Werbesprech Özdemirs Werbeverbot gefährdet Medienvielfalt und Demokratie

Die Bundesregierung will gegen Werbung für sogenanntes „Junkfood“, also ungesunde Nahrung, vorgehen.

Bundesernährungsminister Özdemir will Werbung für ungesunde Lebensmittel verbieten. Dass er damit Journalismus und Demokratie den Boden unter den Füßen wegzieht, sagten ihm weder Staatssekretäre noch Berater. Eine Kolumne.

  • Teilen per:
  • Teilen per:


Cem Özdemir legte Ende Februar einen Gesetzesentwurf vor, wonach „an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt in allen für Kinder relevanten Medien“ verboten werden soll. Dass die Bundesregierung gegen Werbung für sogenanntes „Junkfood“, also ungesunde Nahrung, vorgehen will, stünde bereits im Koalitionsvertag. „Geld zu verdienen, indem man die Gesundheit der Kinder ruiniert, halte ich für keinen guten Weg“, bekräftigte Özdemir. Der Gesetzentwurf, den sein Ministerium nun vorlegte, soll im ersten Quartal 2023 mit den anderen Ressorts der Bundesregierung abgestimmt werden.

Um es gleich vorwegzunehmen: Es ist noch nie gelungen, wissenschaftlich haltbar nachzuweisen, dass Werbeverbote die erwartete Wirkung besitzen. In UK haben Werbeverbote die Zahl der übergewichtigen Kinder nachweislich nicht senken können. Die Zahl der Raucher ging erst zurück, nachdem das Rauchen in öffentlichen Räumen und Verkehrsmitteln verboten wurde, nicht aber nach Werbeverboten oder dem Aufdruck von Schreckensbildern auf Zigarettenpackungen. Im Gegenteil: die Zahl der Raucher steigt.

Werbung bewegt Marktanteile, nicht den Zeiger der Waage

Marketing und Werbung machen keine adipösen Kinder. Schuld daran sind unter anderem Eltern, die ihre Kinder falsch ernähren. Weshalb man mit Lösungen an der Ursache ansetzen sollte. Marketing und Werbung machen keine Alkoholiker. Das Leben selbst ist schuld daran, dass manche Menschen zu viel Alkohol trinken, an dem Vater Staat allerdings über die Alkoholsteuer jährlich 2,2 Milliarden Euro einnimmt. Die Werbung beeinflusst Marktanteile und die Wahl der Marken, weder jedoch die Ursache noch die Intensität des Konsums von Alkohol, Zigaretten oder Süßwaren.

Doch schon diese ganze Diskussion ist falsch. Es geht nicht darum, dass das Ministerium Fakten ignoriert und aller Wahrscheinlichkeit nach juristisch unzulässig mit Verboten in den Markt eingreift. Es geht um das größere Bild, um die Konsequenzen, die aus einem solchen Verbot zwangsläufig entstünden und von denen das Ernährungsministerium offenbar nichts zu ahnen scheint.

Unter dem Deckmantel des Anspruchs, die Ansprache von Kindern zu unterbinden, entsteht in der Praxis ein allgemeines Werbeverbot für die meisten Lebensmittel, die einen beträchtlichen Anteil am Werbekuchen in Deutschland besitzen. Denn Cem Özdemir zieht für seinen Gesetzesentwurf das Nährwertprofil der WHO heran. Unter Einbezug dieser Kriterien, also der Höhe des Zucker- Fett- und Salzgehaltes, fallen 70 bis 80 Prozent aller in Deutschland beworbenen Lebensmittel unter das angestrebte Werbeverbot.

Lesen Sie auch: „Die Menschen wissen nicht, was gute Ernährung bedeutet“

Uwe Storch ist Vorsitzender der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM), aber gleichzeitig auch Mediachef des Süßwarenkonzerns Ferrero: „Damit ist es seine Aufgabe, genau jene Produkte zu vermarkten, die Bundesernährungsminister Cem Özdemir mit seiner geplanten Regulierung aus der Werbung verbannen will.“ Im Interview mit Horizont spricht Storch über die Folgen eines solchen Werbeverbotes, über die Selbstkontrolle der Werbewirtschaft und über die Frage, ob Werbung dick macht. Für ihn ist der „aus der Hüfte geschossene Gesetzesentwurf weder evidenzbasiert noch erfolgversprechend“.

Konsequenzen für den demokratischen Diskurs?

Storch verweist im Interview auf die Konsequenzen eines solchen Verbotes: „Gerade als OWM-Vorsitzender möchte ich mir nicht vorstellen müssen, welche Auswirkungen ein derart weitgehendes Werbeverbot für die Lebensmittelindustrie in Gänze, aber auch für die gesamte Medienbranche hätte. Dies würde mit erheblichen Konsequenzen für eine werbefinanzierte Medienvielfalt und den demokratischen Diskurs einhergehen.“

Große Worte, möchte man denken. Aber der Ferrero-Mann hat Recht. Die Bruttowerbeinvestitionen für Lebensmittel-Werbung – Joghurt und Gouda sind genauso betroffen wie innovative Lebensmittel voller Nüsse und High Protein – in den vom geplanten Verbot betroffenen Medien lag 2021 bei 3.749 Millionen Euro. Nach Berechnungen des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) wären von dieser Summe 88 Prozent vom Werbeverbot betroffen. Den Medien entgingen künftig jedes Jahr Bruttowerbeeinnahmen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro.

Werbung muss auffallen – und provokante Wege gehen. Gleichzeitig ist bei den Kunden die Angst vor einem Shitstorm groß. Wie Peter Figge, Chef der Werbeagentur Jung von Matt, diesen Spagat zu meistern versucht.
von Tobias Gürtler

Die meisten unserer Medien sind werbefinanziert und bestreiten mit diesen Einnahmen in Teilen oder ganz die Kosten für Herstellung und Verbreitung ihrer Inhalte, also des freien, unabhängigen Journalismus. Zeitungen und Zeitschriften sind in etwa zur Hälfte werbefinanziert, je zur Hälfte Abonnement- und Vertriebs-finanziert. Zeitungen erscheinen in Deutschland seit nunmehr 373 Jahren, so dass man guten Gewissens von einem funktionierenden System sprechen kann: der sogenannten „Vierten Gewalt“.

Lesen Sie auch: Stehen wir vor einem Radikalumbau der Nahrungskette?

Unsere privaten TV- und Radiosender sind vollständig werbefinanziert. Die öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender sind, bis auf einen geringen Anteil Werbeinnahmen, gebührenfinanziert. Die digitalen Medien – der Vollständigkeit halber – sind durchweg werbefinanziert; die Abo-Einnahmen halten sich zum Verdruss der Verleger in Grenzen. Hier sind die Investitionen der Lebensmittel- und Süßwarenindustrie allerdings zu vernachlässigen.

Die Auslöschung der Medienvielfalt

Würden unseren Medien über Nacht Einnahmen in Milliardenhöhe entzogen, würden das die meisten der Print- und privaten TV- sowie Radio-lastigen Medienhäuser, ebenso die Außenwerbeunternehmen, nicht überleben. Im besten Fall würden ein Drittel, schlimmstenfalls zwei Drittel der deutschen Medienangebote vom Markt verschwinden und unsere vielgelobte Medienvielfalt wäre unwiederbringlich ausgelöscht.

Lediglich Unternehmen wie Axel Springer, die sich längst auf den Erfolg ihrer digitalen Portale und Beteiligungen wie Stepstone, Immowelt, Kaufda oder Idealo stützen, könnten sich vor einem solchen Schicksal retten und uns weiterhin mit den Inhalten der Bild-Zeitung in Atem halten.

Grund über den Vorstoß unseres Bundesernährungsministers zu jubeln, hätten andere: Google und YouTube, Facebook und Instagram, Amazon, Spotify und TikTok. Aufgrund des Herkunftslandprinzips unseres Europarechts wären Online-Werbeträger, die nicht in Deutschland niedergelassen sind, vom Werbeverbot nicht betroffen.

Den Lebensmittel- und Süßwaren-Werbern bliebe keine andere Wahl, als ihre Werbe-Milliarden aus deutschen Medien abzuziehen und auf US- und chinesische Online-Plattformen auszuweichen. Unsere nationalen Medien tun sich ohnehin schwer genug, sich gegen die digitale Übermacht aus Mountain View (Alphabet), Menlo Park (Meta), Seattle (Amazon) und Peking (TikTok) zu behaupten. Cem Özdemir würde unseren Medien mit seinem Vorhaben einen tödlichen Dolchstoß versetzen. Die Verbreitung von Fake-News, die wir US-Plattformen zu verdanken haben, drohte, überhand zu nehmen.

Lesen Sie auch: Diese Ernährungsfehler machen Sie weniger leistungsfähig

Die Medienvielfalt – das steht außer Frage – ist unverzichtbar für den Erhalt unserer Demokratie. Demokratie ohne Journalismus ist nicht vorstellbar. Angesichts der dramatischen Folgen dieser Entwicklung muss festgehalten werden, dass Politik und Gesellschaft die dringende Pflicht besitzen, unsere Medienvielfalt zu erhalten – nicht aber sie willentlich, sehenden Auges und mit Anlauf zu zerstören.

Reden statt Verbieten

Es ist kein Widerspruch, wenn uns darüber hinaus daran gelegen ist, dass sich unsere Kinder gesünder ernähren. Hierzu müssen dennoch nicht Medienvielfalt und Demokratie geopfert werden. Es reicht aus, sich mit der Industrie an einen Tisch zu setzen und zu reden. Uwe Storch betont: „Dem Trend zu kalorienarmer Ernährung in unserer Gesellschaft wird in der Lebensmittelindustrie mit vielen neuen Produkten, Initiativen und Verpackungsgrößen positiv begegnet, einfach weil die Nachfrage nach diesen steigt.“

Die Werbungtreibenden haben gute Argumente auf ihrer Seite. In den letzten Jahren wurde der Werbedruck auf Kinder unter 14 Jahren durch neue Werberatsrichtlinien oder die EU-Pledge-Selbstverpflichtung (U-13) um 95 Prozent gesenkt. In den Unternehmen der Lebensmittel- und Süßwaren-Industrie ebenso wie in den Werbe- und Mediaagenturen arbeiten Mütter und Väter, die am Wohl ihrer und unserer Kinder ein großes Interesse besitzen und hochmotiviert sind, neue Wege in der Ernährung zu beschreiten und Innovationen voranzutreiben.

Automarkt Verzögerte E-Wende: Das knallharte Kalkül der deutschen Autoindustrie

Die Antriebswende stockt: Politiker streichen Zuschüsse, Verkaufszahlen brechen ein, Zulieferer spielen auf Zeit – und der Verbrenner bleibt länger als erwartet. Doch Autofahrer sollten die Preise im Blick haben.

Agrarkonzern Was wirklich hinter dem Machtkampf bei der BayWa steckt

Nach dem Abgang des BayWa-Regenten Klaus Lutz räumt sein Nachfolger auf. Es war wohl höchste Zeit: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten streicht BayWa jetzt sogar die Dividende.

Tech-Aktien Diese KI-Profiteure sind Schnäppchen am Aktienmarkt

Die Kursexplosion bei den Halbleiterspezialisten Nvidia und Arm sind nur die halbe Wahrheit: Viele Profiteure mit KI-Potenzial werden noch übersehen. Sie sind gerade spottbillig zu haben.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Werter Cem Özdemir, werte Meinungsführer:innen im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, der von Ihnen vorgelegte Gesetzesentwurf ist nicht zu Ende gedacht. Bedenken Sie die Konsequenzen für den Fortbestand unserer Medien, unserer Medienvielfalt und unserer Demokratie. Reden statt Verbieten.

Lesen Sie auch: „Vielen ist nicht klar, dass Werbung ein Hauptverursacher für CO2-Emissionen ist“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%