Beim Streit um die Freiheit geht es oft leidenschaftlich zu. Freunde der Freiheit beschwören nicht selten emphatisch ihre fundamentale Werthaftigkeit, Gegner der Freiheit kontern häufig mit Werten wie Gerechtigkeit oder Solidarität, um derentwillen die Freiheit einzuhegen sei. So bekenntnishaft dieser Streit auch oft geführt wird, es gibt in der Regel einen gemeinsamen Nenner, jedenfalls wenn die Kombattanten tatsächlich miteinander streiten und sich nicht bloß im Debattengetümmel verfehlen. Beginnen wir also mit der Beobachtung, dass auch Gegner der Freiheit diese Bezeichnung selten wirklich verdienen. Sie meinen in der Regel nur, dass die Freiheit, an der wir uns erfreuen, gelegentlich beschnitten werden darf oder gar muss, um Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität oder anderen gebührend Geltung zu verschaffen. Gegner der Freiheit sind sie nicht als solche. Sie sehen lediglich in Konkurrenz und haben dabei andere Präferenzen als diejenigen, die sich als Freunde der Freiheit verstehen. Diese wiederum, die Freunde der Freiheit, sind selten wirklich Gegner der Gerechtigkeit oder der Solidarität oder anderer entsprechender Güter. Auch für sie gilt häufig, dass sie die Freiheit in Konkurrenz sehen und dabei lediglich andere Präferenzen haben als diejenigen, mit denen sie streiten.
Warum wird diese grundlegende Gemeinsamkeit, wie diffus und verborgen sie auch sein mag, so selten auch nur ansatzweise sichtbar? Warum erleben wir die Debatte in der tagesaktuellen Diskussion oft als so polemisch, unversöhnlich oder gar hasserfüllt? Ein Grund liegt sicherlich darin, dass die real existierende Politik von der Zuspitzung lebt: Das Trennende muss sichtbar, den Wählern ein klares Profil präsentiert werden. Zudem ist Wahl hierzulande noch immer im wesentlichen Bekenntniswahl. Der Wechselwähler, der wohlabgewogen, ohne Vorbehalte und frei seine Entscheidung jedes Mal aufs Neue trifft, ist selten und ein schwer zu jagendes Wild. So ist es nur natürlich, dass die Umstände, unter denen hierzulande um politische Macht gerungen wird, die Debatte über das Politische ganz praktisch bestimmen. Das Trennende wird bekenntnishaft. Das gilt besonders für die Debatte um Freiheit: Die Freunde der Freiheit scharen sich bekenntnishaft um diese Fahne; ihre Gegner kontern mit nicht weniger weltanschaulicher Vehemenz.
Zu den Autoren
Michael Oliva Córdoba ist Wissenschaftlicher Koordinator des Fachbereichs Philosophie der Universität Hamburg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Sprachanalytischen Philosophie und der Handlungstheorie.
Rolf W. Puster ist Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Geschichte der Philosophie, Metaphysik, Sprach- und Religionsphilosophie sowie politischer Liberalismus und Libertarismus.
Die Politische Philosophie hat es sich weithin angewöhnt, aus diesem Sein ein Sollen zu folgern. In ihr genießt die Position große Popularität, dass es bestimmte Begriffe gibt, die nicht nur zufällig, sondern wesentlich umstritten sind: Man könne sie schon gar nicht verstehen, ohne dabei auf einer Seite eines kontroversen Feldes wertend Stellung zu nehmen. Klassische Beispiele sind die Begriffe der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit, aber auch und gerade der Begriff der Freiheit wäre in dieser Reihe kein Außenseiter. Sollte uns das aber wirklich kümmern? Die Doktrin der wesentlichen Umstrittenheit ist so, wie sie gemeint ist, letztlich widersprüchlich; sie demontiert sich selbst. Wenn man sie zu einem bloßen soziologischen Zwischenruf abmildert, verliert sich diese Inkonsistenz zwar, doch dann haben wir nicht mehr als eine ziemlich hochgegriffene These, die jedenfalls für eine begriffliche Untersuchung keine Hypothek darstellt.
Wesentliche Umstrittenheit gibt es also nicht, oder jedenfalls nicht in einem theoretisch anspruchsvollen Sinn. Dann aber ist es fahrlässig, die Diskussion so wichtiger Fragen wie etwa der Freiheit bloßem Lagerdenken zu überlassen. An irgendeiner Stelle, und warum nicht hier, sollten wir daher in die andere Richtung gehen und die diffuse und verborgene Gemeinsamkeit zwischen Freunden wie Gegnern der Freiheit suchen. Dass alles Bekenntnishafte dabei außen vor zu bleiben hat, versteht sich von selbst. Wir müssen uns aber in Erinnerung rufen, dass wir auch nicht bloß zufälligen Gemeinsamkeiten der tatsächlichen Debatte nachspüren dürfen: Ein gründlicher Blick auf die Freiheit legt idealerweise ihre Fundamente frei, also wesentliche Züge unseres Vorverständnisses oder wesentliche Züge dieses Begriffs.
Die unpolitische Besinnung auf das Wesentliche lebt von unseren vortheoretischen Intuitionen und von Begriffsbeleuchtungen, die man auf allen Seiten nachvollziehen kann, wenn man den Kern der Rede von Freiheit nicht verfehlt. Es erstaunt vielleicht, dass gerade ein Denker, der besonders vehement mit einer weltanschaulichen Ausprägung der Freiheitsidee in Verbindung gebracht wird, der österreichisch-amerikanische Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig von Mises, hier als Kronzeuge aufzurufen wäre: „Der Liberalismus ist keine abgeschlossene Lehre, er ist kein starres Dogma; er ist das Gegenteil von all dem: er ist die Anwendung der Lehren der Wissenschaft auf das gesellschaftliche Leben der Menschen.“ Ob Mises in seiner Behandlung der Freiheitsidee tatsächlich auf dem Weg der Wissenschaftlichkeit und Wertfreiheit geblieben ist, ist eine interessante Frage – mehr als gemeinhin vermutet wird, spricht dafür. Doch er hat mindestens das Leitbild vorbildlich formuliert, dass eine ideologiefreie Untersuchung der Freiheitsidee, wie sie hier in groben Zügen angedeutet werden soll, möglich und sinnvoll ist.
Ein grundlegendes Vorverständnis von Freiheit
Wenn wir auf das grundlegende Vorverständnis von Freiheit schauen, stoßen wir zunächst auf die Eigentümlichkeit, dass Freiheit wesentlich offen zu verstehen ist. Freiheit ist zunächst die Abwesenheit von etwas, genauer gesagt, die Abwesenheit von Hindernissen. Erst in einem zweiten, weniger grundlegenden Sinn ist Freiheit konkret als etwas Bestimmtes gedacht. Machen wir uns dies am Beispiel einer harmlosen kleinen Geschichte klar: J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe erzählt, wie nach vielen wechselvollen Abenteuern der Hobbit Frodo und seine Gefährten in ihr geliebtes Auenland zurückkehren und es schrecklich verändert vorfinden. Sie führen eine Rebellion an, schlagen eine Schlacht und befreien das Auenland letzten Endes, was zum glücklichen Ausgang aller ihrer Abenteuer führt. Auf unsere Betrachtung gemünzt können wir nun folgende Frage stellen: Worüber freut sich jemand eigentlich, der sich ehrlich, selbstlos und unvoreingenommen mit den Auenländern über ihre neu gewonnene Freiheit freut? Über etwas ganz Konkretes? Darüber etwa, dass die Auenländer Willi Weißfuß erneut zum Bürgermeister wählen? Dass sie den Handel mit Bree aufnehmen? Dass sie wieder Tabak pflanzen? Sicher, über all dies mag man sich auch freuen. Wer sich aber wirklich ehrlich, selbstlos und unvoreingenommen über die Befreiung des Auenlandes freut, der freut sich im Kern darüber, dass die Auenländer nun tun und lassen können, was sie wollen. Und dies, ohne dabei etwas Bestimmtes im Auge zu haben. Das lässt tief blicken, denn es verrät uns etwas ganz Unverbildetes über unser grundlegendes Verständnis von Freiheit: Freiheit verstehen wir im Kern als offen. Sie wird ausgefüllt durch das, was diejenigen, die sie genießen, entsprechend dem, was immer sie wollen, daraus machen – und nicht dadurch, was sie nach den mehr oder weniger wohl gemeinten oder durchdachten Vorstellungen anderer daraus machen sollten.
In der Fachdiskussion hat man diese beiden Reden von Freiheit mit eigenen Vokabeln bedacht und von ihr als negativer oder positiver Freiheit gesprochen und als Freiheit von oder Freiheit zu. Diese Benennungen können hilfreich sein, häufig sind sie es aber nicht. Nicht selten verstellen sie bloß den Blick darauf, dass wir hier als Beschreibende lediglich unterschiedliche Perspektiven einnehmen: Wenn wir die Freiheit der Auenländer auf die erste („negative“) Weise preisen (z. B. „Freiheit von“ Saruman), dann unterlassen wir es, uns gleichzeitig dabei vorzustellen, was sie mit dieser Freiheit anstellen sollten. Wenn wir dies auf die zweite („positive“) Weise tun (z. B. „Freiheit zur“ Wahl von Willi Weißfuß), liefern wir eine Idee dazu gleich mit. Nicht also die Freiheit ändert sich – und deswegen gibt es auch nicht zwei Sorten von Freiheit –, es ändert sich lediglich die Zurückhaltung des Beobachters. Fehlende Selbstbeschränkung mit Blick darauf, was andere tun sollten, wird oft Paternalismus genannt. Man kennzeichnet sie damit als die Einstellung des (verantwortungsvollen) Vaters zum (unmündigen) Spross. Und dies macht verständlich, dass mindestens dort, wo sich die Parteien nicht zueinander verhalten wie Eltern und ihre Kinder, eine ehrliche, selbstlose und unvoreingenommene Rede von Freiheit mit einer gleich mitgelieferten inhaltlichen Zweckbestimmung, also einer paternalistischen Haltung, nicht vereinbar ist.
Auf einen weiteren Zug des grundlegenden Verständnisses von Freiheit sind wir unter der Hand bereits gestoßen. Freiheit ist wesentlich subjektiv zu verstehen. Was die Auenländer als Befreiung betrachten, hängt wesentlich davon ab, was sie wollen. Nur wenn sie (wie in der Geschichte) nicht von Saruman beherrscht werden wollen, ist die Beseitigung seiner Herrschaft wirklich eine Befreiung. Anders gesagt: Was jemandem ein Hindernis ist, entscheidet er für sich selbst, und zwar jeder einzelne und in jeder Situation erneut. Auch der Begriff des Hindernisses ist im Kern subjektiv. Und diese Bestimmung der Handlungsfreiheit, die eben auf ein unaufhebbar subjektives Element verweist, schlägt auf die Bestimmung politischer Freiheit durch. So geraten wir dazu, als zentralen Aspekt für das Verständnis der Freiheit den subjektiven Aspekt in den Blick zu nehmen, der uns als Akteure ganz grundlegend zum Handeln motiviert. Denn was jemand will, ist wohl das individuellste, spezifischste und subjektivste Element, das wir in Individuen überhaupt anerkennen können. Es ist kein Widerspruch, dass jemand etwas will, was kein anderer will oder wovon ihm gar alle abraten. Jeder fremde Verweis auf ein abweichendes eigenes Interesse bleibt notwendig paternalistisch, wie gut auch immer er gemeint ist. Vollkommen handlungsfrei ist, wer durch niemanden gehindert ist, zu tun, was er will. Und eine Gesellschaft ist im dem Maße mehr oder weniger frei, in dem ihre Mitglieder durch andere mehr oder weniger gehindert sind, zu tun, was sie wollen.
Politische Freiheit
Politische Freiheit ist nichts anderes als Handlungsfreiheit auf eine große Leinwand übertragen. Kann politische Freiheit nun vollkommen sein? Das muss eine Utopie bleiben. Sie könnte es, wenn Handlungsfreiheit vollkommen sein könnte. Nur auf Robinson Crusoes einsamer Insel gibt es dazu eine Chance, doch gerade dort hat das Politische keinen Platz. Wo es dagegen einen Platz hat, wo also zwei oder mehr Akteure zusammenleben und sich nicht stets und vollständig aus dem Weg gehen können, kann Freiheit zwar sehr groß sein, vielleicht gar maximal, vollkommen aber nie. Denn es ist niemals ausgeschlossen, dass der eine Akteur etwas will, was durch das gewollte Tun des anderen verunmöglicht wird. Politische Freiheit kann also nicht vollkommen sein.
Kann politische Freiheit in einer Gesellschaft aber vollkommen fehlen? Auch das ist zum Glück eine Utopie. Politische Freiheit wäre vollständig abwesend, wenn in einer Gesellschaft kein Wollen jemals in ein Tun durchschlagen könnte. Aber in so einer Gesellschaft würde nie gehandelt, es gäbe keine Akteure, es wäre keine Gesellschaft. Mithin: Keine noch so große Einschränkung der politischen Freiheit ist je perfekt. Vielleicht ist dies mit Blick auf Gesellschaften, denen man den bleiernen Halskragen der Unterdrückung übergestreift sieht, ein gewisser Trost: Freiheit kann zwar minimal sein, vollkommen fehlen kann sie aber nicht.
Wie Handlungsfreiheit kennt politische Freiheit ein Mehr oder Minder. Um das „richtige“ Mehr und Minder dreht sich ein guter Teil des Streits zwischen den Lagern. Doch auch ohne uns hier normativ zu positionieren, können wir weiterkommen: Die Besinnung auf das Wesentliche an der Freiheit hält noch einige überraschende Selbstverständlichkeiten bereit.
Freiheit ist offen und subjektiv zu verstehen. Können wir dem Blick auf die Fundamente eines grundlegenden Verständnisses noch mehr entnehmen? Ein wichtiger Gedanke liegt zum Greifen nahe. Wir müssen uns ihm lediglich über einen kurzen Umweg nähern. Werfen wir dazu folgende Fragen auf: Gibt es absolut oder objektiv Gutes? Gibt es absolute oder objektive Gründe? In ihrer Allgemeinheit sind diese Fragen nicht zu beantworten, wir kommen einer Antwort aber näher, wenn wir sie unter einem bestimmten, naheliegenden Aspekt betrachten, dem Aspekt des Handelns. Schließlich strebt jedes Handeln einem klassischen Verständnis zufolge nach irgendeinem Gut, und Gründe sind mindestens auch, wenn nicht gar vornehmlich, dasjenige, was uns ein Handeln erst verständlich macht.
Aus der Perspektive der Theorie des Handelns betrachtet, stellt sich die Überlegung nun so dar: Nehmen wir einmal an, es gäbe absolut oder objektiv Gutes bzw. absolute oder objektive Gründe. Was würden sie ausrichten? Anscheinend gar nichts. Damit ein bestimmtes Gut dasjenige ist, was ein Akteur anstrebt, muss es ihm subjektiv erstrebenswert erscheinen. Und dazu ist weder notwendig noch hinreichend, dass es absolut oder objektiv ist. Ebenso im Fall von Gründen. Um zu verstehen, warum ein bestimmter Akteur eine bestimmte Handlung vollzogen hat, müssen wir verstehen, welcher Grund ihm subjektiv zureichend erschien. Und wieder ist weder notwendig noch hinreichend, dass der Grund, aus dem er es tat, absolut oder objektiv ist. Anders gesagt: Selbst wenn es z. Β. ein absolutes Gut oder ein objektiver Grund wäre, die Welt von Ungläubigen zu befreien, würde daraus noch immer nicht folgen, dass es jedem subjektiv auch so erscheinen müsste. Nur darauf kommt es für das einzelne Handeln aber an.
Die Annahme absoluter oder objektiver Güter oder Gründe ist ein leer drehendes Rad. Handlungsmotivation ist wesentlich und unaufhebbar subjektiv. Jede korrekte Handlungserklärung erbt dieses subjektive Moment. In einer klassischen Formulierung: „Eine Handlung wird durch einen Grund nur dann [erklärt], wenn er uns etwas an der Handlung der ausführenden Person erkennen lässt, was der Betreffende selbst darin gesehen bzw. zu sehen geglaubt hat.“ Die Annahme absoluter oder objektiver Gründe oder Güter richtet also letztlich gar nichts aus: Damit absolute oder objektive Güter oder Gründe unser Handeln motivierten, gleich ob das Handeln des Einzelnen oder vieler oder der ganzen Gesellschaft, müssten sie jeweils zu subjektiven Gründen oder Gütern werden. Dazu bieten objektive oder absolute Güter oder Gründe aber weder Gewähr, noch sind sie dafür erforderlich. Damit haben wir einen klassischen Fall für das berühmte Ockhamsche Rasiermesser: Der Scholastiker William von Ockham lehrte ja, dass man in einer Theorie keine unnötigen Annahmen machen oder unnötige Gegenstände einführen solle. Absolute oder objektive Gründe oder Güter sind ein Paradebeispiel. Zum Verständnis des Handelns, der Handlungsfreiheit und der politi-schen Freiheit leisten sie keinen Beitrag. Sie tun bestenfalls so.
Wer seine Gründe oder Güter als absolut oder objektiv auszeichnet, der gibt vor, die wesentliche und unaufhebbare Subjektivität der Handlungsmotivation abstreifen zu können. Er gibt sich als Autorität aus, wo doch nur sein eigenes Wollen regiert. Ein echtes Verständnis von Freiheit ist solchen Schachzügen entgegengesetzt, Freiheit ist in diesem Sinne wesentlich antiautoritär. Der Appell an Autorität, das Bestehen auf (vorgeblich) objektiven oder absoluten Perspektiven, bezweckt ja kaum je eine nüchterne und bloß deskriptive Beschreibung dessen, wie die Dinge sind. Er dient gerade in der politischen Diskussion als Argument dafür, wie die Dinge sein sollten. Wer in diesem Sinne an Autorität appelliert, will dafür sorgen, dass andere tun, was er will. Er reklamiert für das eigene Wollen einen Vorrang vor dem Wollen anderer. Aber wo sich die Parteien nicht zueinander verhalten wie Eltern zu ihren Kindern, hat ein solcher Vorrang kein sachliches Fundament. Er ist bloß erschlichen.
Was das Fehlen und was das Vorhandensein von Freiheit bedeutet
Der antiautoritäre Zug des grundlegenden Freiheitsverständnisses ist nicht unwichtig. Schon bei oberflächlicher Betrachtung ist der politischen Diskussion ja anzusehen, dass häufig unter Verweis auf objektive Gründe oder Güter argumentiert wird. Nicht selten wirkt sich dies auch ganz praktisch aus: Mein gewolltes Tun wird unter Verweis auf absolute oder objektive Gründe durchkreuzt. Diese Einschränkung meiner Handlungsfreiheit, diese Einschränkung politischer Freiheit, wiegt dadurch nur umso schwerer, dass sich das subjektive Wollen des Eingreifenden maskiert und in das Gewand des Absoluten oder Objektiven kleidet.
Ein weiterer Aspekt gehört in diesen Zusammenhang: Die Freiheitseinschränkung unter Verweis auf vermeintlich Absolutes oder Objektives wird der Sache nach nicht dadurch berührt, ob auf Seiten des Eingreifenden viel oder wenig Wohlwollen vorhanden ist. Sie ändert sich auch nicht prinzipiell, sondern höchstens in ihrer Intensität, mit dem Maß an Zwangsmitteln, die ihm zu Gebote stehen. Gibt dies aber nicht zumindest dann zu denken, wenn die Zwangsmittel besonders groß sind? Dieser Gedanke bringt unweigerlich den Staat ins Spiel. Wie keine andere auf die Gesellschaft wirkende Instanz ist er in der Lage, in das Leben der Einzelnen einzugreifen. Und tatsächlich, wenn wir auf staatliche und staatsnahe Einrichtungen zur politischen Bildung, zum Rundfunk, zum Schulwesen und zur Hochschulbildung schauen, ist eines zu bemerken: Zwar sind Ziel und Gründe einer staatsbürgerlichen Erziehung und Prägung de facto von Wohlwollen und guten Absichten geprägt (und insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verständlich), ein prinzipieller Unterschied zu einem Handeln, das mit Autorität die Absolutheit oder Objektivität bestimmter Güter oder Gründe vermittelt sehen möchte, besteht jedoch nicht. Zudem können dieselben Strukturen, die dazu dienen, Bürger zu aufrechten und kritischen Staatsbürgern zu erziehen, ganz leicht dazu verwendet werden, um sie zu etwas ganz anderem zu formen. Ein echtes Verständnis von Freiheit, das eben grundsätzlich antiautoritär ist, nimmt nicht zuletzt aus diesen Gründen auch staatliche Autorität nicht von seiner natürlichen Skepsis aus.
Man sieht: Unser grundlegendes Freiheitsverständnis fördert eigentlich nur Selbstverständlichkeiten zutage; andererseits vermögen diese Platitüden doch ein Stück weit zu überraschen. Dies gilt möglicherweise auch für zwei weitere Züge des Freiheitsbegriffes, die nun kurz in den Blick genommen sollen.
Ein einsamer Akteur wie Robinson kann tun, was er will. Da er alleine ist, ist seine Freiheit vollkommen und ungefährdet. Offenbar ist seine Einsamkeit der Preis für eine stabile und unüberbietbare Freiheit. Dass selbst glühende Freiheitsfreunde wohl nicht mit Robinson tauschen würden, liegt sicherlich zum einen an der Horrorvorstellung jahrzehntelangen Alleinseins. Es gibt aber noch einen zweiten, nicht minder schwerwiegenden Grund: Robinson ist ganz auf sich gestellt. Wenn er in den naturgegebenen Lauf der Dinge handelnd eingreifen will, ziehen seine beschränkten Kräfte dem, was er tun kann, enge Grenzen. Ohne die Aussicht auf Mitwirkung anderer Akteure bleiben Robinsons Möglichkeiten weit hinter denen zurück, die selbst den Mitgliedern ganz unfreier Gesellschaften offen stünden.
In der vollkommenen Freiheit Robinsons können wir ungehindert alles tun, was wir wollen. In der unvollkommenen Freiheit einer Gesellschaft hingegen sind die Aussichten hoch, dass wir zwar weniger tun können, als wir wollen, aber absolut gesehen immer noch mehr, als wenn wir mit Robinson tauschten. Denn wenn es uns gelingt, die Dienste anderer für unsere eigenen Ziele einzusetzen, können wir unsere Ziele höher und weiter stecken, als wenn wir auf unser eigenes, einsames Tun angewiesen bleiben.
Offenbar gibt es nur zwei Konstellationen, in denen Akteure die Dienste anderer für ihre eigenen Ziele einsetzen können. Im einen, dem konfrontativen Fall gelingt es dem einen Akteur, die ihm genehmen Dienste des anderen zu erzwingen. In diesem Fall werden die Ziele des einen auf Kosten des anderen erreicht, und der erzwungene Dienst ist für die Ziele des Gezwungenen verloren. Im anderen, dem kooperativen Fall gelingt es beiden Akteuren, durch wechselseitigen Tausch von Diensten ihre jeweiligen Ziele mit Hilfe des Tauschpartners zu erreichen. In diesem Fall gibt es nur Gewinner und keine Verlierer. Jeder erbrachte Dienst trägt doppelt Früchte: Er fördert direkt das Ziel des Partners und indirekt – aufgrund des vereinbarten Tauschs – das je eigene Ziel.
Der Vergleich beider Fälle ist aufschlussreich. Er führt nämlich vor Augen, was das Fehlen und was das Vorhandensein von Freiheit bedeutet. Wo Freiheit fehlt und Zwang herrscht, dort zählt das, was der eine will, mehr als das, was der andere will. Das mit Macht ausgestattete Wollen kann das ohnmächtige Wollen beugen. Die Ziele des Befehlenden gedeihen, die Ziele des Gehorchenden verdorren. Wo Freiheit fehlt, beansprucht das Wollen des einen Vorrang vor dem des anderen. Aber wo Freiheit herrscht, tritt ein Wollen dem anderen gleichberechtigt gegenüber. Freiheit, können wir sagen, ist wesentlich egalitär.
Wer im Rahmen einer Gesellschaft möglichst viele seiner Ziele verwirklichen möchte, ist an einer Gesellschaft interessiert, in der ihn niemand gegen seinen Willen in die Position des Gehorchenden drängen kann. Dieses Interesse ist schon seinem Kern nach das Interesse an einer freien Gesellschaft. Freie Gesellschaften sind in dem Sinne egalitär, dass in ihnen jedes „freundliche“ Wollen, d. h. jedes, das nicht auf die Beugung fremden Wollens ausgeht, gleich viel zählt. Die Freiheit einer Gesellschaft ist ohne diese Gleichheit keine Freiheit.
Wohlverstandene Freiheit ist wesentlich tolerant
Dies verdeutlicht einen letzten Punkt, an dem wir nicht vorbeigehen können. Schauen wir dazu einmal nur auf „freundliches“ Wollen. Welches davon sollte in der Gesellschaft zum Zuge kommen? Welcher dieser Akteure sollte sich durchsetzen? Wohlverstandener Freiheit gilt das Wollen aller Akteure gleich. Sie enthält sich eines differenzierenden (und damit diskriminierenden) Urteils. Weder stellt sie das eigene Wollen über das Wollen anderer, noch bevorzugt sie das, was die einen wollen, gegenüber dem, was die anderen wollen. Wir können das so ausdrücken: Wohlverstandene Freiheit ist wesentlich tolerant.
Vielleicht ist dieser letzte Aspekt an der Freiheitsidee derjenige, den man am ehesten zugleich anerkennen und doch missachten kann. Dies würde verständlich machen, warum menschliche Gesellschaften regelmäßig Konventionen finden, die hier Abhilfe schaffen sollen. Um die Möglichkeit eines allseitigen und möglichst unbehinderten Wollens sicherzustellen, muss ja jede Dominanz unterbunden werden, die nicht freiwillig eingeräumt wird. Darin kann man die eigentliche Aufgabe des Rechts und seiner Durchsetzung sehen. Unabhängig von allen religiösen oder metaphysischen Quellen, die man für das Recht und seine Geltung so oft bemüht hat, ist das Recht so verstanden seiner Anlage nach wesentlich ein Werkzeug zur Sicherung der Freiheit.
Trotz mancher historischer Ausnahmen (z.B. im mittelalterlichen Island) gilt die Durchsetzung des Rechts als klassische Aufgabe des Staates. Die Geschichte spricht nicht unbedingt dafür, dass diese Aufgabe bei ihm immer in den besten Händen war. Der zur Rechtsdurchsetzung erforderliche, eigentlich schmale Zwangsapparat ist schnell um - und ausgebaut. Er eignet sich dann leider auch zu inhumanen Zwecken bis hin zu totalitärer Repression. Ob es demokratischer Machtkontrolle gelingt, dieses Gruselkabinett verschlossen zu halten, ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Setzt man diese Bedenken aber einmal beiseite, dann hätte der Staat mit der Rechtsdurchsetzung jedenfalls ein Betätigungsfeld, das im Interessensschnittpunkt aller Akteure liegt. Schließlich handeln Akteure. Damit bauen sie darauf, dass die dafür nötige Freiheit gesichert ist. Weil jedoch der egalitäre Zug der Freiheit die Privilegierung jedes Wollens ausschließt, ist Rechtsdurchsetzung als Freiheitssicherung eine Aufgabe, die im Gegensatz zu jeder sonst bekannten politischen Agenda steht. Wer politische Macht erringt, sieht sich ja geradezu dazu aufgerufen, zu „gestalten“, also für die Durchsetzung eines bestimmten Wollens zu sorgen.
Politik erleben wir daher als Erzwingung ungewollten Tuns, als Verhinderung gewollter Kooperation, als Umverteilung (von oben nach unten und von unten nach oben) sowie als Autorität beanspruchende, monopolistische Inanspruchnahme unbestreitbaren Wissens über das, was uns in allen Lebensbereichen nutzt und frommt. Könnte jeder von uns (in einer mit dem Wollen anderer verträglichen Weise) tun, was er will, wären wir also so frei, wie man es in einer Gesellschaft sein kann, dann gäbe es schwerlich noch eine Politik, wie wir sie real erfahren. Die reale Politik scheint davon zu leben, dass wir die Inkonsequenz nicht bemerken, mit der wir einerseits durch unser tägliches Handeln auf die Hindernisfreiheit setzen und andererseits regelmäßig Politiker beauftragen, die Hindernisse für Handlungserfolge errichten.
Hier ein ganz grundlegendes Verständnis von Freiheit in Anschlag zu bringen, bedeutet, ganz unpolitisch auf solche Inkonsequenzen aufmerksam zu machen. Indem man darauf hinweist, dass unzählige Verbote und bürokratische Regulierungen von den Bürgern als Hindernisse empfunden werden, das zu tun, was sie wollen, beschwört man keinen „Wert“ herauf oder redet einer besonderen Weltanschauung namens Liberalismus das Wort. Man erinnert lediglich daran, dass wir die Gesellschaft, also die den Kreis familiärer Bindungen überschreitende Gegenwart anderer Menschen, mutmaßlich deshalb hinnehmen, weil die in ihr schlummernden Kooperationsmöglichkeiten uns Handlungserfolge verheißen, die wir ansonsten nicht erzielen könnten. Zudem macht vermutlich schon die Aussicht auf künftige Kooperation toleranter, friedfertiger, kompromissbereiter und solidarischer, als wir es ohne sie wären.
Wenn wir also auf das ganz grundlegende Verständnis von Freiheit schauen, sehen wir: In diesem Sinne ist jeder Akteur ein Freund der Freiheit. Daran zu erinnern, ist kein Werben für blinde Ichsucht. Man trägt so im Gegenteil der Einsicht Rechnung, dass eine Gesellschaft ohne Freiheit zerfällt: Je stärker mein Handlungsradius durch Politik eingeschränkt wird, desto weniger bin ich ein attraktiver Kooperationspartner. Wenn das für Millionen von Akteuren gilt, dann unterminiert Politik den sozialen Zusammenhalt, ganz gleich, mit wie brüderlicher Worten sie dies tut.
Eine gerechte Gesellschaft
Kehren wir an den Ausgangspunkt zurück: Die Besinnung auf unsere vortheoretische Rede von Freiheit förderte wesentliche Züge zutage, an denen wir nicht vorbeigehen können, ohne das Verständnis von Freiheit im Kern zu verfehlen. Freiheit ist wesentlich offen, subjektiv, antiautoritär, egalitär und tolerant. Mit dieser Feststellung verlassen wir nicht das Terrain, auf dem Gegner und Freunde der Freiheit streiten, im Gegenteil: wir kartographieren es. Anders als Freunde und Gegner der Freiheit es tun, gibt man mit diesen Überlegungen keine politische Stellungnahme ab. Die Überlegungen waren zudem nirgends auf Normatives angewiesen, sondern haben zur deskriptiven Eingrenzung dessen beigetragen, wovon in der Politik und der Politischen Philosophie gehandelt wird.
Und doch kann sich ein schrecklicher Verdacht einstellen: Wäre eine Gesellschaft, in der wohlverstandene Freiheit bestünde, nicht ein furchterregend asoziales, ungerechtes und unsolidarisches Gebilde? Die Untersuchung hat hoffentlich gezeigt, dass sich die Verdachtsfrage so pauschal nicht gut beantworten lässt. Es käme darauf an, zu identifizieren, was jemand will, der hier Grund zum Zweifeln sieht. Der objektive Anspruch, den man hier spürt, steht letztlich doch nur für Gründe, die einem oder vielen jeweils für sich einleuchten. So werden wir aber den Streit um Sichtweisen nicht los, und nichts spricht dafür, dass er befriedend mit Gewalt zu entscheiden wäre.
Wenn wir uns aber an einfache Einsichten unserer Überlegungen erinnern, lässt sich der Generalverdacht auch ohne Kenntnis der spezifischen Standpunkte zurückweisen. Denken wir daran: Eine Gesellschaft, in der wohlverstandene Freiheit bestünde, wäre eine, in der niemand irgendetwas erzwingen könnte. Kooperation wäre der einzige Weg, wie man sich der Dienste anderer vergewissern könnte. Was man nicht allein erreichen könnte, wäre nur zu bewerkstelligen, indem auch andere davon profitierten. Kooperation aber ist, wie wir wissen, ein Wiederholungsspiel. Wer meint, sie ausnutzen zu können, findet sich sehr bald ohne Kooperationspartner wieder. Er wird ein ohnmächtiger Robinson in einem Meer verschlossener Handlungsmöglichkeiten. Zugleich stehen diese Möglichkeiten allen anderen offen, die auf diese Weise von der Solidarität untereinander und ihrer sozialen Einstellung profitieren. Ist das gerecht? Zunächst wird man es nicht gut als asozial und unsolidarisch bezeichnen können. Schon dies enttarnt das Furchterregende der Vorstellung als Desinformation.
Aber noch einmal: Ist eine solche Gesellschaft wirklich gerecht? Auf das Bohrende an dieser Frageweise kann man sich nicht einlassen, ohne selbst einen normativen Standpunkt einzunehmen. Spätestens hier schwenken auch die langmütigsten Freunde der Freiheit oft wieder auf Bekenntnisse ein. Doch auch hier hilft die unpolitische Besinnung auf das Wesentliche. Die Vorstellung einer gerechten Gesellschaft, in der es keine Freiheit gibt, ist sichtlich inkohärent. Wenn wir also erkennen, dass es Gerechtigkeit wohlverstanden nur dort geben kann, wo es wohlverstandene Freiheit gibt, sehen wir, dass hier nichts zurückzunehmen ist. Gerechtigkeit gibt es nur dort, wo die Gesellschaft offen, subjektiv, antiautoritär, egalitär und tolerant ist. Nur wer die eigene politische Agenda über das vielfältige Wollen aller anderen stellt, kann es sich leisten, sich dieser Einsicht zu verschließen.