Werner knallhart

Ätsch! Der echte Berliner ist ab jetzt der zugezogene

"Wenn du nicht in Berlin geboren bist, wirst du niemals Berliner sein". Der Spruch könnte entsprechend von Kölnern, Münchnern oder Hamburgern kommen. Zugezogene sollten den kleinbürgerlichen deutschen Großstädtern ab jetzt selbstbewusst kontern. Denn ohne sie läuft nichts.

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Berlin-Mitte Quelle: dpa

Vor einiger Zeit in einem Hotelrestaurant in Colombo, Sri Lanka. Ich erzähle einem Einheimischen am Frühstückstisch auf Nachfrage: „I am from Berlin.“

Da dreht sich am Nachbartisch einer um und dröhnt: „Ick hab Ihn zujehört. So, wie Sie beim Deutschrehn ehm jeklungen hahm, komm Se doch nich ous Balin.“

Ich: „Doch.“

„Jebürtig?“

„Nee.“

„Seen Se. Denn erzählen Se doch och nich, Se komm ous Balin.“

Meinem neugierigen einheimischen Tischnachbarn übersetzte ich flüchtig: „Someone from my city.“ Meine Stadt. Jawohl. Und zwar seit rund vier Jahren. So! Steht in meinem Ausweis. Kann ich beweisen.

So wollen junge Deutsche wohnen
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Stadtverkehr in Berlin Quelle: dpa
Stuttgart Zentrum Quelle: dpa
Freizeitgestaltung Quelle: dpa
studentische Wohngemeinschaft Quelle: Fotolia
Die Nordstadt in Dortmund Quelle: dpa
Schanzenviertel Hamburg Quelle: dpa

Nun werden viele Leser aus Berlin sagen: „Pff, Berliner ist man nicht laut Ausweis, Berliner ist man, wenn man von hier kommt.“ Und ich sage: Ä-ä! Stimmt nicht. Wo kämen wir sonst hin? (mein Lieblingsargument)

Der damalige sozialdemokratische Vize-Bundestagspräsident und offenbar stolze Berliner Wolfgang Thierse hatte ja vor einigen Jahren zu Protokoll gegeben: „Ich ärgere mich, wenn ich beim Bäcker erfahre, dass es keine Schrippen mehr gibt, sondern Wecken. Da sage ich: In Berlin sagt man Schrippen, daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen. Genau das gleiche mit Pflaumendatschi. Was soll das? In Berlin heißt das Pflaumenkuchen. Da werde ich wirklich zum Verteidiger des berlinerischen Deutsch. Ich wünsche mir, dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche. Sie kommen hierher, weil alles so bunt und so abenteuerlich und so quirlig ist, aber wenn sie eine gewisse Zeit da waren, dann wollen sie es wieder so haben wie zu Hause. Das passt nicht zusammen.“

Oje! Ich stelle mir Thierse beim Bäcker an der Theke vor: „In Berlin sagt man Schrippen!“ Wie gesagt: Der Mann war mal Bundestagspräsident. Das Beispiel ist zwar schon etwas älter, aber es passt so schön: Ersetzen wir das Wort Schwaben nämlich mal durch Türken - und Berlin durch Deutschland: „In Deutschland sagt man Ofenkartoffel, nicht Kumpir, daran könnten sich selbst Türken gewöhnen. Ich wünsche mir, dass die Türken begreifen, dass sie jetzt in Deutschland sind.“ Ho! Was wäre das für ein ausländerfeindliches, kleingeistiges Gefasel.

„Lass den Leuten doch ihren Regionalstolz“

Aber es passt: Berliner regen sich ja auch auf, wenn man beim Bäcker einen Berliner bestellt. Der mit Marmelade gefüllte Hefeteigknubbel heißt in Berlin Pfannkuchen. Aber die ersten Bäcker schreiben schon „Berliner“. Hihi, Revolution! In Hamburg bestellen Hamburger im Imbiss übrigens auch einen Hamburger.

Und das kennen wir doch alle:

„Du kannst dein halbes Leben in Köln leben, ein echter Kölner wirst du nie.“ Sagt man das jemanden aus Offenburg, gilt das als nett gemeinter Verweis auf die so liebenswerte Kölsche Seele, die ja bekanntlich angeboren ist. Sagt aber jemand zu einem Menschen aus Ghana: „Du kannst noch so lange in Deutschland leben, ein echter Deutscher wirst du nie“, dann klingt es so, als würde dieser Jemand aus sehr bedauernswertem Umfeld stammen.

von Christian Schlesiger, Simon Book, Jurik Caspar Iser

Und wie ist es mit „Dein deutscher Pass macht dich noch lange nicht zu einem echten Deutschen“? Mittelalter. Aber dass die Meldeadresse im Badischen einen noch lange nicht zum echten Badener macht, das ist natürlich nun mal so. „Lass den Leuten doch ihren Regionalstolz.“ Auf Kosten der Neuen, die sich gefälligst fremd fühlen sollen?

Eine Bekannte erzählte mir, sie sei wenige Stunden nach ihrer Geburt in einem Krankenhaus in Potsdam von ihren Eltern in die heimische Wohnung nach Berlin gebracht worden. Bis heute gönnt ihr ihr Berliner Umfeld nicht den Status Berlinerin. Denn in der Geburtsurkunde steht Potsdam. Bei allem kumpelhaften Scherzen - tief im Herzen fühlen die das so.

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