Aber das soll so nicht bleiben. Denn es zeigt sich: Ein asozialer Straßenverkehr bedeutet im schlimmsten Fall sehr wohl den Weltuntergang. Stichwort CO2. Wenn nicht genügend Leute auf Bus, Fahrrad, E-Scooter und E-Stehroller umsteigen, weil es zu gefährlich, langwierig und frustrierend ist, wird es Probleme geben.
Und so formiert sich langsam Widerstand gegen die Straßen-Egozentriker: Wer sich rücksichtslos über andere erhebt, soll richtig blechen. Das fordert ein Bündnis von zwölf Verbänden – darunter der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club und die Deutsche Umwelthilfe – per Online-Petition vom Bundesverkehrsminister. Bußgeld von mindestens 100 Euro und ein Punkt in Flensburg für Falschparken. Zack! Gegen das Verkehrschaos in unseren Städten.
Die Grünen fordern auch höhere Strafen und die stellen ja vielleicht bald den Bundeskanzler. Und selbst Verkehrsminister Andreas Scheuer – gerade noch mit der für Deutsche finanziell neutralen PKW-Maut an die Wand gefahren –, zeigt sich mobilitätswendenfreundlich und will bei zugeparkten Radwegen mehr abkassieren. Also: Es wird sicherlich bald teurer für Radweg-/Busspur-/Zweite-Reihe-Zuparker. Yes!
Allerdings beklagen viele Kommunen und Polizisten: Was nützt ein höheres Bußgeld, wenn die Falschparker nicht erwischt werden? Guter Punkt. Und so kommen wir jetzt zu uns als braven Bürgern. Können wir hier nicht ganz unbürokratisch mithelfen, in dem wir die Auto-Asis gepflegt verpfeifen? Dagegen spricht: Was sagt das über die Art des Zusammenlebens aus, wenn wir einander bei den Behörden anschwärzen?
Recht einfach: Falschparken
Kurierfahrer eines Paketdienstes hatten zum Ein- und Ausladen in Halteverbotszonen geparkt. Prompt bekamen die Fahrer von der Stadt Strafmandate. Die Bußgelder zahlte der Paketdienst. Davon bekam das Finanzamt Wind. Das Unternehmen sollte die gezahlten Bußgelder als Arbeitslohn versteuern. Das Finanzgericht Düsseldorf jedoch widersprach (1 K 2470/14 L, nicht rechtskräftig). Schließlich seien die Bußgelder gegen den Paketdienst verhängt worden, und das Unternehmen habe die Strafzettel aus Eigeninteresse gezahlt.
Ein Autofahrer ignorierte alle Parkvorschriften und sammelte innerhalb von 24 Monaten rekordverdächtige 83 Knöllchen wegen Falschparken. Die Behörden forderten den notorischen Falschparker auf, ein Gutachten über seine Fahreignung abzugeben. Darauf reagierte der Parksünder aber nicht. Weil kein Gutachten vorlag, entzog ihm das zuständige Landesamt die Fahrerlaubnis. Dagegen klagte der Falschparker – ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Berlin sah das Landesamt im Recht (11 L 432/16). Auch ohne Punkte in der Flensburger Verkehrssünderdatei könne Autofahrern die Fahrerlaubnis entzogen werden. Dies gelte, wenn diese aus anderen Gründen, etwa wegen charakterlicher Mängel, nicht geeignet seien.
An einem Samstag stellte ein Autofahrer nachts sein Fahrzeug auf einem privaten Parkplatz für Bahnbedienstete ab. Er legte einen Zettel mit seiner Handynummer hinter die Windschutzscheibe. Als er drei Stunden später zum Parkplatz zurückkehrte, war sein Auto abgeschleppt. Der Falschparker musste 253 Euro an den Abschleppdienst zahlen. Einen Teil der Gebühren wollte er zurück, schließlich seien sie überhöht. Keine Chance, meinte das Amtsgericht München (122 C 31597/15). Der Nachtzuschlag von 65,50 Euro sowie die Kosten für Dokumentation von 23 Euro seien zulässig. Schließlich hätten Schilder den Parkplatz eindeutig als Abstellfläche für Autos von Bahnangestellten ausgewiesen.
Andererseits: Der Staat, die Behörden, das sind in unserer funktionierenden Demokratie nun mal die von uns, die wir damit beauftragt haben, für uns alle für Recht und Ordnung zu sorgen. Der Staat sind wir. Und wenn wir nicht genügend von uns beauftragt haben, um alles im Griff zu behalten, weil uns das zu teuer ist, müssen wir eben selber ran.
So, wie die Menschen im heißen Sommer die Büsche an der Straße vor ihrem Zuhause selber gegossen haben, weil die städtischen Grünpfleger einfach nicht nachgekommen sind. So, wie hunderte Freiwillige in Jugendtreffs, Tafeln und Hospizen ehrenamtlich helfen, weil sonst unser soziales Netz zerreißen würde. Warum sollten wir dann nicht auch ehrenamtlich die Ordnungsbehörden dabei unterstützen, die Straßen freizuhalten, damit alle ungehindert zur Arbeit, zu Schule und wieder nach Hause kommen?
Und dafür gibt es ja Hilfsmittel. Wie seit Jahren die App „Wegeheld“. Der Name zeigt gleich die Stoßrichtung: Wer Falschpark-Asis anzeigt, ist eben kein Spießer, sondern kann stolz auf sich sein. Er ist ein Robin Hood der StVO. Aber wer traut sich das?
Über die App kann man Falschparker richtig offiziell bei den Behörden anzeigen. Mit Beweisfoto und den Angaben zur eigenen Person. Kein anonymes feiges Bloßstellen in der Öffentlichkeit also.
Aber auch ohne App geht das. Mit Foto oder Video per Mail etwa.
Ist das in Ordnung? Ich finde: aber ja. Der Fiese ist schließlich der, der sich über das Gesetz stellt. Der Anzeigende handelt nach seinem eigenen Gerechtigkeitsmaßstäben und dringt nur soweit durch, wie sie mit den demokratisch legitimierten Maßstäben übereinstimmen. Geht es besser? Im Zweifel muss ein Richter entscheiden, ob das Foto als Beweismittel ausreicht.
Das Schlimmste, was einem Rechtsstaat passieren kann, ist, dass die Bürger sich per repräsentativer Demokratie selber Regeln auferlegen, aber es als unangemessen/peinlich/kleinlich ansehen, sie durchzusetzen. Es kann nur zwei Wege geben: besagtes Gesetz abschaffen, wenn es aus Sicht der Mehrheit überzieht, oder seine Einhaltung mit Kraft durchsetzen.
Im Moment sieht es danach aus, als wenn die laschen Anti-Egoisten-Gesetze bald zugunsten aller verschärft werden. Insofern muss doch eigentlich keiner ein schlechtes Gewissen haben, dabei mitzuhelfen, dass es mit dem Zusammenleben in unseren Städten besser klappt.
Ach, ich glaube, ich will jetzt auch ein StVO-Held werden. Mit App oder ohne. So gesehen auch ein Beitrag gegen den Klimawandel. Wer kann dazu heute noch nein sagen?