Was heißt Freiheit? Eine unpolitische Besinnung auf das Wesentliche

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Was das Fehlen und was das Vorhandensein von Freiheit bedeutet

Schwarz-Rot nimmt Wirtschaft und Verbraucher in die Mangel
Neue SteuernDie Unter-Arbeitsgruppe Bankenregulierung/Europa hat sich bisher darauf verständigt, dass Union und SPD bei der europäischen Finanztransaktionssteuer Druck machen wollen. Negative Auswirkungen auf Kleinanleger und Unternehmen sollen vermieden werden. Die SPD bleibt zudem bei ihrer Forderung, den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent erhöhen zu wollen. Die Union hatte Steuererhöhungen im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen. Bislang bleiben CDU/ CSU in diesem Punkt hart. Eigentlich wollte die Union die kalte Progression beenden, also den heimlichen Steueranstieg bei Lohnerhöhungen. Hier gibt es allerdings keine Bewegung. Quelle: dpa
MindestlohnEs ist eine der zentralen Forderungen der SPD: Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Die Union will allerdings keine Vorgaben per Gesetz, sondern vielmehr den Tarifparteien die Entscheidung überlassen. Damit werden CDU/ CSU wohl nicht durchkommen, ein Kompromiss ist wahrscheinlich. Der könnte so aussehen: Eine Runde aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern sollen der Regierung jährlich einen Mindestlohn vorschlagen, der dann ins Gesetzbuch übertragen wird. Einig sind sich die Verhandlungspartner, dass auch Praktikanten mit abgeschlossener Ausbildung künftig von geltenden Branchen-Mindestlöhnen profitieren sollen. Quelle: dpa
RenteDie Rentenversicherung steht finanziell bestens da. Die Rücklage der Rentenkasse steigt 2013 auf mehr als 30 Milliarden Euro, die Beiträge könnten deshalb zum dritten Mal in Folge gesenkt werden, konkret von 18,9 auf 18,3 Prozent. Arbeitnehmer und Betriebe würden dann jeweils um drei Milliarden Euro entlastet. Wären da nicht die Wunschzettel der großen Koalition. CDU/CSU wollen die Mütterrente (Kostenpunkt: 6,5 Milliarden Euro), die SPD noch eine Solidarrente von 850 Euro (auch mehrere Milliarden teuer). Wahrscheinlich wird beides kommen. Zudem will die SPD weg von der Rente mit 67 Jahren. Die Sozialdemokraten fordern den „abschlagsfreien Zugang zur Rente ab 63 Jahren nach 45 Versicherungsjahren“. Zum anderen eine Überprüfungsklausel, dass die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters „erst dann möglich (ist), wenn mindestens die Hälfte der 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und weitere Rentenansprüche erwerben können“. Und dann sind all die Vorschläge, die allgemein als notwendig und richtig erachtet werden, von einer besseren Erwerbsminderungsrente bis hin zur Kombirente, noch überhaupt nicht bezahlt. Quelle: dpa
MietpreisbremseGleich in mehreren Punkten sind sich die möglichen Koalitionspartner beim Thema Bauen und Wohnen einig: Mieterhöhungen in Großstädten sollen abgebremst und der Bau neuer Wohnungen angekurbelt werden. Maklergebühren sollen nicht einfach auf Mieter abgewälzt werden können. Das „Paket für bezahlbares Wohnen“ sieht vor, dass die Miete bei Neuvermittlungen nicht höher als zehn Prozent über der ortsüblichen Preismarke liegen darf. Das aber wird weder den Preiskampf in begehrten Wohnlagen mildern, noch die Zahl von guten Wohnungen erhöhen. Quelle: dpa
ArbeitsmarktUm Arbeitslosen beim Sprung in die Selbstständigkeit zu helfen, soll der vor zwei Jahren von Schwarz-Gelb abgeschwächte Existenzgründer-Zuschuss wieder als gesetzliche Pflichtleistung eingeführt werden. 2010 profitierten rund 145.000 Arbeitslose vom Zuschuss, das kostete gut 1,5 Milliarden Euro. Damit es schnelles Internet überall gibt, soll der Bund für Breitband-Investitionen jährlich eine Milliarde Euro mehr ausgeben. Per Steuerbonus sollen kleine und mittelgroße Firmen für Forschungsaktivitäten belohnt werden. Steuerliche Anreize soll es auch für Investoren in neue Internetfirmen geben. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer soll „mittelstandsfreundlich“ ausgestaltet werden. Quelle: dpa
EEG-ReformUnion und SPD streben bis Ostern eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) an, um den Strompreisanstieg zu bremsen. Das Bundesumweltministerium dementierte Meldungen, wonach die Industrie künftig mehr an den Kosten der Energiewende beteiligt werden soll. Angeblich sollen Preisnachlässe wegfallen. Lobbygruppen aus fast jeder Branche kämpfen hingegen für die Ausnahmen. Beim Klimaschutz soll der Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten neu geregelt sowie die Gebäudesanierung vorangetrieben werden. Weitere steuerliche Anreize beim Energiesparen sind geplant. Quelle: dapd
AußenpolitikGrundsätze der deutschen Außenpolitik werden bekräftigt: die besondere Freundschaft zu Frankreich, Polen, Israel und - trotz NSA-Affäre - auch zu den USA. Deutschland wolle ein verlässlicher Bündnispartner bleiben. Am Termin für den Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan Ende 2014 will man festhalten, ebenso wie am Ziel eines Ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat. Quelle: obs

Der antiautoritäre Zug des grundlegenden Freiheitsverständnisses ist nicht unwichtig. Schon bei oberflächlicher Betrachtung ist der politischen Diskussion ja anzusehen, dass häufig unter Verweis auf objektive Gründe oder Güter argumentiert wird. Nicht selten wirkt sich dies auch ganz praktisch aus: Mein gewolltes Tun wird unter Verweis auf absolute oder objektive Gründe durchkreuzt. Diese Einschränkung meiner Handlungsfreiheit, diese Einschränkung politischer Freiheit, wiegt dadurch nur umso schwerer, dass sich das subjektive Wollen des Eingreifenden maskiert und in das Gewand des Absoluten oder Objektiven kleidet.

Ein weiterer Aspekt gehört in diesen Zusammenhang: Die Freiheitseinschränkung unter Verweis auf vermeintlich Absolutes oder Objektives wird der Sache nach nicht dadurch berührt, ob auf Seiten des Eingreifenden viel oder wenig Wohlwollen vorhanden ist. Sie ändert sich auch nicht prinzipiell, sondern höchstens in ihrer Intensität, mit dem Maß an Zwangsmitteln, die ihm zu Gebote stehen. Gibt dies aber nicht zumindest dann zu denken, wenn die Zwangsmittel besonders groß sind? Dieser Gedanke bringt unweigerlich den Staat ins Spiel. Wie keine andere auf die Gesellschaft wirkende Instanz ist er in der Lage, in das Leben der Einzelnen einzugreifen. Und tatsächlich, wenn wir auf staatliche und staatsnahe Einrichtungen zur politischen Bildung, zum Rundfunk, zum Schulwesen und zur Hochschulbildung schauen, ist eines zu bemerken: Zwar sind Ziel und Gründe einer staatsbürgerlichen Erziehung und Prägung de facto von Wohlwollen und guten Absichten geprägt (und insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte verständlich), ein prinzipieller Unterschied zu einem Handeln, das mit Autorität die Absolutheit oder Objektivität bestimmter Güter oder Gründe vermittelt sehen möchte, besteht jedoch nicht. Zudem können dieselben Strukturen, die dazu dienen, Bürger zu aufrechten und kritischen Staatsbürgern zu erziehen, ganz leicht dazu verwendet werden, um sie zu etwas ganz anderem zu formen. Ein echtes Verständnis von Freiheit, das eben grundsätzlich antiautoritär ist, nimmt nicht zuletzt aus diesen Gründen auch staatliche Autorität nicht von seiner natürlichen Skepsis aus.


Man sieht: Unser grundlegendes Freiheitsverständnis fördert eigentlich nur Selbstverständlichkeiten zutage; andererseits vermögen diese Platitüden doch ein Stück weit zu überraschen. Dies gilt möglicherweise auch für zwei weitere Züge des Freiheitsbegriffes, die nun kurz in den Blick genommen sollen.

Ein einsamer Akteur wie Robinson kann tun, was er will. Da er alleine ist, ist seine Freiheit vollkommen und ungefährdet. Offenbar ist seine Einsamkeit der Preis für eine stabile und unüberbietbare Freiheit. Dass selbst glühende Freiheitsfreunde wohl nicht mit Robinson tauschen würden, liegt sicherlich zum einen an der Horrorvorstellung jahrzehntelangen Alleinseins. Es gibt aber noch einen zweiten, nicht minder schwerwiegenden Grund: Robinson ist ganz auf sich gestellt. Wenn er in den naturgegebenen Lauf der Dinge handelnd eingreifen will, ziehen seine beschränkten Kräfte dem, was er tun kann, enge Grenzen. Ohne die Aussicht auf Mitwirkung anderer Akteure bleiben Robinsons Möglichkeiten weit hinter denen zurück, die selbst den Mitgliedern ganz unfreier Gesellschaften offen stünden.

In der vollkommenen Freiheit Robinsons können wir ungehindert alles tun, was wir wollen. In der unvollkommenen Freiheit einer Gesellschaft hingegen sind die Aussichten hoch, dass wir zwar weniger tun können, als wir wollen, aber absolut gesehen immer noch mehr, als wenn wir mit Robinson tauschten. Denn wenn es uns gelingt, die Dienste anderer für unsere eigenen Ziele einzusetzen, können wir unsere Ziele höher und weiter stecken, als wenn wir auf unser eigenes, einsames Tun angewiesen bleiben.

Offenbar gibt es nur zwei Konstellationen, in denen Akteure die Dienste anderer für ihre eigenen Ziele einsetzen können. Im einen, dem konfrontativen Fall gelingt es dem einen Akteur, die ihm genehmen Dienste des anderen zu erzwingen. In diesem Fall werden die Ziele des einen auf Kosten des anderen erreicht, und der erzwungene Dienst ist für die Ziele des Gezwungenen verloren. Im anderen, dem kooperativen Fall gelingt es beiden Akteuren, durch wechselseitigen Tausch von Diensten ihre jeweiligen Ziele mit Hilfe des Tauschpartners zu erreichen. In diesem Fall gibt es nur Gewinner und keine Verlierer. Jeder erbrachte Dienst trägt doppelt Früchte: Er fördert direkt das Ziel des Partners und indirekt – aufgrund des vereinbarten Tauschs – das je eigene Ziel.

Der Vergleich beider Fälle ist aufschlussreich. Er führt nämlich vor Augen, was das Fehlen und was das Vorhandensein von Freiheit bedeutet. Wo Freiheit fehlt und Zwang herrscht, dort zählt das, was der eine will, mehr als das, was der andere will. Das mit Macht ausgestattete Wollen kann das ohnmächtige Wollen beugen. Die Ziele des Befehlenden gedeihen, die Ziele des Gehorchenden verdorren. Wo Freiheit fehlt, beansprucht das Wollen des einen Vorrang vor dem des anderen. Aber wo Freiheit herrscht, tritt ein Wollen dem anderen gleichberechtigt gegenüber. Freiheit, können wir sagen, ist wesentlich egalitär.

Wer im Rahmen einer Gesellschaft möglichst viele seiner Ziele verwirklichen möchte, ist an einer Gesellschaft interessiert, in der ihn niemand gegen seinen Willen in die Position des Gehorchenden drängen kann. Dieses Interesse ist schon seinem Kern nach das Interesse an einer freien Gesellschaft. Freie Gesellschaften sind in dem Sinne egalitär, dass in ihnen jedes „freundliche“ Wollen, d. h. jedes, das nicht auf die Beugung fremden Wollens ausgeht, gleich viel zählt. Die Freiheit einer Gesellschaft ist ohne diese Gleichheit keine Freiheit.

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