Ich erinnere mich an einen kleinen rhetorischen Triumph als Teenager, da war ich etwa 15. Ich war allein zu Hause, da klingelte es an der Tür und vor mir stand ein etwa 60 Jahre alter Mann mit einem Jungspund, ganz offenbar sein Eleve, etwas jünger als ich. Die beiden waren dem Wachturm nach von den Zeugen Jehovas und der Mann sagte zum Jungen: „Ach guck mal, auch ein junger Mann, dann überlasse ich einfach mal dir das Wort. Der junge Mann wird doch sicher nicht böse sein, wenn du ihm ein paar Fragen stellst.“
Ich sagte: „Doch.“
„Wie? Sie würden ihm böse sein?“
„Ja.“
„Ach so, na dann: Komm, wir gehen lieber.“
Diskussion beendet. Der Kleene hatte seine Lektion gelernt: Billige rhetorische Tricks gehen nach hinten los, wenn der andere das Spiel entlarvt. Und das ist ja das Prinzip rhetorischer Kniffe: Dem anderen keine Wahl lassen, als dem, was Sie sagen, gedanklich zuzustimmen. Wer das durchschaut, kann kontern.
Totschlag-Argument 1: „Das kann man doch gar nicht miteinander vergleichen.“
Zunächst einmal gilt: Man kann alles mit einander vergleichen. Sogar Äpfel mit Birnen. Ein Apfel ist kugeliger als eine Birne. Fertig ist der Vergleich.
Oft kommt bei einem Vergleich auch heraus, dass Gemeinsamkeiten bestehen.
„Ich mag Eis mit Schlagsahne viel lieber als Schweinshaxe.“
„Was ist das denn für ein abstruser Vergleich?“
„Wieso? Beides sind Kalorienbomben.“
Jeder Vergleich ist also erlaubt, es kommt nur auf den Aspekt an, den man herausgreift. Und das ist die Crux. Denn hier gräbt man sich ganz schnell selber eine Grube:
„Ich verstehe nicht, warum in Berlin in Kneipen immer noch geraucht werden darf. In Thailand darf man mitunter sogar nicht mal mehr unter freiem Himmel rauchen.“ Hier zielt der Vergleich auf das Verbot unter freiem Himmel, das weit über deutsche Standards hinausgeht. Aber Achtung. Jetzt der Konter: „Sie wollen doch nicht ernsthaft unser Berlin mit der sich an die Macht geputschten Militär-Regierung in Thailand vergleichen!“
Autsch! Das Das-kann-man-nicht-vergleichen-Argument, das auf einen ganz anderen Aspekt des Vergleichs abzielt: die politische Lage jeweils vor Ort. Ein häufiger Trick. Jetzt müssten Sie eine Erklärung nachliefern, oder noch besser: Sie graben dem vorhersehbaren Konter von vornherein das Wasser ab:
„Warum kriegt es Berlin nicht hin, Nichtraucher in der Gastronomie zu schützen, wenn selbst Länder wie Thailand, das im Moment wirklich andere politische Sorgen hat, das Rauchen zum Schutz der Bevölkerung mitunter sogar unter freiem Himmel verbieten?“
Totschlag-Argument 2: "Wo kommen wir denn da hin?"
So abgedroschen es klingt: Dieses Argument ist das Totschlag-Argument aller konservativen Bewahrer. Denn scheinbar alles, was neu ist, droht zu eskalieren.
Beispiel: die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer. Sie lehnt die Gleichstellung der Ehe zwischen Homosexuellen mit der Ehe zwischen Heterosexuellen ab und zwar mit dem Dammbruch-Argument: Dann „sind andere Forderungen nicht auszuschließen: etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen.“
Das eine nicht wollen, weil dann automatisch etwas anderes droht. Dieses Argument ist so unfair wie effektiv. Man lehnt einen Standpunkt ab, in dem man ein ganz anderes Szenario an die Wald malt und das dann ablehnt. Der Gegner läuft dann Gefahr, sich in seiner Verteidigung auf das neue Szenario einzuschießen, und damit in die Falle zu tappen. Dieser Trick lässt sich universell anwenden:
„Erst wird in Kneipen das Rauchen verboten, und als nächstes der Alkohol.“
„Wenn Leute auf kommunaler Ebene ab 16 wählen dürfen, dann wählen die bald mit 14 im Bund.“
„Wenn wir auf Landstraßen Tempo 80 einführen, was kommt als nächstes? 30 innerorts?“
Mein Lieblings-Konter: „Mit diesem Argument hätte man damals auch niemals das Tempolimit 100 einführen dürfen. Denn es besteht bei jeder Obergrenze die Option, sie irgendwann zu verändern.“
Etwas nicht zu ändern, weil danach irgendwann weitere Änderungen anstehen könnten, verdammt einen zu ewigem Nichtstun. So kommt das Saarland nie aus dem Quark.
Totschlag-Argument 3: Der Vorwurf mit dem General-Verdacht
Wenn Dinge krumm laufen, liegt es oft an uns. Nennen wir es menschliches Versagen. Weil aber nicht immer alle Menschen versagen, sondern meist nur einzelne, kommt es darauf an, dieses einzelne Versagen aufzuspüren und rechtzeitig zu verhindern.
Beispiel: Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine wurde darüber diskutiert, ob man Piloten künftig zu regelmäßigen psychologischen Tests schicken sollte, die über das bisher Übliche hinausgehen. Aber das wollten viele Piloten nicht. Das Argument: Das stelle die Piloten unter einen General-Verdacht. Hä?
Keiner unterstellt, dass Piloten allesamt krank seien. Es geht darum, die wenigen zu finden, denen es nicht gut geht, um Katastrophen zu verhindern.
Auch Video-Überwachung auf öffentlichen Plätzen wird von vielen in der Politik mit dem Argument abgelehnt, dies stelle die Bevölkerung unter General-Verdacht. Warum? Es gibt doch bessere Argumente: Einschränkung der Freiheit, weil ja nicht mehr jeder unentdeckt durch die Gegend laufen kann, da ist zweifellos was dran. Aber ein Generalverdacht gegenüber jedem, der vor die Kamera flaniert, besteht ja nun wirklich nicht.
Wenn man Flüchtlinge nach ihrer Einreise mit Fingerabdruck registriert, dann ist das nicht Ausdruck eines General-Verdachts, jeder Migrant wolle Leistungen erschleichen oder Straftaten begehen. Sondern das ist eine Routine, um schwarze Schafe aufzuspüren.
Wenn man fordert, alle Autofahrer ab 75 Jahren zu einem Eignungs-Test zu schicken, stellt das nicht alle Senioren unter Generalverdacht, sondern man will jene aus dem Verkehr ziehen, die wirklich nicht mehr Herr der Lage sind, was mit steigendem Alter nachweislich wahrscheinlicher wird.
Wenn man am Geldautomaten seine PIN eingeben muss, wird damit nicht jedem Kunden pauschal unterstellt, man sei ein Bankräuber oder Betrüger.
Mit dem General-Verdachts-Argument zieht man schnell die Massen auf seine Seite. Denn welcher unbescholtene Bürger will plötzlich als potenzieller Täter im Fokus stehen? Der beste Konter: „Um die Nadel im Heuhaufen zu finden, muss man das Heu eben wenden. Trotzdem geht es nicht ums Heu.“
Oder Sie kürzen das ganze Gerede ab frei nach Otto:
„Ich könnte Ihnen noch viele Argumente nennen, wenn ich nur welche wüsste.“