerkenswerte politische Karriere. Der gelernte Bankkaufmann und Wirtschaftsberater war fast 25 Jahre lang Abgeordneter. Im Kabinett Adenauer war er der erste Entwicklungshilfeminister der Republik.

Scheel war auf dem Zenit seiner politischen Laufbahn das vierte Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland und nach Theodor Heuss der zweite und bislang letzte FDP-Politiker in diesem Amt. Seine fünfjährige Amtszeit wurde überschattet vom Höhepunkt der Terrorwelle der Rote Armee Fraktion (RAF). Auch als Bundespräsident setzte Scheel die von ihm mitinitiierte Entspannungspolitik fort: 1975 besuchte er als erstes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik die Sowjetunion.

Scheels Politik war umstritten

Die Weichen hatte er Jahre zuvor gestellt. An der Seite von Willy Brandt setzte Scheel als Außenminister die umstrittenen Ostverträge durch und vollzog damit eine Neuausrichtung. Annäherung war sein Ziel. Damals war diese neue Ostpolitik umstritten und wurde vor allem von CDU/CSU scharf bekämpft – heute wird sie als ein Grundstein angesehen für die Deutsche Einheit. „Willy Brandt konnte nur deshalb das Land verändern, weil er mit Walter Scheel einen kongenialen Partner hatte“, sagte der heutige SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier.

„Im Nachhinein liest sich der von mir unterzeichnete „Brief zur Deutschen Einheit“ wie das Drehbuch zur Wiedervereinigung“, erinnerte sich Scheel viele Jahre später. „1970 konnten wir das alles aber noch nicht absehen, da konnten wir alle nur Hoffnung und Vertrauen haben.“

Die deutschen Bundespräsidenten
Joachim Gauck (seit 2012)Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck wurde am 18. März 2012 mit einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent zum Bundespräsidenten gewählt. Er übernahm das Amt von seinem Vorgänger Christian Wulff, der nach nur 20 Monaten im Amt zurücktrat. Gauck, Jahrgang 1940, gehört keiner Partei an. Der Theologe und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde gilt als integer und redlich. Er ist der erste Ostdeutsche, der das höchste Staatsamt der Bundesrepublik bekleidet. Als wichtigste Aufgabe seiner Amtszeit verkündete Gauck in seiner Rede nach der Wahl, Regierung und Bevölkerung wieder näher zueinander bringen zu wollen. Im Februar 2017 wird er im Amt abgelöst. Quelle: dpa
Christian Wulff Quelle: dapd
Host Köhler Quelle: dpa
Johannes Rau Quelle: AP
Roman Herzog Quelle: AP
Richard von Weizsäcker Quelle: BPA
Karls Carstens Quelle: BPA

In Erinnerung blieb auch Scheels ausgeprägtes Redetalent. Der Liberale mit dem von Silberlöckchen umrahmten Kopf gab dem Amt des Bundespräsidenten rhetorischen Glanz, betonte gleichzeitig die Nähe zum Volk. Und er zeigte deutlich Repräsentationslust. Dies trug zu seiner Beliebtheit und Volksnähe bei, die er mit einem ungewöhnlichen musikalischen Erfolg 1973 krönte.

Das von Scheel 1973 gemeinsam mit einem Düsseldorfer Männerchor aufgenommene Volkslied „Hoch auf dem gelben Wagen“ stürmte die Hitparaden. Scheel bekam Gold für 300 000 verkaufte Platten, später Platin für eine Million Tonträger. Der Erlös kam sozialen Zwecken zugute. Das Lied wurde ein Leben lang zu Scheels Markenzeichen.

Seine politische Karriere bezeichnet er im Rückblick als „eine Mischung aus glücklicher Fügung und großem persönlichen Einsatz“. Auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident verzichtete er, weil sich CDU und CSU im Frühjahr 1979 auf Karl Carstens als Kandidaten einigten. Scheel wurde 1979 Ehrenvorsitzender der FDP. Für sie hatte er als Vorsitzender Anfang der 70er Jahre die „Freiburger Thesen“ mitentwickelt und den Liberalen ihr damaliges Reformprogramm gegeben.

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