Nun ist es aber so, dass Schrift nur ein Vehikel ist, um gesprochene Sprache zu konservieren. Die gesprochene Sprache ist das Original. Textelemente, die man nicht sprechen kann, sind codierte Informationen, aber keine Sprache. Lesen Sie mal Texte in Anführungsstrichen und Klammern vor, ohne beschreibend mit den Händen zu wedeln. Und nun sollen 58 Geschlechtsidentitäten als codierte Info per * reingepresst werden? Ich finde das unbeabsichtigt diskriminierend, oder zumindest fürchterlich unbeholfen.
Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern
Die Berechnung stützt sich allein auf den durchschnittlichen Stundenlohn. Aus den 21 Prozent lässt sich also nicht ableiten, dass alle Frauen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer verdienen. Die Qualifikation der Beschäftigten und ob sie Voll- oder Teilzeit arbeiten, wird nicht berücksichtigt. Daran stören sich Kritiker. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wendet zum Beispiel ein, die Berechnung sei „kein Indikator für mögliche Diskriminierung, denn er vergleicht eben gerade nicht vergleichbare Tätigkeiten miteinander“.
Die Statistiker führen rund zwei Drittel der Differenz darauf zurück, dass Frauen in eher schlechter bezahlten Berufen tätig sind - zum Beispiel als Reinigungskraft (Frauenanteil 85 Prozent) oder Verkäuferin (73 Prozent). Deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit, deutlich weniger in höheren Führungsebenen.
Das letzte Drittel der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern lässt sich daraus aber nicht erklären: Dem Statistischen Bundesamt zufolge verdienen Frauen auch bei ähnlicher Tätigkeit und Qualifikation im Schnitt sieben Prozent weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen. Das wird unter anderem damit erklärt, dass Frauen häufiger eine Auszeit vom Beruf nehmen - um sich um Kinder zu kümmern oder Angehörige zu pflegen. Und sie treten bei Gehaltsverhandlungen anders auf.
Denkbar schlecht. EU-weit betrug der Rückstand 2013 lediglich 16 Prozent. In Slowenien zum Beispiel verdienten Frauen im Schnitt 3,2 Prozent weniger als Männer, in Italien 7,3 Prozent. Nur in Estland (30 Prozent), Österreich (23 Prozent) und Tschechien (22 Prozent) war die Lücke noch größer als hierzulande.
Davon gehen Experten zumindest aus. „Wenn der Mindestlohn eingehalten wird, werden Frauen davon profitieren, weil eben der größere Teil derjenigen, die unter 8,50 Euro verdient haben, Frauen waren“, sagt Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auch Hermann Gartner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet einen solchen Effekt. Erhebungen gibt es aber noch nicht.
Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die Entwicklung zumindest abzumildern. Ein Ziel ist demnach, dass Unternehmen ab 500 Beschäftigte künftig transparenter machen sollen, was Frauen und Männer verdienen. Einen Gesetzesentwurf gibt es allerdings noch nicht.
Das merkt man daran, wenn man versucht, den *-Text vorzulesen. Wenn ein * für 58 Gender steht, was soll man dann sagen?
Es gibt wahrhaftig Aussprache-Vorschläge von Wissenschaftlern, wie man das Sternchen sprechen soll. Per „Glottisschlag“, bei dem sich die Stimmlippen im Kehlkopf stimmlos und leise knackend öffnen, wie beim E bei Spiegel-Ei (anders als bei Spiegelei). Dazu soll man dann eine streichende Handbewegung machen. Also „Fahrer (kurzes Innehalten des Kehlkopfes und Handbewegung) Innen“. Ich wage eine Prognose: Durchsetzungswahrscheinlichkeit 0%. Und was sollen Blinde und Radiohörer davon halten?
Das Dilemma ist: Neue gesellschaftliche Offenheit trifft auf über Jahrhunderte gewachsene Sprache. Letztere lässt sich nicht mit geschlossenen Stimmlippen umpusten. Wie schwer es ist, den Muttersprachler neue Sprachregelungen beizubringen, zeigt die Rechtschreibreform Ende der 90er-Jahre und die Diskussion um den Negerkuss. Das Anliegen ist gut, doch die Akzeptanz scheitert am alten Trott.
Der * ist ein gut gemeintes, aber untaugliches Symbol, das Texte unlesbar macht. Bei „Fahrer*innen“ liest jedes Gehirn „Fahrerinnen“. Und warum sollte von allen 60 Gendern nun ausgerechnet die eine Wahrnehmung auf der Frau liegen?
Dann können wir genauso mit dem generischen Maskulinum „Fahrer“ weitermachen, der schließt offiziell alle Geschlechter ein, tendiert in seiner Wahrnehmung durch die Menschen nach Untersuchungen zwar eher zum Mann, aber eben nur „eher“ Richtung Mann und nicht eindeutig Richtung Frau wie bei „innen“, ist außerdem immerhin kürzer, lesbar und ist bereits gelernt.
Wem nun der Puls hochgeht, der muss jetzt einmal bitte auf neutral schalten. Geben Sie folgendem Gedanken eine Chance: Der * ist ein unaussprechbares Symbol für 58 Gender. Einfach per Definition. Warum definieren wir nicht an einer anderen Stelle um?
Wir definieren: „Die Fahrer“ ist gender-neutraler Plural. Er war bis 2017 maskuliner Plural, der lange Zeit generisch auch für die weibliche Fassung stand. Dann kam das -innen, um den Frauen genüge zu tun. Aber weil das schon nicht ordentlich lesbar war und der * als noch unbelegtes Symbol auf der Tastatur noch mehr Gedankenchaos verursacht hat, haben wir alles zurückgeschnitten und den Männern ihr grammatikalisches Geschlecht einfach weggenommen. Für alle 60 Gender.
„Liebe Fahrer, liebe Studenten, liebe Kollegen“ meint dann ausdrücklich Männer, Frauen, Transvestiten, Butches, Transgender und alle anderen.
Nehmt den Männern ihre exklusive knackig-kurze Endung. Sprechbare Bezeichnungen für alle! Die Männer hätten dann keinen eigenen Plural mehr, die Frauen wären ihr unlesbares „/-innen (-innen) Innen“ los und die 58 anderen ihr *. Wie im Englischen. Oder fällt Ihnen es etwas Praktikableres ein, was Chancen hat, von einem Großteil derer, die Deutsch schreiben, lesen und sprechen, in Herz und Hirn aufgenommen zu werden? Und ich meine jetzt nicht nur die Abgeordneten von Linken, Grünen und SPD auf Twitter. Sondern alle.
Wer als Teil einer kleinen, feinen, außergewöhnlichen Minderheit gemeinsam mit anderen 58 kleinen, feinen, außergewöhnlichen Minderheiten ganz unprätentiöser Teil einer bunten Gesellschaft sein möchte und können soll, der darf nicht mit unaussprechbaren Sonderzeichen abgespeist und sprachlich an den Rand gedrängt werden.
Und statt „Meine Damen und Herren“ künftig „Hallo Leute“. Warum eigentlich nicht?