Ex- und Importe der deutschen Wirtschaft haben unter der Coronakrise gelitten – vor allem im Frühjahr 2020. Andererseits ist der Exporterfolg seit Monaten eine wichtige Triebkraft, um die wirtschaftliche Aktivität aus dem Tal zu hieven. Das belegt einmal mehr, dass der Außenhandel für den Wohlstand in Deutschland sehr viel wichtiger ist als in den anderen G7‐Ländern. Mehr als zwölf Millionen Arbeitsplätze und damit rund 28 Prozent der Beschäftigung hierzulande hängen direkt oder indirekt vom Export ab.
Außerdem ist im ressourcenarmen Deutschland der verlässliche und preisgünstige Zugang zu Importen wichtiger als anderswo für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Angesichts dieser Tatsachen überrascht es, dass die Außenhandelsstrategie ausweislich der aktuellen Wahlprogramme nicht hoch auf der politischen Agenda steht. Denn das Instrumentarium wirkt veraltet.
Nicht nur die Coronakrise sondern auch geoökonomische Plattenverschiebungen wie der Brexit, die Herausforderungen des Klimaschutzes sowie technologische Umbrüche verändern die Rahmenbedingungen für deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb. Schon vor Corona sind die deutschen Exporte unter Druck geraten; die Dynamik des Welthandels nimmt seit Jahren ab. Deshalb braucht die deutsche Außenhandelsstrategie ein Update. Die Bundesregierung muss der Außenwirtschaftspolitik mehr Gewicht geben, andernfalls droht dieser Pfeiler des Wohlstands brüchig zu werden.
Außenwirtschaftsstrategie braucht neues Selbstverständnis
Hier die Essenz eines Vier-Säulen-Plans für eine zukunftsorientierte deutsche Außenwirtschaftspolitik, der in Zusammenarbeit mit Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft und Bodo Liesenfeld entstanden ist:
Erstens braucht Deutschland ein neues außenwirtschaftliches Selbstverständnis. Im Vordergrund muss die Ambition stehen, sowohl den Wohlstand in Deutschland als auch eine positive globale Wirkung zu erreichen. Dafür muss die Außenwirtschaftsförderung davon abkommen, den Ursprung von Waren zum Maßstab zu erheben, und sich stattdessen am ökonomischen, ökologischen und sozialen Mehrwert für die deutsche Volkswirtschaft orientieren. Dazu gehört auch, neue Importquellen für Rohstoffe und Vorerzeugnisse zu erschließen – ein Ziel, dessen Erreichen durch ein striktes deutsches Lieferkettengesetz erschwert werden könnte.
Mehr staatliche Koordination für Außenhandel notwendig
Zweitens sollten alle für den Außenhandel maßgeblichen staatlichen Stellen ihre Aktivitäten in diesem Feld koordinieren und verzahnen und in einem „Team Deutschland“ gemeinsam nach außen vermarkten. Das könnte auch durch ein neues Ministerium für Außenwirtschaft oder einen neuen Staatsminister für Außenhandel geschehen. Neben dem Marketing sollte dieses Team Kooperationsmodelle mit privaten Unternehmen und staatlichen Institutionen in Europa für die Exportförderung vorantreiben. Dafür sollte auch die Entwicklungszusammenarbeit auf für Deutschland besonders relevante Fokusländer ausgerichtet und stärker dazu genutzt werden, deutsche Auslandinvestitionen abzusichern und zu fördern. Sicherheitspolitik, Entwicklungshilfe und Außenwirtschaftsförderung müssen gemeinsam gedacht werden. Infrastrukturinvestitionen können dabei einen besonders positiven Effekt für alle drei Bereiche haben.
Werden Projekte der Entwicklungszusammenarbeit eng mit den Interessen der deutschen Wirtschaft in Zielländern abgeglichen, kommt das nicht nur hiesigen Unternehmen sondern gerade auch der nachhaltigen Entwicklung der Länder zugute. Das sollte ohne politische Scheuklappen geschehen, denn gerade in Ländern mit Demokratiedefiziten kann wirtschaftliche Entwicklung als Treiber für Demokratie und Rechtsstaat wirken. Zudem muss auch daran gearbeitet werden, dass Handelsbeziehungen keine Einbahnstraße sind, sondern Schwellen- und Entwicklungsländern der Zugang nach Europa erleichtert wird.
Klimaschutz durch Handelspolitik unterstützen – aber richtig
Drittens sollte der Ordnungsrahmen für das Exportmodell Deutschlands so gesetzt werden, dass er die angestrebte Transformation zu einer klimaschonenden Weltwirtschaft unterstützt. Anreize für klimafreundliche Ex- und Importe, können deutsche Unternehmen auf den weltweiten Märkten stärken und die wirtschaftlichen Potenziale des Klimaschutzes für die deutsche Wirtschaft erschließen. Das muss in internationaler Abstimmung auf EU- und OECD-Ebene passieren, damit Wettbewerbsgleichheit bestehen bleibt. Einseitige „Klimazölle“ durch die EU wären dabei schädlich; ein Klimaclub, der mindestens die USA und Großbritannien einschließt, und gemeinsame Standards hat, ist die bessere Lösung.
Die staatliche Förderung sollte sich auf Auslandsprojekte fokussieren, die einen Beitrag zur Entwicklung innovativer Technologien mit hoher Klimaschutzwirkung leisten, etwa grün erzeugter Wasserstoff oder entsprechende Batterietechnik- und Digitalisierungsprojekte. Die Förderinstrumente richten sich heute zu stark am Warenursprung aus, was der international arbeitsteiligen Wirtschaft und dem wachsenden Dienstleistungshandel nicht gerecht wird. Statt auf die Warenherkunft abzuheben, sollte das nationale Interesse zentrales Kriterium für eine staatliche Förderung sein: Was trägt am besten zur Erreichung der strategischen Ziele Deutschlands oder der EU bei? Dafür ließen sich Kriterien entwickeln. Die Instrumente sollten bislang binnenwirtschaftlich orientierte Unternehmen befähigen, sich Auslandsmärkte zu eröffnen. Das kann zum Beispiel durch erweiterte Liquiditätsgarantien erreicht werden, die Unternehmen während der Anbahnung von Auslandsgeschäften absichern.
Ein Lieferkettengesetz auf deutscher und europäischer Ebene muss so gestaltet werden, dass es die internationalen Vernetzung der deutschen Wirtschaft nicht ausbremst. Dafür wäre zum Beispiel ein bürokratiearmer Ansatz wichtig, der auf staatlich geprüften „schwarze Listen“ von Lieferanten aufbaut, statt jedem Unternehmen einzeln die Prüfung seiner Lieferanten aufzuerlegen.
Bedeutung Europas nutzen
Viertens sollte Deutschland Europa als Interessensgemeinschaft nutzen, um im globalen Wettbewerb Interessen durchzusetzen. Wenn Dritte zum Beispiel über Regulierung oder Sanktionsdrohungen auf souveräne Entscheidungen eines einzelnen EU-Mitgliedes Einfluss nehmen wollen, ist ein gemeinsames, entschiedenes Auftreten der EU das wirksamste Gegenmittel. Bestehende EU-Instrumente wie INSTEX zum Handel mit dem Iran oder der Blocking Regulation gegen Eingriffe Dritter sind weiterzuentwickeln. Europas Stellung in der Welt würde auch gestärkt, wenn ausgehandelte Handelsabkommen wie mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten oder Kanada nun zügig die letzten Hürden nehmen würden. Andere Verhandlungen sollten vorangetrieben werden – etwa mit afrikanischen Ländern. Dafür sollte die EU auch Hürden für afrikanische Lieferanten abbauen.
Ein Plädoyer für eine an Wirtschaftsinteressen ausgerichtete Außen- und Entwicklungspolitik wird häufig mit dem Vorwurf gekontert, ökologische oder soziale Ziele würden vernachlässigt. Doch der oft konstruierte Widerspruch zwischen diesen Zielen und den Außenhandelsinteressen ist keiner. Der Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur und die Förderung des privaten Sektors in Schwellen- und Entwicklungsländern dient auch der nachhaltigen Entwicklung und hilft, nicht nur wirtschaftliche sondern auch politische Ziele Europas zu erreichen. Zudem gewinnen ohnehin Nachhaltigkeitsziele auch für Unternehmen und Investoren rasant an Bedeutung. Eine an deutschen und europäischen Interessen ausgerichtete Außenwirtschaftsstrategie sichert nicht nur einen bedeutenden Teil unseres Wohlstands, sondern kann auch zu einer höheren Akzeptanz für unsere Wertvorstellungen in anderen Weltregionen beitragen.
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