Was heißt Freiheit? Eine unpolitische Besinnung auf das Wesentliche

Viel und leidenschaftlich wird über die Freiheit gesprochen. Doch was heißt das eigentlich? Einige Überlegungen zur wohlverstandenen Freiheit von den Philosophen Michael Oliva Córdoba und Rolf W. Puster.

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Freiheitsstatue Quelle: AP

Beim Streit um die Freiheit geht es oft leidenschaftlich zu. Freunde der Freiheit beschwören nicht selten emphatisch ihre fundamentale Werthaftigkeit, Gegner der Freiheit kontern häufig mit Werten wie Gerechtigkeit oder Solidarität, um derentwillen die Freiheit einzuhegen sei. So bekenntnishaft dieser Streit auch oft geführt wird, es gibt in der Regel einen gemeinsamen Nenner, jedenfalls wenn die Kombattanten tatsächlich miteinander streiten und sich nicht bloß im Debattengetümmel verfehlen. Beginnen wir also mit der Beobachtung, dass auch Gegner der Freiheit diese Bezeichnung selten wirklich verdienen. Sie meinen in der Regel nur, dass die Freiheit, an der wir uns erfreuen, gelegentlich beschnitten werden darf oder gar muss, um Gütern wie Gerechtigkeit, Solidarität oder anderen gebührend Geltung zu verschaffen. Gegner der Freiheit sind sie nicht als solche. Sie sehen lediglich in Konkurrenz und haben dabei andere Präferenzen als diejenigen, die sich als Freunde der Freiheit verstehen. Diese wiederum, die Freunde der Freiheit, sind selten wirklich Gegner der Gerechtigkeit oder der Solidarität oder anderer entsprechender Güter. Auch für sie gilt häufig, dass sie die Freiheit in Konkurrenz sehen und dabei lediglich andere Präferenzen haben als diejenigen, mit denen sie streiten.

Warum wird diese grundlegende Gemeinsamkeit, wie diffus und verborgen sie auch sein mag, so selten auch nur ansatzweise sichtbar? Warum erleben wir die Debatte in der tagesaktuellen Diskussion oft als so polemisch, unversöhnlich oder gar hasserfüllt? Ein Grund liegt sicherlich darin, dass die real existierende Politik von der Zuspitzung lebt: Das Trennende muss sichtbar, den Wählern ein klares Profil präsentiert werden. Zudem ist Wahl hierzulande noch immer im wesentlichen Bekenntniswahl. Der Wechselwähler, der wohlabgewogen, ohne Vorbehalte und frei seine Entscheidung jedes Mal aufs Neue trifft, ist selten und ein schwer zu jagendes Wild. So ist es nur natürlich, dass die Umstände, unter denen hierzulande um politische Macht gerungen wird, die Debatte über das Politische ganz praktisch bestimmen. Das Trennende wird bekenntnishaft. Das gilt besonders für die Debatte um Freiheit: Die Freunde der Freiheit scharen sich bekenntnishaft um diese Fahne; ihre Gegner kontern mit nicht weniger weltanschaulicher Vehemenz.

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Die Politische Philosophie hat es sich weithin angewöhnt, aus diesem Sein ein Sollen zu folgern. In ihr genießt die Position große Popularität, dass es bestimmte Begriffe gibt, die nicht nur zufällig, sondern wesentlich umstritten sind: Man könne sie schon gar nicht verstehen, ohne dabei auf einer Seite eines kontroversen Feldes wertend Stellung zu nehmen. Klassische Beispiele sind die Begriffe der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit, aber auch und gerade der Begriff der Freiheit wäre in dieser Reihe kein Außenseiter. Sollte uns das aber wirklich kümmern? Die Doktrin der wesentlichen Umstrittenheit ist so, wie sie gemeint ist, letztlich widersprüchlich; sie demontiert sich selbst. Wenn man sie zu einem bloßen soziologischen Zwischenruf abmildert, verliert sich diese Inkonsistenz zwar, doch dann haben wir nicht mehr als eine ziemlich hochgegriffene These, die jedenfalls für eine begriffliche Untersuchung keine Hypothek darstellt.

Wesentliche Umstrittenheit gibt es also nicht, oder jedenfalls nicht in einem theoretisch anspruchsvollen Sinn. Dann aber ist es fahrlässig, die Diskussion so wichtiger Fragen wie etwa der Freiheit bloßem Lagerdenken zu überlassen. An irgendeiner Stelle, und warum nicht hier, sollten wir daher in die andere Richtung gehen und die diffuse und verborgene Gemeinsamkeit zwischen Freunden wie Gegnern der Freiheit suchen. Dass alles Bekenntnishafte dabei außen vor zu bleiben hat, versteht sich von selbst. Wir müssen uns aber in Erinnerung rufen, dass wir auch nicht bloß zufälligen Gemeinsamkeiten der tatsächlichen Debatte nachspüren dürfen: Ein gründlicher Blick auf die Freiheit legt idealerweise ihre Fundamente frei, also wesentliche Züge unseres Vorverständnisses oder wesentliche Züge dieses Begriffs.

Die unpolitische Besinnung auf das Wesentliche lebt von unseren vortheoretischen Intuitionen und von Begriffsbeleuchtungen, die man auf allen Seiten nachvollziehen kann, wenn man den Kern der Rede von Freiheit nicht verfehlt. Es erstaunt vielleicht, dass gerade ein Denker, der besonders vehement mit einer weltanschaulichen Ausprägung der Freiheitsidee in Verbindung gebracht wird, der österreichisch-amerikanische Ökonom und Sozialphilosoph Ludwig von Mises, hier als Kronzeuge aufzurufen wäre: „Der Liberalismus ist keine abgeschlossene Lehre, er ist kein starres Dogma; er ist das Gegenteil von all dem: er ist die Anwendung der Lehren der Wissenschaft auf das gesellschaftliche Leben der Menschen.“ Ob Mises in seiner Behandlung der Freiheitsidee tatsächlich auf dem Weg der Wissenschaftlichkeit und Wertfreiheit geblieben ist, ist eine interessante Frage – mehr als gemeinhin vermutet wird, spricht dafür. Doch er hat mindestens das Leitbild vorbildlich formuliert, dass eine ideologiefreie Untersuchung der Freiheitsidee, wie sie hier in groben Zügen angedeutet werden soll, möglich und sinnvoll ist.

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