Wettbewerbsfähigkeit „Viele stellen die deutsche Haushaltspolitik infrage“

Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit stagniert. Der Chefvolkswirt des International Institute for Management Development, Christos Cabolis erklärt, was hinter der mittelprächtigen Platzierung im jüngsten IMD-Ranking steckt und wie die Coronakrise die Rangliste verändern wird.

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In Sachen Wettbewerbsfähigkeit kommt der Wirtschaftsstandort Deutschland seit Jahren nicht so wirklich vom Fleck. Das zeigt die aktuelle Rangliste der Schweizer Hochschule IMD, die insgesamt 63 entwickelte Volkswirtschaften untersucht hat. Wie schon im vergangenen Jahr liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 17 der wettbewerbsfähigsten Länder. In den letzten sechs Jahren hat sich das Land laufend verschlechtert, 2014 belegte es noch den sechsten Platz im IMD-Wettbewerbs-Ranking.

Ganz oben steht der asiatische Stadtstaat Singapur und Dänemark, gefolgt von der Schweiz, den Niederlanden, Hongkong und Schweden. Die Weltwirtschaftsmacht USA, die im Vorjahr noch auf Rang drei stand, verliert sieben Plätze und schafft es somit gerade noch in die Top 10. Auch China musste im vergangenen Jahr einiges an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen: Die größte Volkswirtschaft der Welt rutscht auf Platz 20 ab – gegenüber 2019 hat sich das Land um ganze sieben Ränge verschlechtert.

Für ihre Analyse messen die Ökonomen des IMD (International Institute for Management Development), die Wettbewerbsfähigkeit der Länder in vier verschiedenen Bereichen: Wirtschaftsleistung („economic performance“), Effizienz des Regierungshandelns („government efficiency“), unternehmerische Effizienz („business efficiency“) und Infrastruktur.



In die erste Kategorie fallen makroökonomische Kennzahlen wie zum Beispiel das BIP pro Kopf, Arbeitslosigkeit oder Direktinvestitionen. Die Regierungseffizienz untersucht inwieweit öffentliche Finanzen, Fiskalpolitik sowie Steuer- und Rechtssysteme wettbewerbsfördernd sind, die unternehmerische Effizienz analysiert die Produktivität, Profitabilität und Innovationskraft der Betriebe. Im Bereich der Infrastruktur beurteilt das Institut Transport, Bildungs- und Gesundheitssysteme der Länder aber auch den Zugang zu neuen Technologien.

Insgesamt messen 235 verschiedene Indikatoren sowohl „harte“ statistisch erhobene Wirtschaftsdaten als auch „weiche“ Ergebnisse aus einer eigenen Befragung von verantwortlichen Managern. Die Umfragewerte fließen zu einem Drittel in die finale Rangliste mit ein und beinhalten die Einschätzung der Führungskräfte zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, Gleichberechtigung oder Korruption.

Seit 1989 veröffentlicht das Forschungsinstitut aus Lausanne das Ranking, seit 2015 ist Christos Cabolis Chefvolkswirt am IMD. Im Gespräch mit der Wirtschaftswoche verrät der Ökonom, was hinter der festgefrorenen Platzierung Deutschlands steckt und wie die Corona-Pandemie die Wettbewerbsfähigkeits-Rangliste 2021 verändern wird.

WirtschaftsWoche: Herr Cabolis, Deutschland liegt in der aktuellen IMD-Rangliste der wettbewerbsfähigsten Länder wie auch vergangenes Jahr auf Rang 17. Stagniert die deutsche Wirtschaft?
Christos Cabolis: Deutschland hat sich gegenüber dem Vorjahr in zwei der von uns untersuchten Disziplinen verbessert, aber auch in zwei verschlechtert: In der Effizienz des Regierungshandelns und im Bereich der Infrastruktur ist das Land zurückgefallen, liegt aber absolut gesehen mit den Rängen 5 und 11 immer noch relativ weit vorn. Die Effizienz der Unternehmen hat sich seit 2019 leicht verbessert. Bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hat das Land ganze vier Plätze gutgemacht. Als Treiber sind hier insbesondere die Beschäftigung, der internationale Handel und die ausländischen Investitionen zu nennen, die sich im vergangenen Jahr alle zum positiven entwickelt haben. Um sich im gesamten Wettbewerbsranking zu verbessern, hätte Deutschland allerdings auch einen Aufwärtstrend in den anderen beiden Kategorien gebraucht.

Dieser bleibt aber seit Jahren aus. Seit 2016 hat sich Deutschland im Bereich der Regierungseffizienz fast laufend verschlechtert und insgesamt fünf Plätze verloren. Woran liegt das?
Die größte Schwachstelle Deutschlands ist nach wie vor die hohe Abgabenlast. Beim Steuersatz auf Unternehmensgewinne liegt das Land auf Platz 56 von 63 Ländern, beim effektiven persönlichen Einkommenssteuersatz auf Platz 55. Außerdem ist das Steuersystem zu kompliziert. Das hat sich auch in unserer Befragung der Führungskräfte gezeigt. Viele stellen das Modell, wie der Staat seine Finanzen verwaltet, infrage und wünschen sich eine grundlegende, ökonomische Reform. Insgesamt landet Deutschland in unserem Ranking bei der Steuerpolitik daher nur auf Platz 58. 

Christos Cabolis ist der Chefvolkswirt des International Institute for Management Development. Quelle: PR

Dafür gibt es hierzulande auch eines der besten Sozialsysteme der Welt…
Das stimmt. In Deutschland ist vor allem das Gesundheitssystem sehr gut bewertet. Hier liegt das Land auf Platz sechs und das spiegelt sich auch in seinem Human Development Index wider: Die Kennzahl, die unter anderem die Lebenserwartung bei der Geburt oder das Bildungsniveau erfasst, ist die vierthöchste in unserer Auswertung. Auch bei der Qualität von Forschungseinrichtungen und Universitäten belegt Deutschland Platz vier. Das alles kommt natürlich auch indirekt den Unternehmen zugute, indem sie zum Beispiel von gesunden oder qualifizierten Arbeitskräften profitieren. Daher darf man eine hohe Abgabenlast an sich nicht von vornherein als schädigend für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes bewerten. Fast alle Staaten, die in unserem Ranking im Bereich der sozialen Sicherungssysteme gut abschneiden, liegen bei der Frage, wie unternehmensfreundlich das Steuersystem ist, deutlich abgeschlagen – zumeist sogar im unteren Drittel der Rangliste. Man muss die Abgabenlast also immer auch im Verhältnis zu den vom Staat erbrachten Leistungen sehen.

Ländern wie die Schweiz scheint es aber zu gelingen, ein gutes Bildungs- und Gesundheitssystem mit wettbewerbsfördernder Steuerpolitik zu vereinbaren. In Ihrer Rangliste zählt das Land in beiden Kategorien zu den Top 5. Warum klappt das in Deutschland nicht? 
Die Schweiz glänzt seit Jahren mit einer unglaublichen Effizienz im Regierungshandeln. Das Land verfügt über die beste Bonität in unserem Ranking und bei der Verwaltung der Staatsfinanzen belegt es Platz zwei. Der Staatshaushalt wird also besonders sorgfältig geplant und Steuergelder sowie sonstige Einnahmen effizient umverteilt. Außerdem ist das Vorgehen der Regierung sehr transparent und das Risiko für politische Instabilität wird als sehr gering eingestuft. Auch bei diesen beiden Faktoren belegt das Land den zweiten Platz. Die Tatsache, dass die Schweiz eine direkte Demokratie ist, kommt dem Land in Sachen Transparenz und Effizienz sicherlich zugute und nimmt viel Unsicherheit aus dem Markt.

„In der Coronakrise ist Deutschland auf einem sehr guten Weg“

Stichwort Unsicherheit: Die Corona-Pandemie hat so gut wie alle Staaten innerhalb weniger Wochen in eine Wirtschaftskrise gestürzt. Sind die ökonomischen Folgen von Covid-19 in Ihrer Rangliste berücksichtigt?
Bezüglich der Wirtschaftsdaten basiert unsere Analyse größtenteils auf Zahlen aus 2019. Das gilt gerade für die Kategorie, in der wir die Wirtschaftsleistung eines Landes beurteilen. Wie genau sich die Pandemie also auf die Beschäftigungszahlen, das Bruttoinlandsprodukt oder die Verschuldung eines Staates auswirkt, lässt sich aus der aktuellen Rangliste noch nicht ablesen. Allerdings berücksichtigt unsere Auswertung auch zu einem Drittel die Ergebnisse einer Führungskräfte-Befragung, die wir im Februar und März dieses Jahres durchgeführt haben. In dem Fragebogen ging es vor allem um Einschätzungen zur politischen Stabilität, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie der Bedeutung ethischer Standards im Unternehmen. Da wir die Manager zu einer Zeit befragt haben, in der Coronavirus langsam aber doch als eine immer größer werdende Bedrohung wahrgenommen wurde, können wir aus dem aktuellen Ranking zumindest Annahmen treffen, welche Länder schlechter und welche Länder besser durch die Coronakrise kommen werden.

Wie sehen diese Annahmen aus?
Es wird letztlich alles davon abhängen, wie gut es die privaten Unternehmen schaffen, den Schock abzufedern. Dafür müssen sie vor allem schnell auf die sich laufend verändernden Marktbedingungen reagieren und Geschäftsmodelle entwickeln, die auch in Zeiten einer Gesundheitskrise funktionieren und profitabel sind. 

Welche Rolle spielt dabei der Staat?
Der Staat spielt hierbei – wie in jeder Krise – eine enorm wichtige Rolle. Er muss die institutionellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen so ausgestalten, dass sie auch in der Pandemie dazu taugen, einen gesunden Markt zu fördern. Die Unternehmen müssen in der Lage sein, weiterhin frei zu wirtschaften, aber trotzdem darauf vertrauen können, dass sie der Staat – wo nötig – unterstützt. Deutschland geht hier einen sehr guten Weg. Betriebe werden zum Beispiel mit der Kurzarbeiter-Regelung unterstützt, die entlastet die Arbeitgeber und zugleich hält es die Kaufkraft auf gutem Niveau.



Heißt das Deutschland, wird die Coronakrise besser überstehen als die meisten anderen Länder?
Das kann man so pauschal noch nicht sagen, da es auch davon abhängt, wie lange uns die Pandemie noch begleiten wird. Im Moment ist Deutschland, gemeinsam mit anderen europäischen Staaten wie Österreich oder der Schweiz aber auf einem sehr guten Weg. Der große Vorteil dieser Länder im Kampf gegen das Coronavirus besteht sicherlich auch darin, dass sie über ein stabiles Gesundheitssystem verfügen und solide Staatsfinanzen haben. Eine gute Bonität erlaubt es ihnen, sich zu guten Konditionen zu verschulden und vergleichsweise günstige Rettungspaket für den Wiederaufbau der Wirtschaft schnüren.

In den USA wütet das Coronavirus nach wie vor besonders stark. Wird sich das Ranking der Vereinigten Staaten durch die Pandemie noch weiter verschlechtern?
Das Virus ist für die USA in der Tat ein großes Problem. Das Gesundheitssystem ist heillos überfordert und die Arbeitslosigkeit steigt ungebrochen. Schon im Vergleich zu 2019 ist das Land im diesjährigen Ranking von Platz drei auf Platz zehn zurückgefallen – und das obwohl die aktuell niedrigen Beschäftigungszahlen durch Covid-19 noch gar nicht berücksichtigt sind. Ausschlaggebend für die Verschlechterung um ganze sieben Ränge war sicherlich der Handelskrieg mit China, der den internationalen Handel aber auch das Vertrauen der ausländischen Investoren massiv beeinträchtigt hat. Auch die Angst vor politischer Instabilität in den USA ist in den vergangenen Jahren laufend angestiegen, wie unsere Umfrage unter den Führungskräften zeigt. All das hat sich in der Coronakrise nochmals deutlich verschlechtert. Die Unsicherheit am Markt ist groß und wird von Tag zu Tag größer, wenn die Regierung die Pandemie nicht in den Griff bekommt. Das große Glück der USA ist, dass sie – wie auch China – über einen riesigen Binnenmarkt verfügt, der die geringere Nachfrage aus dem Ausland ein Stück weit abfedert. Die Wirtschaftsleistung des Landes ist somit nach wie vor hoch, da der Binnenmarkt weiter wächst und die Konsumfreude der Amerikaner ungebrochen ist. In Sachen Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität für ausländische Investoren wird der Wirtschaftsstandort USA – sofern sich nicht grundlegend etwas an der politischen Stoßrichtung ändert – in den kommenden Jahren aber weiterhin verlieren.

China und insbesondere Taiwan haben das Coronavirus besonders schnell eingedämmt. Wird den beiden Ländern das im Wettbewerbsfähigkeits-Ranking 2021 zugutekommen?
Auch das hängt davon ab, inwiefern diese Staaten das Virus nun tatsächlich besiegt haben. Falls eine zweite Welle kommt, könnte das verheerende Folgen für die beiden Volkswirtschaften haben, sofern sie es nicht schaffen rechtzeitig in einen erneuten Lockdown zu gehen und die Bevölkerung zu schützen. Sollte die zweite Welle ausbleiben, dann könnten China und Taiwan tatsächlich einige Plätze im kommenden Jahr gutmachen. Beide Länder hatten ihre Produktion bereits wieder auf Vorkrisen-Niveau hochgefahren, als die Pandemie Europa gerade erst erreicht hat. Dadurch haben sie, zumindest was die Unterkategorie wirtschaftliche Performance betrifft, einen Vorsprung gegenüber dem Westen, den sie - wie es aussieht - auch bis zum Ende des Jahres behalten werden.

Wird sich das auch positiv auf ihre Gesamtplatzierung im Wettbewerbsfähigkeits-Ranking auswirken?
Hierfür müsste sich vor allem China im Bereich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern oder zumindest nicht verschlechtern. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern aber auch zwischen den Regionen in China ist groß und wird durch die Krise vermutlich nochmal ansteigen. Auch bei den Führungspraktiken und bei der Frage, inwieweit ethische Aspekte bei Unternehmensentscheidungen eine Rolle spielen, hat China starken Aufholbedarf. Gerade in Krisen ist dafür aber oft wenig Platz. Wenn uns Covid-19 aber eines gelehrt hat, dann so viel, dass sich auf einen Schlag alles ändern kann. Somit sind wir gespannt, wie das Ranking 2021 aussehen wird.

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