Werner knallhart
Ruhrgebiet: Wo bleibt Europas Megacity „Ruhrstadt“? Quelle: imago images

Ruhrgebiet: Wo bleibt Europas Megacity „Ruhrstadt“?

Das Leben im Ruhrgebiet mag nett sein. Aber das Image der Gegend schwankt zwischen „da war mal was“ und „bemitleidenswert“. Eine Fusion zur gigantischen Ruhrstadt könnte das schlagartig ändern.

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Ich habe nie im Ruhrgebiet gewohnt und es steht mir auch nicht bevor. Deshalb kenne ich die Befindlichkeiten dort nur aus Erzählungen. Und aus dem Fernsehen. Aber hier soll es ja um die Außenwirkung des Ruhrgebiets gehen. Da kommt einem seine Position als Außenstehender eigentlich ja sehr gelegen.

Mal ein kleines Gedankenexperiment: Denken Sie nacheinander an Deutschlands größte Städte. Was kommt Ihnen an allgemeingültigen Dingen in den ersten zehn Sekunden in den Sinn (also ohne sehr persönliche, romantische Erinnerungen oder so).

Mir bei München: Silhouette mit Zwiebeltürmen, Nähe zu Alpen, Oktoberfest, BMW, wirtschaftliche Stärke und dann diese ganzen Pinakotheken.

Köln: Dom, Rhein, WDR, RTL, Karneval, Kölsch, Veedel, Klüngel, verstopfte Fußgängerzone, CSD, Adenauer.

Hamburg: Elbphilharmonie, Fischmarkt, Reeperbahn, Mönckebergstraße, Musicals, Elbtunnel, übervoller Hauptbahnhof, Tagesschau, riesige Modelleisenbahn.

Berlin: quirligste Stadt Europas, Magnet für junge Menschen von überall, Weltküche, Trendsetter, Start-up-Zentrum, Tiergarten, Vorreiter bei der Verkehrswende.

Jetzt das Ruhrgebiet: Stillstehende Fördertürme, Bergbaumuseen, kalte Hochöfen, ThyssenKrupp, Gasometer, Fußball, Museum Folkwang, Aldi (Die Wuppertaler Schwebebahn ist Bergisches Land).

Wie gesagt: Das Erwähnte ist nicht das Ergebnis einer akribischen Recherche. Das war ein Brainstorming. Das ist das Image. An alle, die wie ich nicht im Ruhrgebiet leben: Weicht Ihr Eindruck stark ab?

Und an alle, die im Ruhrgebiet leben: Nicht explodieren jetzt! Natürlich gibt es dort viel mehr, auch Schönes. Aber genau darum geht es. Wir Außenstehenden nehmen das nicht wahr.

Leute in der ganzen Welt, die noch nie in Berlin waren, haben eine konkrete Vorstellung davon, warum sie unbedingt mal hinwollen. Leute, die noch nie im Ruhrgebiet waren, wissen genau, warum nicht.

Das ist doch irre! Das Ruhrgebiet ist Deutschlands größter Ballungsraum. Mit gut fünf Millionen Einwohnern größer als Berlin. Warum macht das Ruhrgebiet nichts aus dieser Schlagkraft?

Ruhrgebiet: „Für alle, denen Berlin zu klein ist…“

Sicher, es gibt die gemeinsame Vermarktung als „Gebiet“, als Metropole Ruhr. Eben als Kompromiss. Auch in der Hauptstadt tauchen ab und an in Postkartenständern vor Kneipentoiletten Ruhrgebiet-Werbesprüche auf wie „Für alle, denen Berlin zu klein ist…“. Aber das Ruhrgebiet ist gefühlt ein Sammelsurium an kleinen und großen Städten, die sich immer nur zu besonderen Anlässen zusammenraufen. Als Kulturhauptstadt 2010 hieß das Ganze RUHR.2010. Diese Schriftsprache sieht schon von weitem nach Werbeagentur aus.

In Wirklichkeit sind das Ruhrgebiet Orte wie Bochum, Bottrop, Mühlheim an der Ruhr, Dortmund, Duisburg, Oberhausen, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Wesel, Herne, Recklinghausen, Unna und Hattingen. Insgesamt 15 Kreise und kreisfreie Städte.

Zu allem Unglück ist das Ruhrgebiet verwaltungstechnisch zerschnitten und aufgeteilt in die drei Regierungsbezirke Düsseldorf, Münster und Arnsberg. So ist die Region zwar kulturell und wirtschaftsgeschichtlich eine Einheit. Aber das Land NRW hat alles getan, um es dem Ruhrgebiet schwer zu machen, sich auch in der Verwaltung zu vereinen.

Es gibt ja immer mal wieder Zuckungen, das Ruhrgebiet zu einer Art eigenem Regierungsbezirk zu verschmelzen. Aber Moooooment. So einfach geht das nicht in NRW. Was hat man denn schließlich in Münster oder Arnsberg oder Düsseldorf davon, wenn man das Ruhrgebiet stärkt, in dem man ihm Verwaltungsmacht abtritt?

Ruhrgebiet: Seid Ihr nicht erst zusammen richtig stark?

Das Ruhrgebiet ist auch auf innere Konkurrenz programmiert. Dortmund und Essen wollen beide jeweils Deutschlands achtgrößte Stadt sein (gerade liegt offenbar Dortmund vorne). Die Dortmunder sehen sich sowieso irgendwie eher als Westfalen. Kooperation kann es gerne im Marketing geben, aber doch bitte nicht in der Verwaltung. Und überhaupt: Zusammenlegungen bedeuten nicht unbedingt mehr Effizienz.

Nicht unbedingt. Aber effizienter könnte es ja dort sein, wo es geht. Siehe Berlin mit seinen vielen bekannten Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte oder Neukölln. Alles starke Marken. Unter der Dachmarke Berlin. Und das sind echte Marken. Und keine Werbeagentur-Pitch-Storys.

Lasst Dortmund halt Westfalen sein, wenn die nicht wollen. Und der Rest wird Ruhrstadt. Die dann auf dem ganzen Kontinent als eine der größten Städte Europas wahrgenommen wird. Mit den Ruhrstadt-Unis, einer gemeinsamen Telefonvorwahl, einem einheitlichen Autokennzeichen, einem besser auf einander abgestimmten ÖPNV und einem Oberbürgermeister über einer Handvoll Bezirksbürgermeistern.

Kulturelle Highlights wie das Folkwang-Museum in Ruhrstadt-Essen oder von mir aus auch Starlight Express in Ruhrstadt-Bochum und Shopping Marke Ruhrstadt-Oberhausen färben dann auf Deutschlands Riesengroßstadt ab. Typisch Ruhrstadt eben.

Der Mix aus Industriegeschichte, Flüssen, dem vielen Grün an den Kanälen weiter draußen und dem Flickenteppich aus bunten Bezirken wird sein, was diese Stadt weltweit einzigartig machen wird.

Ruhrstadt als Start-up-Paradies – Ruhrstadt mit seinen Sternerestaurants – Ruhrstadt startet durch.

Seid Ihr nicht erst zusammen richtig stark? Als Außenstehender würde ich sagen: Wenn das Ruhrgebiet die Jungen, die Kreativen, die gut Ausgebildeten haben und behalten will, braucht es ein Gesamtkonzept. Wie soll es gelingen, endlich mit Schmackes aus dem Quark zu kommen, wenn selbst ein Verwaltungsneustart nicht zu schaffen ist, weil Missgunst, ungleiches Wirtschaften und Konkurrenz einen zu Gegnern machen?

Die größte Stadt in Deutschland ist Berlin. An das Ruhrgebiet denkt bei der Frage nach Größe bislang außerhalb des Ruhrgebiets kaum einer. Aber wäre das nicht endlich wieder mal schön?

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