Werner knallhart
Quelle: imago images

Standortnachteil Regionalstolz: Von wegen Deutsche Einheit

Viele Einheimische grenzen andere Deutsche aus und nennen es Regionalstolz. Mal ist das lustig und harmlos, mal einfach nur feindselig. Ein echter Standortnachteil. Aber Zugezogene können selbstbewusst kontern.

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Ausgrenzung aus Regionalstolz ist wie Rassismus, nur noch provinzieller. Eine flüchtige Bekannte erzählte vor einiger Zeit auf einer Party in Berlin: „Ich bin keine echte Berlinerin. Obwohl ich mein ganzes Leben in Berlin verbracht habe. Weil: Ich bin in Potsdam geboren. Meine Eltern lebten damals zwar in Berlin und sind noch am Tag meiner Geburt mit mir nach Hause gefahren. Aber ich war eben einige Stunden zu Beginn meines Lebens in Potsdam. In meinem Ausweis steht: Geburtsort Potsdam. Und mein Leben lang bekomme ich jetzt zu hören: Sorry, aber eine echte Berlinerin bist du nicht.“

Die Frau neben ihr schwenkte versonnen ihr Weißweinglas: „Ja, bist du ja auch nicht.“

Nun bin ich selbst ein nach Berlin Zugezogener. Als ich einst einem neugierigen Tischnachbarn in einem Restaurant in Bangkok erzählte, dass ich aus Berlin sei, mischte sich ein Deutscher von einem dritten Tisch aus ein: „Sind Sie in Berlin geboren?“

„Nein, das nicht.“

„Dann erzählen Sie doch auch nicht herum, dass Sie aus Berlin sind.“

Jesses! Da grenzte mich doch glatt ein Berliner auf der anderen Seite der Erde aus.

Ginge es nach der Logik vieler Ur-Berliner, dürfte ich mich mein Leben lang praktisch nirgends richtig dazugehörig fühlen.

Irre! Keinem New Yorker würde es in den Sinn kommen, die Zugehörigkeit zur Stadt an die Bedingung der Geburt in einem New Yorker Krankenhaus (oder Taxi) zu knüpfen. Man gehört dazu, wenn man das New Yorker Leben lebt. Wenn man mitmacht.

Aber nicht nur in Berlin, in ganz Deutschland fühlt es sich so an, als wäre man nur dort wirklich zu Hause, wo man geboren ist.

Im badischen Bühl war ich von der siebten bis zur zehnten Klasse als der Junge aus Niedersachsen immer der Fischkopp. Noch in der Oberstufe sagte mir eine Mitschülerin, mein Hochdeutsch klinge arrogant. Dabei hatte ich mir in meiner Not im Laufe der Jahre unbewusst ein Hochdeutsch mit badischem Singsang angewöhnt, um nicht allzu sehr aus dem Rahmen zu fallen. Wenn ich heute alte Videos aus Teenagerzeiten angucke, kann ich kaum hinhören.

Auch das Nachbarmädchen durfte nicht so oft mit meiner Schwester spielen, damit es ihren badischen Dialekt nicht verlernt.

Aber man musste nicht von der Küste kommen, um zu merken, wie fremd man war. Schwaben erging es nicht anders. Zwar wusste keiner der Teens mehr, warum Baden und Schwaben was gegeneinander hatten, aber es war ihnen von den Eltern so erklärt worden. Ausgrenzung als Ausdruck von Regionalbewusstsein - das hat in manchen Familien Tradition.

Erst zu Beginn meines Studiums in Freiburg fühlte ich mich nach Jahren nicht mehr als Sonderling. Weil an der Uni Leute von überall herkamen.

In meinen 13 Jahren in Köln verstand ich nie so recht das Gekabbel zwischen der Domstadt und Düsseldorf. Es klang immer lustig. Aber alles nur Spaß? Wer in Köln ein Düsseldorfer Alt statt eines Kölsch bestellt, wird zwar nicht geköpft, aber so blöd angeguckt, als bestellte er einen Whopper bei McDonald´s. Weil Köln und Düsseldorf irgendwie Konkurrenten sind. Weiß heute noch jemand wieso?

Im Fußball ist die Rivalität der Regionen und Städte ja Teil des Spiels. Aber im alltäglichen Zusammenleben? Bei großen Entscheidungen von wirtschaftlicher und politischer Tragweite?

Aus Angst, gegenüber dem Nachbarn den Kürzeren zu ziehen, versäumen es auch die Städte im Ruhrgebiet, sich zu einer schlagkräftigen Ruhrstadt zu verschmelzen. Einer der größten Metropolregion Europas gelingt das nur über ein städteübergreifend abgestimmtes Stadtmarketing und sie kommt bislang über einen Regionalverband nicht hinaus. Weil keiner der mittelgroßen Einzelstädte gerne zurückstecken will. Altes bewahren auf Kosten der Zukunft. Denn wer will schon Stadtteil seines Nachbarn werden? Gibt es keine Lösung, das fair zu organisieren? Was wäre eine Ruhrstadt wohl für ein prächtiger Haudegen? Sogar ganz ohne Kohleindustrie...

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