Weitere Zinssenkung? „Nichts ist so teuer wie Bargeldhaltung“

Dunkle Wolken über dem Frankfurter Bankenviertel: Die Geldinstitute flehen um Entlastungen für Strafzinsen – und hat eine noch expansivere Geldpolitik überhaupt den erwünschten Effekt? Quelle: imago images / Ralph Peters

Die Europäische Zentralbank wird wohl versuchen, weitere geldpolitische Impulse zu setzen. Das ist umstritten – und könnte nach Auffassung von Finanzmarktexperte Jan Pieter Krahnen sogar nach hinten losgehen.

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Investoren haben den Schritt in ihrer Anlagestrategie bereits eingepreist, Beobachter sind sicher: Die Europäische Zentralbank wird am Donnerstag auf der Sitzung des EZB-Rats die ohnehin expansive Geldpolitik im Euroraum weiter lockern. Doch welche Impulse können davon noch ausgehen? Und werden Banken und Sparkassen mit ihrem Flehen, die Strafzinsen abzumildern, endlich erhört? Jan Pieter Krahnen leitet die Forschungszentren SAFE (Sustainable Architecture for Finance in Europe) und das Center for Financial Studies an der Frankfurter Goethe-Universität und hat die EU-Kommission bei der Reform des Bankensektors beraten.

WirtschaftsWoche: Herr Krahnen, seit 2014 ist der Zins für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB negativ. Diese haben seitdem mehr als 20 Milliarden Euro Strafzinsen gezahlt. Ist es an der Zeit, dass die Zentralbank Rücksicht nimmt?
Jan Pieter Krahnen: Grundsätzlich haben die Ertragssituation einer Bank und das Zinsniveau nicht direkt miteinander zu tun. Es ist nicht zwangsläufig so, dass bei niedrigen Zinsen die Erträge der Banken sinken. Sie leben von der Differenz zwischen Sparzins und Kreditzins. Beide kommen am Markt zustande.

Nur haben Banken und Sparkassen zunehmend Probleme, die niedrigen Zinsen an ihre Kunden weiterzugeben. Minuszinsen auf Sparguthaben gelten zum Beispiel als Tabu.
Vielen erwarten, dass die Sparer dann ins Bargeld flüchten, aber da bin ich mir nicht so sicher. Die Leute werden schnell erkennen, dass nichts so teuer ist wie Bargeldhaltung. Teurer jedenfalls als ein Negativzins, solange der nicht dramatische Ausmaße annimmt. Die Zinsspanne wird zwar kleiner, aber sie kann durchaus auskömmlich bleiben, auch bei Negativzinsen – dafür können höhere Kontoführungsgebühren sorgen.

Ökonom Jan Pieter Krahnen Quelle: PR

Im Klartext: Banken müssen sich auf Zeiten extrem niedriger Margen einstellen?
Genau. An einigen Stellen wird es vielleicht gar keine Margen mehr geben. Denken Sie an neue Kreditverteilungssysteme, bei denen das Geld von Sparern über eine Plattform direkt und gezielt weiter an Kreditnehmer fließt. Da brauchen sie gar keine Bank als Intermediär.

Dennoch: Der negative Einlagezins von aktuell minus 0,4 Prozent schmälert die Profitabilität der Banken und könnte weiter sinken. Ist es angemessen, wenn die EZB sich dahingehend für unzuständig erklärt? Oder wird es Zeit für einen Freibetrag?
Ich stimme mit der Ansicht überein, dass die EZB nicht für die Geschäftsmodelle der Banken verantwortlich gemacht werden kann und darf. Die Struktur des Finanzsektors mit Art, Anzahl und Größe von Banken ist nicht naturgegeben. Gegenwärtig fallen zwei Entwicklungen zusammen: Die Zinsspanne schmilzt zusammen und die Branche wandelt sich technologisch, weg von den Filial- hin zu Onlinebanken. Dass immer mehr Banken mit dem klassischen Zinsgeschäft ihre Kosten nicht mehr decken können, beschreibt zwar zutreffend den Status quo, erinnert aber nur daran, dass sich der Finanzsektor neu erfinden muss.

In der Niedrigzinsfalle

Eigenheimbesitzer profitieren
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...Sparer leiden

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Wie?
Wir sehen schon seit längerer Zeit ein enormes Filialsterben. Das kann sich noch beschleunigen. Denn noch ist unser Land voll von Zweigstellen der Banken, aber werden sie wirklich heute noch gebraucht? Die Bevölkerung ist über lange Jahre quasi zum Bargeld erzogen worden. Ich kenne selbst in der Verwandtschaft etliche, die nie eine Kredit- oder EC-Karte in die Hand nehmen. Aber diese Bargeldversorgung ist enorm teuer – und diese Kosten werden heute nicht von den Nutzern getragen.

Ein Plädoyer für das Ende des Bargelds?
Nein, ein Plädoyer für ein Ende einer stark auf persönliche Kontakte konzentrierten, quersubventionierten Bankorganisation.

Genau das macht doch Sparkassen und Volksbanken aus.
Solange sie das durch andere Erträge aus anderen Finanzprodukten auffangen können, werden sie weiter so existieren können. Aber der Trend geht ganz klar dahin, dass die physische Versorgung im Zahlungsverkehr in der Fläche viel teurer wird und das den Umstieg auf Systeme beschleunigt, in dem Zweigstellen keine Rolle mehr spielen. Heute dringen zunehmend Onlinebanken ein in einen Markt, in dem Dinosaurier mit hohen Kosten und alten Strukturen versuchen zu überleben. So paradox es klingen mag, die starke Bankenregulierung bremst heute den Eintritt neuer Anbieter – und schützt die „alten“ Institute.

von Benedikt Becker, Malte Fischer, Martin Gerth, Dieter Schnaas, Christof Schürmann, Cornelius Welp

Offiziell dient die Geldpolitik der EZB dem Erhalt der Preisstabilität, worunter sie einen Anstieg der Verbraucherpreise um unter, aber nahe zwei Prozent versteht. Trotz expansiver Geldpolitik erreicht sie dieses Ziel nicht. Kann die Geldpolitik die Inflation nicht mehr steuern?
Die EZB setzt die Refinanzierungskosten der Banken immer niedriger, um das Kreditwachstum anzukurbeln. Durch die geringeren Kreditkosten steigen, so hofft man, die Investitionen, das erhöht die Nachfrage nach Arbeit und Kapital, was dadurch knapp wird. Die Preise steigen und mit ihnen die Inflation. Das ist die Logik der Zentralbank. Doch irgendetwas an dieser Wirkungskette funktioniert anders, als gedacht.

Was könnte der Grund dafür sein?
Man muss hinterfragen, wie Inflationserwartungen zustande kommen. Mit ihrer Forward Guidance, also einer langfristigen Festlegung der Zinspolitik, will die EZB diese Erwartungsbildung beeinflussen. Doch das ist offenbar schwieriger als gedacht. Die Zentralbank wird nämlich vorhersehbar in ihrem Tun. Aber das heißt noch lange nicht, dass der Rest der Volkswirtschaft ihrer Erwartungsbildung folgt. Möglicherweise haben noch weitergehende Zinssenkungen inzwischen auch einen entgegengesetzten Effekt: Die Märkte interpretieren sie als Pessimismus von informierter (Zentralbank-)Seite. Dadurch werden auch die Investoren skeptischer, und statt bei billigem Geld mehr zu investieren, nimmt die Kreditnachfrage sogar ab.

Es könnte noch weitere Gründe geben: Statt zu investieren, kaufen Unternehmen mit dem billigen Geld eigene Aktien zurück. Banken nutzen günstige Kredite und Anleihekäufe womöglich gar nicht, um Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen, sondern ihre Bilanzen aufzuräumen.
Das ist ein anderer Blickwinkel auf das gleiche Phänomen: Die Kreditnachfrage geht zurück und die Banken geben nicht mehr Kredite aus.

Laut amtlichen Statistiken ist das Kreditwachstum aktuell noch robust. Hat die Geldpolitik überhaupt noch Instrumente?
Die EZB kann es sich nicht leisten, öffentlich zu erklären: Wir können nicht mehr. De facto kann sie aber nicht mehr viel bewirken. Ihre Handlungen folgen zunehmend einem Krisenmotiv. Das verstärkt die Gefahr, dass sie mit weiteren expansiven Maßnahmen nicht den Optimismus der Marktteilnehmer schürt, sondern den Pessimismus.

EZB-Präsident Mario Draghi hat zuletzt betont, das Inflationsziel sei „symmetrisch“, was Beobachter so interpretieren, dass eine Inflation von über zwei Prozent nicht sofort steigende Zinsen nach sich ziehen muss. Sollte die EZB nicht eher umgekehrt überlegen, von ihrer bisherigen Definition von Preisstabilität abzuweichen und eine niedrigere Inflation zu akzeptieren?
Es gibt vernünftige Gründe, das Inflationsziel gar nicht zu ändern. Welchen Kompass haben die Märkte noch, wenn die EZB Norden und Süden neu justiert? Bislang verstehen wir zumindest noch, was die Zentralbank tut. Unter Christine Lagarde wird die EZB ihre Geldpolitik überarbeiten. Es ist gut möglich, dass dabei ein Weiter-so herauskommt. An radikale Änderungen glaube ich ohnehin nicht, das wäre für eine Zentralbank auch sehr gewagt. Denn je mehr radikale Schwenks sie macht, umso mehr wird jeder Schwenk von den Märkten in Frage gestellt.

Also bleibt es dauerhaft bei Niedrigzinsen?
Im Moment sehe ich keinen Anlass, dass die Zinsen stark steigen, schon gar nicht kurzfristig.

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