Werner Abelshauser Die wahren Gründe des Wirtschaftswunders

Seite 2/2

Der Marshall-Plan und Ludwig Erhard

Heute vor vierzig Jahren starb der große Ökonom, Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard. Er bleibt viel zitiert - doch die Grundmelodie seines Denken wird sträflich ignoriert.
von Dieter Schnaas

Welche Rolle spielte der Marshall-Plan für den Wirtschaftsboom?
Der Marshallplan wird für Deutschland überschätzt. Er war eher ein Hilfsprogramm für Westeuropa und für den amerikanischen Süden. 70 Prozent der über den Marshallplan finanzierten Warenlieferungen nach Deutschland bestanden aus Tabak und Rohbaumwolle aus den USA. Deutschland konnte keinen einzigen Dollar aus diesem Hilfsprogramm frei und nach eigenen Wünschen investieren, obwohl Erhard sehr dafür gekämpft hat. Der Anteil von aufbaurelevanten Gütern lag bei zwei Prozent. Mehr noch: Deutschen Importeure wollten Marshallplangüter nicht, weil sie zu spät kamen, zu teuer waren oder sich - wie die Rohbaumwolle – nur schwer verarbeiten ließen. Erhard musste die Bank Deutscher Länder um Subventionen bitten und die Importeure vergattern, das Kontingent auszuschöpfen. Man muss sich das mal vorstellen: Marshallplangüter mussten subventioniert werden, damit man sie in Deutschland in Anspruch nahm!

Drei Fakten zu Ludwig Erhard

Würden Sie rückblickend sagen: Ludwig Erhard war ein erfolgreicher Politiker?
Seine politische Karriere war im Grunde eine Kette persönlicher Niederlagen. In wichtigen Streitfragen hat er gegen Adenauer fast immer den Kürzeren gezogen. Sei es bei der von den Amerikanern ausgebremsten Förderung der Konsumgüterindustrie, sei es bei der Rentenreform oder der Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Erhard wehrte sich stur gegen politische Entscheidungen, die seinem marktwirtschaftlichen Kompass zuwiderliefen. Bevor er Kompromisse machte, nahm er lieber eine politische Niederlage in Kauf. Als am Ende der Rekonstruktion in den Sechzigerjahren die Wachstumsraten einbrachen, war sein Image als „Vater des Wirtschaftswunders“ sofort schwer angeschlagen. 

Und was ist mit der Währungsreform und der Einführung der D-Mark? Die wird ja auch häufig Erhard zugerechnet. 
Na ja. Die USA wollten schon 1946 die Reform, weil klar war, dass die Reichsmark nichts mehr wert war. Pläne einer gesamtdeutschen Währung mussten bald ad acta gelegt werden, da die Russen davon eigene Vorstellungen hatten. Das Management der Währungsreform lag dann 1948 in den Händen von Edward A. Tenenbaum, einem  Leutnant (!) der Air Force. Er konnte dazu auf den ursprünglichen Plan zurückgreifen, an dem auch deutsche Exil-Wissenschaftler beteiligt gewesen waren. In der heißen Phase der Umsetzung haben die Amerikaner dann deutsche Finanzfachleute in einer Kaserne bei Kassel interniert, damit die Deutschen nicht stören. Dort entstanden 20 Konzepte für die Schublade. Erhards eigener Vorschlag war weniger radikal und wollte – anders als die Amerikaner - den späteren Lastenausgleich einbeziehen. Vor allem aber nutzte er die Reform, um öffentlichkeitswirksam die Bewirtschaftung einiger Konsumgüter aufzuheben.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%