Werner knallhart
Geparkte Autos auf einem Radweg Quelle: dpa

Chaos durch Falschparker: Wer sie anzeigt, handelt edel

Falschpark-Egoisten lassen jeden Tag Tausende Autofahrer im Stau stehen. Vor Anzeigen schrecken viele Ausgebremste jedoch zurück. Aber wäre das nicht sogar sehr sozial? Einfach mal gemütlich per App eine Anzeige raushauen. Trauen wir uns das?

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Ich habe noch nie einen Falschparker angezeigt. Weil ich kein Spießer sein will. Andererseits: Ich habe mir schon vor langer Zeit die App „Wegeheld“ runtergeladen. Eingesetzt habe ich die App, mit der man Falschparker verpfeifen kann, wiederum noch nie. Himmel, diese zwei klopfenden Herzen in meiner Brust bringen mich noch um.

Meine Eltern haben mir schon als Kind eingeimpft: Man ruft nicht die Polizei, sondern man sucht das persönliche Gespräch. Äußerstes Mittel: Mit der Polizei drohen. Als wir Anfang der Achtzigerjahre beim Wochenendeinkauf auf dem Supermarktparkplatz einen Typen beobachteten, wie er dabei war, Hausmüll im Altglascontainer zu entsorgen, rief mein Vater mir (7) für den Abfall-Chaoten bestens hörbar zu: „Marcus, merk dir die Autonummer!“ Und dann sahen wir, wie der Heini bis zur Schulter im müffelnden Container versunken versuchte, seine Tüten aus den Scherben rauszufischen. Die Autonummer weiß ich bis heute.

Aber 110 wählen, weil jemand anders eine Ordnungswidrigkeit begeht? Für viele der Nachkriegsgeneration unerträglich. Verständlich.

Aber wie das oft so ist: Nun haben wir den Salat. Gerade im Straßenverkehr gilt heute das Prinzip „Kavaliersdelikt“. Haltung: Davon geht die Welt nicht unter. So ein bisschen rasen, drängeln, schlecht parken – das ist einfach Ausdruck von Selbstbewusstsein.

Wer ewig nach einem Parkplatz sucht, statt sich ins Halteverbot zu stellen, hat wohl zu viel Zeit. Und wer in der 30er-Zone 30 fährt, gut, der hat ja einen an der Klatsche.

Dass regelkonformes Fahren in Deutschland eigentlich nicht wirklich erwartet wird, zeigt sich bislang auch an der Höhe der Bußgelder in Deutschland. Wer etwa in zweiter Reihe parkt, was den Feierabendverkehr für viele Menschen um nicht enden wollende Minuten zwischen Abgasen und Lärm verlängern kann, zahlt bislang 20 Euro. Wer auf dem Radweg parkt, zahlt 20 Euro. Mit Behinderung: 30 Euro. Wer eine Busspur zu seiner Privatspur erklärt, weil sein Interesse, schneller voranzukommen, das Interesse der anderen offenbar überwiegt, zahlt 15 Euro.

Es gibt viele Gründe, sich über Gesetz und die anderen zu stellen. Alle Gründe sind schlecht: Der aus zweiter Hand erworbene AMG-Mercedes kommt auf der vom Fahrer höchstselbst auserkorenen Privatspur besser zur Geltung. Welche Lady kann da schon nein sagen? Oder es geht um die eigene Karriere. Der Termin wartet nicht. Was sind da schon 30 Euro? Das Amazon-Paket wird dort ausgeladen, wo es nebenan abgegeben wird. Und wenn es auf der Busspur ist. Das ist das Geschäftsmodell.

Die Falschpark-Egoisten machen dies aus Spaß oder in ihrer Not und können sich das erlauben, weil der Staat uns bislang sagt: Verkehrsbehinderung, na und?

Diese Ist-doch-Wurscht-Einstellung belegt folgender Vergleich: Wer in einer verkehrsberuhigten Zone bis zu drei Stunden parkt (die für alle da ist, Mensch!) und dabei sogar andere behindert, muss zahlen: 15 niedliche Euros. Das entspricht der Geldbuße für Parken ohne Parkschein (auf einem Parkplatz ohne Behinderung) von gerade mal bis zu einer Stunde. Entgangener Gewinn durch Parkgebühren sticht faire Aufteilung des Straßenraums also klar aus.

Widerstand gegen die Straßen-Egozentriker

Aber das soll so nicht bleiben. Denn es zeigt sich: Ein asozialer Straßenverkehr bedeutet im schlimmsten Fall sehr wohl den Weltuntergang. Stichwort CO2. Wenn nicht genügend Leute auf Bus, Fahrrad, E-Scooter und E-Stehroller umsteigen, weil es zu gefährlich, langwierig und frustrierend ist, wird es Probleme geben.

Und so formiert sich langsam Widerstand gegen die Straßen-Egozentriker: Wer sich rücksichtslos über andere erhebt, soll richtig blechen. Das fordert ein Bündnis von zwölf Verbänden – darunter der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club und die Deutsche Umwelthilfe – per Online-Petition vom Bundesverkehrsminister. Bußgeld von mindestens 100 Euro und ein Punkt in Flensburg für Falschparken. Zack! Gegen das Verkehrschaos in unseren Städten.

Die Grünen fordern auch höhere Strafen und die stellen ja vielleicht bald den Bundeskanzler. Und selbst Verkehrsminister Andreas Scheuer – gerade noch mit der für Deutsche finanziell neutralen PKW-Maut an die Wand gefahren –, zeigt sich mobilitätswendenfreundlich und will bei zugeparkten Radwegen mehr abkassieren. Also: Es wird sicherlich bald teurer für Radweg-/Busspur-/Zweite-Reihe-Zuparker. Yes!

Allerdings beklagen viele Kommunen und Polizisten: Was nützt ein höheres Bußgeld, wenn die Falschparker nicht erwischt werden? Guter Punkt. Und so kommen wir jetzt zu uns als braven Bürgern. Können wir hier nicht ganz unbürokratisch mithelfen, in dem wir die Auto-Asis gepflegt verpfeifen? Dagegen spricht: Was sagt das über die Art des Zusammenlebens aus, wenn wir einander bei den Behörden anschwärzen?

Recht einfach: Falschparken

Andererseits: Der Staat, die Behörden, das sind in unserer funktionierenden Demokratie nun mal die von uns, die wir damit beauftragt haben, für uns alle für Recht und Ordnung zu sorgen. Der Staat sind wir. Und wenn wir nicht genügend von uns beauftragt haben, um alles im Griff zu behalten, weil uns das zu teuer ist, müssen wir eben selber ran.

So, wie die Menschen im heißen Sommer die Büsche an der Straße vor ihrem Zuhause selber gegossen haben, weil die städtischen Grünpfleger einfach nicht nachgekommen sind. So, wie hunderte Freiwillige in Jugendtreffs, Tafeln und Hospizen ehrenamtlich helfen, weil sonst unser soziales Netz zerreißen würde. Warum sollten wir dann nicht auch ehrenamtlich die Ordnungsbehörden dabei unterstützen, die Straßen freizuhalten, damit alle ungehindert zur Arbeit, zu Schule und wieder nach Hause kommen?

Und dafür gibt es ja Hilfsmittel. Wie seit Jahren die App „Wegeheld“. Der Name zeigt gleich die Stoßrichtung: Wer Falschpark-Asis anzeigt, ist eben kein Spießer, sondern kann stolz auf sich sein. Er ist ein Robin Hood der StVO. Aber wer traut sich das?

Über die App kann man Falschparker richtig offiziell bei den Behörden anzeigen. Mit Beweisfoto und den Angaben zur eigenen Person. Kein anonymes feiges Bloßstellen in der Öffentlichkeit also.
Aber auch ohne App geht das. Mit Foto oder Video per Mail etwa.

Ist das in Ordnung? Ich finde: aber ja. Der Fiese ist schließlich der, der sich über das Gesetz stellt. Der Anzeigende handelt nach seinem eigenen Gerechtigkeitsmaßstäben und dringt nur soweit durch, wie sie mit den demokratisch legitimierten Maßstäben übereinstimmen. Geht es besser? Im Zweifel muss ein Richter entscheiden, ob das Foto als Beweismittel ausreicht.

Das Schlimmste, was einem Rechtsstaat passieren kann, ist, dass die Bürger sich per repräsentativer Demokratie selber Regeln auferlegen, aber es als unangemessen/peinlich/kleinlich ansehen, sie durchzusetzen. Es kann nur zwei Wege geben: besagtes Gesetz abschaffen, wenn es aus Sicht der Mehrheit überzieht, oder seine Einhaltung mit Kraft durchsetzen.

Im Moment sieht es danach aus, als wenn die laschen Anti-Egoisten-Gesetze bald zugunsten aller verschärft werden. Insofern muss doch eigentlich keiner ein schlechtes Gewissen haben, dabei mitzuhelfen, dass es mit dem Zusammenleben in unseren Städten besser klappt.

Ach, ich glaube, ich will jetzt auch ein StVO-Held werden. Mit App oder ohne. So gesehen auch ein Beitrag gegen den Klimawandel. Wer kann dazu heute noch nein sagen?

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