Weg in die Zukunft Warum sich Deutschland mit der Digitalisierung so schwertut

Digitalisierung: Deutsche Unternehmen haben kaum Digitalvorstände Quelle: obs

Bundeskanzlerin Merkel und andere beschwören bei der Digitalisierung den europäischen Weg – aber niemand weiß, wie genau der aussehen soll. Vorbilder aus den USA können dabei nur bedingt helfen.

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Die US-Forschungsagentur Darpa druckt ihren Direktorinnen und Programmmanagern an deren erstem Arbeitstag das Vertragsende auf den Hausausweis. Richtet euch nicht zu sehr ein, soll das heißen, eure Zeit hier ist begrenzt. Und bis zu diesem Datum soll euer Vorhaben bitteschön auch erledigt sein.

Die Darpa-Verantwortlichen vertreten die Ansicht, diese Methode belebe den Einfallsreichtum, helfe dem Erfindergeist und spiegele die Realität: Innovation hat schließlich nicht ewig Zeit.

Kann Europa davon lernen?

In Deutschland – und in den meisten anderen europäischen Ländern – können sich die Menschen auch nach Jahren des Diskutierens schwer vorstellen, wo sie sich in einer digitalisierten Welt wiederfinden werden. Bisher überwiegt das Gefühl, dass das andere bestimmen werden: Facebook, Google, Amazon oder die chinesischen Unternehmen Tencent und Baidu.

Politiker und Wirtschaftsleute ringen darum, doch noch selbst zu bestimmen und zu beeinflussen, welche die Rolle Europas sein wird, wenn auf Grundlage von Daten neue Geschäftsmodelle entstehen und künstliche Intelligenz immer mehr Arbeitsschritte automatisiert. „Wir müssen selbstbewusst unseren eigenen Weg gehen“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade wieder auf einer von Vodafone in Berlin organisierten Konferenz gesagt.

Sie meint damit: Europa soll weder werden wie die USA, wo, Beispiel Daten, wenige private Konzerne die größten Datenmengen vereinen und diese einsetzen, um Geld zu verdienen. Noch soll Europa wie China werden, wo der Staat wie selbstverständlich Daten seiner Bürger nicht nur nutzt, sondern auch ständig neue Datenpunkte schafft.

Nur, das gibt auch die Kanzlerin zu, müsste Europa dann eben eigene Antworten geben – und abgesehen von der umstrittenen Datenschutzgrundverordnung sind die bislang nicht sehr konkret ausgefallen.

Das überträgt sich offenbar auf die Bürger: In einer Umfrage von Vodafones firmeneigener Denkfabrik gaben nur 40 Prozent der Befragten in Europa an, ja, ihre jeweilige Regierung wolle die Digitalisierung wirklich voranbringen. Lediglich 34 Prozent sahen die allerdings dazu auch in der Lage.

Man schaut auf der Suche nach guten Vorbildern also wieder über die europäischen Grenzen hinaus, und da vor allem (noch) in die USA, auf der Konferenz in Berlin verkörpert von Alex Karp, dem Mitgründer und Chef der US-Wunderfirma Palantir.

Palantir, vor gut 15 Jahren gegründet, ist angeblich 20 Milliarden US-Dollar wert. Die Software des Unternehmens wertet große Datenmengen aus. Zu den Kunden gehören Geheimdienste, Pharmaunternehmen, Banken – und das Innenministerium in Hessen.

Der Amerikaner Alex Karp, der in Frankfurt bei Jürgen Habermas promoviert hat, soll also auf dem Podium erklären, warum es eine Firma wie die seine in den USA gibt, aber nicht in Europa. Und sagt erstmal, dass sein Team für Silicon-Valley-Verhältnisse sehr deutsch gewesen sei: „Denn wir hatten einen Plan!“ Ihm fällt dann aber doch etwas ein, was in Deutschland fehle: das Verständnis, dass ein Unternehmen zu gründen, eine Kunst sei, die man fördern müsse und die nicht automatisch beherrsche, wer traditionell ausgebildet sei.

Fehlt Deutschland der Plan?

Karps Empfehlung lautet daher: Digitalisierung an sich lasse sich allein mit Geld, ob staatlichem oder privatem, nicht bewältigen. Man brauche stattdessen mehr (Unternehmens-)Künstler – und die auf verschiedene Arten zu finden, das sei Investitionen wert.

Es ist ein gewisses Unverständnis zu spüren, was die Deutschen oder die Europäer da eigentlich genau von einem Lernen wollen. Ein Unverständnis, nicht böse gemeint, sondern weil die Erfahrungen so weit auseinander liegen. Es hat sich auch wenige Tage zuvor gezeigt, ebenfalls in Berlin, bei einer Veranstaltung des FDP-Abgeordneten Thomas Sattelberger. Der hatte eingeladen, um über die von der Bundesregierung geplante Agentur für Sprunginnovationen zu diskutieren.

Bereitwillig stellt Brian Pierce, einer von sechs Darpa-Direktoren, seine Agentur vor, die in Berlin oft als idealisiertes Beispiel für die noch zu gründende deutsche Agentur gehandelt wird. Die Unterschiede werden schnell deutlich, auch abseits der Historie – die Darpa wurde 1958 als Reaktion auf den Schock gegründet, nachdem die Sowjetunion den Sputnik-Satelliten ins All geschossen hatte – und des Budgets: 2,5 Milliarden Dollar im Jahr bei der Darpa, eine Milliarde Euro für zehn Jahre bei der deutschen Sprunginnovationsagentur.

Die Darpa sei eben aus der Befürchtung heraus gegründet worden, hinter der Sowjetunion zurückzufallen, sagt Pierce später, nach der Diskussion. Da stimmt die Parallele zu heute und zu Deutschland, wo die Politiker mahnen, sich von den USA und China nicht abhängen zu lassen.

Die Mission der Darpa war und ist, zu verhindern, dass andere die USA mit technologischen Entwicklungen überraschen – und die Überraschungen selbst zu entwickeln. Man kann diese Aufgabe heute vage finden, damals ging es zunächst sehr konkret vor allem um die Raketen- und Raketenabwehrtechnik. Erst später wurde das Feld weiter und es hat sich unter anderem das Internet daraus entwickelt.

Dieser Ausgangspunkt, Gründungsmoment oder Auftrag ist es, der Pierce, auch wenn er das sehr höflich ausdrückt, bei den deutschen Überlegungen fehlt. Als wollten die Deutschen diesen Schritt überspringen, indem sie ohne genaues Ziel eine Innovationsagentur für neue Geschäftsmodelle aufsetzen.

Pierce könnte sich, das ist ihm anzumerken, eher vorstellen, dass man einem konkreten Plan folgt, zum Beispiel: Wie kann die deutsche Automobilindustrie führend bleiben?

Dann auch gern nach dem Darpa-Prinzip, den Verantwortlichen gleich eine Frist zu setzen, wie lange sie für Antworten Zeit haben.

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