Was heißt Freiheit? Eine unpolitische Besinnung auf das Wesentliche

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Ein grundlegendes Vorverständnis von Freiheit

Steuern, Mindestlöhne, Krankenversicherung, Mieten: Dem neuen Bundestag fehlt der wirtschaftliche Kompass. Der Liberalismus ist politisch mundtot. Die WirtschaftsWoche bietet der Freiheit ein neues Forum.


Wenn wir auf das grundlegende Vorverständnis von Freiheit schauen, stoßen wir zunächst auf die Eigentümlichkeit, dass Freiheit wesentlich offen zu verstehen ist. Freiheit ist zunächst die Abwesenheit von etwas, genauer gesagt, die Abwesenheit von Hindernissen. Erst in einem zweiten, weniger grundlegenden Sinn ist Freiheit konkret als etwas Bestimmtes gedacht. Machen wir uns dies am Beispiel einer harmlosen kleinen Geschichte klar: J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe erzählt, wie nach vielen wechselvollen Abenteuern der Hobbit Frodo und seine Gefährten in ihr geliebtes Auenland zurückkehren und es schrecklich verändert vorfinden. Sie führen eine Rebellion an, schlagen eine Schlacht und befreien das Auenland letzten Endes, was zum glücklichen Ausgang aller ihrer Abenteuer führt. Auf unsere Betrachtung gemünzt können wir nun folgende Frage stellen: Worüber freut sich jemand eigentlich, der sich ehrlich, selbstlos und unvoreingenommen mit den Auenländern über ihre neu gewonnene Freiheit freut? Über etwas ganz Konkretes? Darüber etwa, dass die Auenländer Willi Weißfuß erneut zum Bürgermeister wählen? Dass sie den Handel mit Bree aufnehmen? Dass sie wieder Tabak pflanzen? Sicher, über all dies mag man sich auch freuen. Wer sich aber wirklich ehrlich, selbstlos und unvoreingenommen über die Befreiung des Auenlandes freut, der freut sich im Kern darüber, dass die Auenländer nun tun und lassen können, was sie wollen. Und dies, ohne dabei etwas Bestimmtes im Auge zu haben. Das lässt tief blicken, denn es verrät uns etwas ganz Unverbildetes über unser grundlegendes Verständnis von Freiheit: Freiheit verstehen wir im Kern als offen. Sie wird ausgefüllt durch das, was diejenigen, die sie genießen, entsprechend dem, was immer sie wollen, daraus machen – und nicht dadurch, was sie nach den mehr oder weniger wohl gemeinten oder durchdachten Vorstellungen anderer daraus machen sollten.

In der Fachdiskussion hat man diese beiden Reden von Freiheit mit eigenen Vokabeln bedacht und von ihr als negativer oder positiver Freiheit gesprochen und als Freiheit von oder Freiheit zu. Diese Benennungen können hilfreich sein, häufig sind sie es aber nicht. Nicht selten verstellen sie bloß den Blick darauf, dass wir hier als Beschreibende lediglich unterschiedliche Perspektiven einnehmen: Wenn wir die Freiheit der Auenländer auf die erste („negative“) Weise preisen (z. B. „Freiheit von“ Saruman), dann unterlassen wir es, uns gleichzeitig dabei vorzustellen, was sie mit dieser Freiheit anstellen sollten. Wenn wir dies auf die zweite („positive“) Weise tun (z. B. „Freiheit zur“ Wahl von Willi Weißfuß), liefern wir eine Idee dazu gleich mit. Nicht also die Freiheit ändert sich – und deswegen gibt es auch nicht zwei Sorten von Freiheit –, es ändert sich lediglich die Zurückhaltung des Beobachters. Fehlende Selbstbeschränkung mit Blick darauf, was andere tun sollten, wird oft Paternalismus genannt. Man kennzeichnet sie damit als die Einstellung des (verantwortungsvollen) Vaters zum (unmündigen) Spross. Und dies macht verständlich, dass mindestens dort, wo sich die Parteien nicht zueinander verhalten wie Eltern und ihre Kinder, eine ehrliche, selbstlose und unvoreingenommene Rede von Freiheit mit einer gleich mitgelieferten inhaltlichen Zweckbestimmung, also einer paternalistischen Haltung, nicht vereinbar ist.

Auf einen weiteren Zug des grundlegenden Verständnisses von Freiheit sind wir unter der Hand bereits gestoßen. Freiheit ist wesentlich subjektiv zu verstehen. Was die Auenländer als Befreiung betrachten, hängt wesentlich davon ab, was sie wollen. Nur wenn sie (wie in der Geschichte) nicht von Saruman beherrscht werden wollen, ist die Beseitigung seiner Herrschaft wirklich eine Befreiung. Anders gesagt: Was jemandem ein Hindernis ist, entscheidet er für sich selbst, und zwar jeder einzelne und in jeder Situation erneut. Auch der Begriff des Hindernisses ist im Kern subjektiv. Und diese Bestimmung der Handlungsfreiheit, die eben auf ein unaufhebbar subjektives Element verweist, schlägt auf die Bestimmung politischer Freiheit durch. So geraten wir dazu, als zentralen Aspekt für das Verständnis der Freiheit den subjektiven Aspekt in den Blick zu nehmen, der uns als Akteure ganz grundlegend zum Handeln motiviert. Denn was jemand will, ist wohl das individuellste, spezifischste und subjektivste Element, das wir in Individuen überhaupt anerkennen können. Es ist kein Widerspruch, dass jemand etwas will, was kein anderer will oder wovon ihm gar alle abraten. Jeder fremde Verweis auf ein abweichendes eigenes Interesse bleibt notwendig paternalistisch, wie gut auch immer er gemeint ist. Vollkommen handlungsfrei ist, wer durch niemanden gehindert ist, zu tun, was er will. Und eine Gesellschaft ist im dem Maße mehr oder weniger frei, in dem ihre Mitglieder durch andere mehr oder weniger gehindert sind, zu tun, was sie wollen.

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