Whistleblower Gute Gier gegen schlechte Gier

Staatliche Prämien für Beschäftigte, die gesetzwidriges Verhalten des Arbeitgebers melden, machen in den USA aus Tippgebern Millionäre. Die Unternehmen laufen Sturm gegen das Belohnungs-System.

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Die bekanntesten Whistleblower
James E. CartwrightDrei Jahre nach einem Hackerangriff auf das iranische Atomprogramm ermitteln die US-Behörden gegen den damaligen Vize-Generalstabschef wegen der Weitergabe von Informationen. Die Untersuchungen gegen den früheren General James Cartwright stünden im Zusammenhang mit Veröffentlichungen über das Computervirus Stuxnet, berichtete der Sender NBC unter Berufung auf Justizkreise. Das Virus Stuxnet, das von den USA und Israel entwickelt worden sein soll, hatte das iranische Atomprogramm angegriffen. Die Urananreicherung kam deswegen vorübergehend ins Stocken. Über die Attacke berichtete im vergangenen Jahr die "New York Times". Demnach beschloss Präsident Barack Obama, die unter seinem Vorgänger George W. Bush begonnenen Cyberangriffe auszudehnen. Quelle: AP
Edward SnowdenWhistleblower Edward Snowden soll die Daten-Spionage, die unter dem Schlagwort PRISM bekannt wurde, publik gemacht haben. Bei PRISM handelt es sich um ein bislang unbekanntes Überwachungsprogramm mit dem der Geheimdienst seit 2007 direkt auf die Server der führenden amerikanischen Internet-Firmen zugreifen könne, um Informationen abzugreifen: E-Mails, Dokumente, Chatprotokolle und Verbindungsdaten etwa. Was es mit dem Programm auf sich hat, lesen Sie hier. Quelle: AP
Bradley Manning (geb. 1987)Der US-Militär soll 2010 der Plattform Wikileaks ein Video zugespielt haben, das die Luftangriffe auf Bagdad am 12. Juli 2007 dokumentiert. Die Filmdateien belegen, dass aus einem amerikanischen Kampfhubschrauber Zivilisten erschossen wurden. Außerdem soll Manning Depschen amerikanischer Botschaften an Wikileaks weitergeleitet haben, die veröffentlicht wurden und weltweit für Furore sorgten. Quelle: U.S. Army
William Mark Felt (1913-2008)Der ehemalige amerikanische FBI-Agent ist vor allem unter seinem Pseudonym Deep Throat bekannt. Am 31. Mai 2005 fanden die Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein nach 33 Jahren Geheimhaltung heraus, wer hinter dem wichtigsten Informationen der Watergate-Affäre steckt. Felts Informationen führten letztlich zum Rücktritt von Präsident Nixon. Quelle: dpa
Rudolf Schmenger und Frank WehrheimSchmenger (im Bild) und Wehrheim waren für die Aufdeckung von Steuerhinterziehungen der Commerzbank und Deutschen Bank in Höhe von 500 Millionen Euro verantwortlich. Sie wurden beim Kampf gegen die Steuerhinterzieher von ihrer Behörde ausgebremst - bis hin zur falschen Diagnose einer Berufsunfähigkeit. Beide kritisierten dieses Vorgehen stark und machten das Vorgehen öffentlich. Die komplette Geschichte dazu veröffentlichte 2008 das Magazin "Stern". Quelle: dpa
Christoph Meili (geb. 1968)Der ehemalige Wachmann einer privaten Sicherheitsfirma, die für die schweizerische Großbank UBS tätig war, schmuggelte 1997 vermeintliche Holocaust-Dokumente aus der Bank und rettete sie vor dem Schredder. Die Vernichtung von Akten über solche nachrichtenlosen Vermögenswerte wurde erst ein Jahr zuvor in seiner Heimat verboten. Um die Dokumente, die zerstört werden sollten, zu prüfen, nahm er sie mit nach Hause, um sie anschließend einer jüdischen Organisation zu überreichen. Diese gab die Papiere sofort an di e Kriminalpolizei weiter. Im Nachgang wurde klar, dass die Akten aus den Jahren 1897 bis 1927 stammten und somit gar keine Holocaust-Dokumente sein konnten. Daraufhin stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Strafanzeige gegen Meili wegen Verstoßes des Bankgeheimnisses, das 1998 wieder eingestellt wurde. In der Zwischenzeit hatte Christoph Meili mit seiner Familie Asyl in den USA erhalten. Quelle: GNU
Roger Boisjoly (1938-2012)Der amerikanische Raumfahrtingenieur hatte seit Juli 1985 vergeblich vor einem Defekt an Dichtungsringen des Space Shuttle gewarnt. Er fand kein Gehör, mit dem fatalen Effekt, dass aufgrund eben dieses Fehlers am 28. Januar 1986 die Challenger abstürtzte. 73 Sekunden nach dem Start zerbrach die Raumfähre. Die gesamte Besatzung kam bei dem Unglück ums Leben. Quelle: dapd

Es ist noch warm in Washington. Die Aktivisten, die sich im Garten einer Villa unweit des Kapitols zu ihrem Jahrestreffen versammelt haben, suchen den Schatten. Viele haben ihre zerknautschten Sakkos abgelegt und die Hemdsärmel aufgekrempelt. Der eine hat gegen Rassismus in Behörden aufbegehrt, der andere Lauschattacken von Geheimdiensten enthüllt – und dafür gebüßt. Gesichtszüge lassen den Jobverlust, private Zerwürfnisse und zermürbende Gerichtsverfahren erahnen, die so mancher erlitten hat.

Einer passt nicht so recht ins Bild. Bradley Charles Birkenfeld – hochwertiges Tuch, markantes Gesicht – hat mit einer kleinen Entourage ein paar Stühle gekapert und beobachtet locker-interessiert das Treiben. Auch der 49-Jährige hat aufbegehrt, nämlich gegen seinen früheren Arbeitgeber, die Schweizer Bank UBS. Auch er hat etwas verraten: dass die eidgenössische Nobelbank Geld amerikanischer Steuerhinterzieher vor dem US-Fiskus auf Konten in der Alpenrepublik versteckt hat. Und auch er hat dafür seinen Job verloren.

Tippgeber die bereits ohne Belohnung auspackten

Doch Birkenfeld ist die Ruhe in Person. Denn er hat nicht nur vieles verloren, sondern auch einiges gewonnen: 104 Millionen Dollar bezahlte ihm 2012 die US-Steuerbehörde IRS für seine Insiderinformationen über amerikanische Steuersünderkonten in der Schweiz. Birkenfeld ist also Multimillionär – und wird zugleich als Robin Hood verehrt. Eine kurze Rede vor den Aktivisten, ein Preis, Applaus – dann rauschen er und seine Freunde wieder ab.

Leute wie Birkenfeld haben Hochkonjunktur in den USA. Während in Berlin die schwarz-rote Koalition über den gesetzlichen Schutz von Hinweisgebern ergebnislos streitet, ist jenseits des Atlantiks daraus ein Zig-Millionen-Geschäft geworden. Whistleblowing oder Tippgeben, wie der Verrat gesetzeswidrigen Verhaltens in Unternehmen und Behörden auf Deutsch heißt, nagt nicht nur an Konzernkassen, sondern schafft zugleich eine neue Klasse der Millionäre: Wer einer staatlichen Aufsichtsbehörde, ob für Börse, Militär oder Verbraucherschutz, ein Vergehen des Arbeitgebers gegen Vorschriften meldet, bekommt dafür eine Prämie in bis zu dreistelliger Millionenhöhe. Mit von der Partie sind Anwälte, die sich auf das Metier spezialisiert haben und ihren Anteil an der Belohnung abgreifen.

„Whistleblowing ist zum Big Business geworden, für die Informanten, für ihre Rechtsanwälte und für den Staat, dem die zu erwartenden Bußgeldmilliarden nicht ungelegen kommen“, sagt Tom Devine, Rechtsanwalt und einer der wichtigsten Whistleblowing-Experten der USA. „Es ist ein Goldrausch, aber ich kann nichts Schlechtes daran erkennen.“

Auslöser für den Run auf die neuen Nuggets ist vor allem der Dodd-Frank-Act aus dem Jahr 2011. Das nach den beiden demokratischen US-Politikern Chris Dodd und Barney Frank benannte Gesetz zur Zähmung der Finanzmärkte ermächtigt die US-Börsenaufsicht SEC wie die Steuerkontrolleure von der IRS und andere Behörden, Whistleblower für ihren Geheimnisverrat mit Prämien zu belohnen. Tipps, die zu Strafen von mindestens einer Million Dollar führen, honoriert die SEC mit 10 bis 30 Prozent der Bußgeldsumme.

USA - Heimat des Whistleblowing

Weil die mächtigste Börsenaufsicht der Welt häufig sechsstellige Millionen- und mitunter sogar Milliardenstrafen verhängt, hat sich eine regelrechte Whistleblowing-Branche entwickelt. Mehr als 7000 Informanten aus den USA und 68 weiteren Ländern haben die Börsenchecker seit 2011 mit Insider-Informationen über Regelverstöße ihrer Arbeitgeber geflutet. SEC-Chefin Mary Jo White pries vergangene Woche das „enorm erfolgreiche Whistleblower-Programm, das sehr signifikante Informationen über schwere Verbrechen liefert“.

Drei Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zeigt die Statistik, dass das staatlich geförderte Ausplaudern zunehmend Betrüger, Bestecher und Berufsmanipulateure in Unternehmen auffliegen lässt. Aus Tausenden von Anzeigen hat die SEC bislang etliche Hundert besonders viel versprechende ausgewählt und verfolgt. 431 davon mündeten bis Ende 2013 in Verfahren, die zu Strafen von einer Million Dollar oder mehr geführt haben.

Die meisten der erfolgreichen Whistleblower erhielten Prämien unter einer Million Dollar. Doch die Fälle üppiger Zahlungen nehmen zu. Einem Tippgeber, der eine Immobilienbetrügerei meldete, überwies die SEC im vergangenen Jahr 14 Millionen Dollar. Vor einigen Wochen transferierte die Behörde 30 Millionen Dollar auf ein Konto außerhalb der USA. Es war der erste SEC-Whistleblower, der aus dem Ausland Tipps lieferte. Weitere Multimillionenprämien hat die Behörde angekündigt.

Informationen zum Whistleblower-Programm SEC Quelle: SEC

„Das Gesetz funktioniert“, frohlockt die SEC. Ihre Pipeline sei prall gefüllt mit hochkarätigen Fällen. Die neue Generation der Whistleblower sei gut informiert, hoch spezialisiert und für die Fahnder unverzichtbar. „Der Staat käme allein nie an diese Informationen“, verlautet es aus der Behörde: „Womöglich sind diese Whistleblower das schärfste Schwert im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität.“

Dass der Whistleblower-Millionär in den Vereinigten Staaten erfunden wurde, ist kein Zufall. Die USA sind das Mutterland des Whistleblowing. Früher als jede andere Nation haben die Vereinigten Staaten erkannt, wie nützlich Hinweisgeber für die Strafverfolgung sein können. Schon 1778, da waren die USA gerade zwei Jahre alt, wurde das erste Gesetz zu ihrem Schutz verabschiedet. Auslöser war die Diskriminierung zweier Soldaten, die Missstände in der Kriegsmarine angezeigt hatten. 1863 folgte ein weiteres Gesetz: Die Regierung musste während des Bürgerkriegs Betrug durch Armeeausrüster eindämmen und setzte dabei auf Tippgeber.

Den großen Durchbruch erlebte das Whistleblowing 1974 durch den Watergate-Skandal. US-Präsident Richard Nixon trat damals zurück, weil ein FBI-Beamter Belastendes an die Zeitung „Washington Post“ durchgestochen hatte.

Denunzianten, Verräter, Spitzel – die Bezeichnungen für diskrete Tippgeber waren aber auch in den USA nicht immer höflich. Deshalb ersann der US-Verbraucherschützer und grüne Politiker Ralph Nader das Whistleblowing, zu Deutsch: in die Trillerpfeife blasen, Alarm schlagen, um Missstände in Staat und Wirtschaft zu bekämpfen. Heute schützen in den USA Dutzende Gesetze Whistleblower vor Entlassung, Strafverfolgung oder Schadensersatzklagen – und verhelfen zahlreichen Anwälten zu einem einträglichen Geschäft.

Neue Goldgrube für Kanzleien

Whistleblower-Rechtsanwalt Jordan Thomas hat in seinem Wolkenkratzer-Büro an der Südspitze von Manhattan alles Wichtige gut im Blick: Im Büro hat er seine Vorbilder versammelt – die Wände sind zugepflastert mit Plakaten von Hollywood-Streifen, in denen heimliche Informanten die Helden sind. Draußen, vor den bodentiefen Fenstern, erstreckt sich der Finanzdistrikt von New York. Dort rekrutiert Thomas seine Klienten, und hier schlagen deren Enthüllungen oft ein wie Bomben.

Der 44-Jährige gehört zu den führenden Whistleblower-Anwälten. Wie viele SEC-Informanten er derzeit vertritt, will er nicht sagen. „Jeden Tag melden sich etliche potenzielle Klienten“, verrät Thomas – mehr nicht. Auch nicht, aus welchen Unternehmen oder Banken seine Klienten kommen. Und schon gar nicht, wer diese Mandanten sind: „Anonymität ist für meine Mandanten das Wichtigste“, sagt er. „Sie fürchten, dass sie sonst beruflich erledigt sind.“

Der einstige Aktienhändler und Rechtsanwalt der US-Kriegsmarine weiß, wie der Hase läuft: Er war Strafverfolger im US-Justizministerium. Danach lernten ihn unter anderem der inzwischen abgewickelte Energiekonzern Enron, die US-Bank Fannie Mae, die UBS und die CitiGroup als Fahnder und Ankläger der SEC kennen.

Aber je länger Thomas als Vize-Chef der SEC-Vollzugsabteilung arbeitete, umso mehr verstärkte sich sein Eindruck, gegen eine Hydra zu kämpfen: „Ein Bösewicht ist weg, zwei weitere tauchen auf – in immer kürzerer Abfolge.“ Mehr und mehr habe er begonnen, „über die Effizienz der Strafverfolgung nachzudenken“. Wolle man Wirtschaftsverbrechen effektiv bekämpfen, so seine Schlussfolgerung, müsse man möglichen Zeugen die Angst nehmen und ihnen Schutz vor wirtschaftlichem Ruin bieten.

Thomas entwickelte das neue Whistleblower-Programm der SEC maßgeblich mit, bevor er 2011 zur New Yorker Kanzlei Labaton Sucharow wechselte. Seither bringt er im Auftrag von Whistleblowern deren Fälle bei der SEC vor. Die Informanten könnten sich auch ohne Anwalt an die SEC wenden. Die meisten wollen aber Fehler vermeiden, anonym bleiben und wenden sich an Experten wie Thomas.

Mit dem Seitenwechsel dürfte Thomas sein Gehalt vervielfacht haben. Denn das Whistleblowing bietet Verdienstchancen, die selbst für New Yorker Wirtschaftsanwälte ungewöhnlich sind. „Whistleblowing ist die neueste Goldgrube“, sagt ein Washingtoner Rechtsanwalt: „Die Summen, die wir verdienen, sind fast schon obszön.“ Die Anwälte arbeiteten fast ausnahmslos auf Erfolgsbasis. Wird eine Belohnung ausgezahlt, erhalten sie davon 30 bis 40 Prozent. Hinzu kämen „sehr ansehnliche“ Stundensätze: „Die meisten rechnen im Schnitt 400 bis 500 Dollar pro Stunde ab.“

Whistleblowing-Experte Tom Devine, Direktor für Rechtsfragen bei der Washingtoner Bürgerrechts-Organisation Government Accountability Project (GAP), sieht „einen Traum wahr werden für die Anwaltsprofession: Erstmals können Rechtsanwälte stolz darauf sein, reich zu werden.“ Früher hingegen, sagt Devine augenzwinkernd, habe man für die Mafia arbeiten müssen, um so gut zu verdienen.

Klare Fronten in den USA

Über 50 Kanzleien seien inzwischen mit Tippgebern im Geschäft, erzählt Devine. Er selber habe „häufig mit einem Whistleblower-Anwalt zu tun, der bis vor ein paar Jahren Firmen verteidigte, die durch Whistleblower in Bedrängnis kamen“.

So hat auch die Kanzlei des inzwischen verstorbenen Staranwalts Johnnie Cochran das neue Geschäftsfeld entdeckt. Cochran hatte für den unter Mordverdacht stehenden Football-Star O.J. Simpson 1994 einen Freispruch erkämpft und verteidigte Musiker wie Michael Jackson, Snoop Dogg und P. Diddy. Seit Anfang des Jahres baut die Kanzlei in Washington eine Abteilung für SEC-Whistleblower auf.

Es sei die erste Belohnung in Höhe mehrerer Millionen US-Dollar im vergangenen Jahr gewesen, die die Kanzlei auf das Thema aufmerksam gemacht habe, sagt David Haynes, Partner der Kanzlei: „Da ist echtes Potenzial, denn Tatsache ist, dass Insidergeschäfte und andere Verstöße gegen Aktienrecht nie aufhören werden.“

Wie Whistleblower in den USA Insiderinformationen über Verstöße ihres Arbeitgebers gegen das Aktienrecht der Börsenaufsicht SEC melden und daran verdienen

Politisch sind die Fronten bei dem Thema klar in den USA. Die Demokraten sind meist pro Whistleblower-Schutz, die Republikaner möchten lieber die Unternehmen vor den Whistleblowern schützen. Und so sorgen die Profiteure auf beiden Seiten dafür, dass ihre Einnahmequellen erhalten bleiben. 2012 trat Barack Obama zur Wiederwahl an, und sein republikanischer Widersacher Mitt Romney versprach, im Fall eines Wahlsiegs das Dodd-Frank-Gesetz wieder abzuschaffen. Prompt sah Rechtsanwalt John Phillips aus Washington, ein Urgestein im Whistleblower-Business, seine Felle davonschwimmen und erkannte: „Die Industrie hat Milliardenstrafen gezahlt, und die Gefahr ist riesig, dass die Politik auf ihren Druck hin nun zurückrudert.“

Daraufhin begann Phillips, der allein an einem Whistleblower des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline eine zweistellige Millionensumme verdient hatte, Wahlkampfspenden für Obama einzutreiben. Schnell hatte er 200.000 Dollar beisammen. Sein Kollege John Morgan aus Florida brachte es sogar auf 1,7 Millionen Dollar. Ebenfalls unter den Obama-Spendern: die Kanzlei Grant & Eisenhofer aus Delaware, die unter anderem einen Whistleblower unter Vertrag hatte, der dem US-Justizministerium im Zuge einer Strafe zu einer 800-Millionen-Dollar-Einnahme verhalf.

„Man kann nur erahnen, was es bedeutet, wenn neuerdings so viel Geld mit der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität gemacht wird“, sagt Whistleblowing-Experte Devine: „Das verändert die Machtverhältnisse zwischen der Wirtschaft, ihren Kontrolleuren und einzelnen Whistleblowern tief greifend.“ Denn Recht zu bekommen koste in den USA in der Regel viel Geld, so Devine: „Wer viel Geld hat, bekommt öfter recht, so einfach ist das.“

Wer wüsste das besser als die Hausherren des neoklassizistischen Gebäudes direkt gegenüber des Präsidentensitzes: die amerikanische Handelskammer U.S. Chamber of Commerce. Sie ist der weltgrößte Unternehmensverband, die mächtigste Lobbyorganisation der USA – und der erbittertste Gegner von Whistleblower-Rechten. Der Verband lief jahrelang Sturm gegen die Verabschiedung des neuen SEC-Gesetzes und bekämpft es bis heute.

Mitarbeiter spielen Polizei am Arbeitsplatz

Es sind nicht einzelne Elemente des Gesetzes, die die Wirtschaftsvertreter stören, es geht ums Prinzip. Denn mit den hohen Prämien bekämpft der Staat letztlich illegale Praktiken, die auf dem gleichen Mechanismus beruhen, der die Finanzkrise 2008 mit auslöste – dem ungebremsten Gewinnstreben. Oder zugespitzt: Gier gegen Gier, getreu dem Chemiker-Latein „Similia similibus solvuntur“, Gleiches löst Gleiches.

Mitarbeiter, vermutet die Handelskammer, könnten aus Geldgier direkt zur SEC laufen, statt Straftaten intern zu melden. Dies unterwandere die Bemühungen um Compliance, also um gesetzestreue Unternehmensführung, schimpft David Hirschmann, Präsident der Kapitalmarkt-Abteilung der Handelskammer. Firmen müssten Gelegenheit haben, Missstände selbst abzustellen. Sonst sei das, „als würde man bei einem Brand nicht die Feuerwehr rufen, sondern einen Anwalt beauftragen, damit er wegen des Feuers jemanden verklagt“.

Die SEC will nicht ausschließen, dass manche Mitarbeiter zuerst Behörden einschalten. Allerdings sehen die Börsenwächter in erster Linie die Unternehmen in der Pflicht. Diese müssten sicherstellen, dass es interne Stellen gibt, an die sich Whistleblower vertrauensvoll wenden können. Dann würden die Mitarbeiter auch den internen Weg als ersten Schritt vorziehen. Zahlen geben der SEC recht. Laut einer Erhebung des Ethics Resource Center in Arlington bei Washington wenden sich über 90 Prozent der Mitarbeiter in US-Unternehmen, die Missstände anzeigen, zunächst an interne Stellen.

David Zaring, Jura-Professor an der Wharton School in Philadelphia, poltert über einen anderen Aspekt des staatlich geförderten Whistleblowing. Es ermutige gewöhnliche Bürger, am Arbeitsplatz „Polizei zu spielen“, sagt Zaring. Heerscharen von Rechtsanwälten würden ermuntert, Spitzel anzuwerben. „So gesehen“, meint Zaring, „ist das Whistleblower-Programm eine Privatisierung der Strafverfolgung, vergleichbar mit der Auslagerung eines Gefängnisbetriebs an eine Firma.“ Offenbar vertraue der Gesetzgeber eher auf private Spitzel statt auf Ermittlungen der Behörden, sagt Haring, und spielt auf die frühere SEC-Chefin Mary Schapiro an, die „limitierte Ressourcen“ der SEC einräumte.

Ex-SEC-Strafverfolger Thomas hingegen sieht in den Whistleblowern keine Privatisierung der Strafverfolgung: „Die Behörde tut das, was sie muss: Sie gestaltet die Strafverfolgung so effizient wie möglich, und die Whistleblower sind dabei das vielleicht wichtigste Mittel.“

Zwar kommentiert die SEC die Güte der Whistleblower-Informationen nicht, doch aus ihrem Umfeld verlautet, dass die Zahl der unbrauchbaren Tipps „erstaunlich gering“ sei. Offenbar steht die Behörde eher vor dem Problem, die Tausenden vorgetragenen Fälle zu sichten und die gravierendsten herauszufiltern. Mehrfach musste die Behörde dazu ihr Personal aufstocken.

Das SEC-Programm wird zum internationalen Vorbild

Es gibt zwei gute Gründe, warum der Anteil der Prämien-Glücksritter gering ist: Weil nur Fälle, die zu Strafen von mehr als einer Million Dollar führen, belohnt werden, werden Zeugen kleinerer Straftaten abgeschreckt. Und da sich die meisten Whistleblower auf ihre Anwälte verlassen, werden die zur zweiten entscheidenden Qualitätshürde. Nur wenn Thomas und Co. Erfolgschancen sehen, werden sie Mandanten unterstützen und deren Fälle bei der SEC einreichen.

Die meisten Befürchtungen, die Kritiker der SEC-Belohnungen vorbrachten, haben sich nicht bewahrheitet. Von einer Abschaffung des Programms im Fall eines republikanischen Wahlsiegs bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2016 spricht in Washington deshalb kaum noch jemand. Vielmehr wird derzeit diskutiert, mit welchen gesetzlichen Maßnahmen darauf reagiert werden kann, dass zahlreiche Unternehmen das SEC-Programm torpedieren. Viele Unternehmen lassen sich von ihren Mitarbeitern nämlich vertraglich zusichern, dass sie auf ihr Recht verzichten, an dem Whistleblower-Programm teilzunehmen. Der Chef des SEC-Programms, Sean McKessy, hat deshalb angekündigt, dass der Kampf gegen solche Praktiken für ihn künftig „höchste Priorität“ habe.

Unterdessen scheint das SEC-Programm zum Vorbild für Börsenaufsichtsbehörden und Strafverfolger in anderen Ländern zu werden. So erwägt die britische Regierung, ein Verfahren zu etablieren, bei dem analog zum US-System Whistleblower mit Prämien belohnt werden. Neuen Auftrieb bekamen die Überlegungen im vergangenen Jahr, als die Zahl der Whistleblower-Hinweise an britische Behörden sprunghaft anstieg. Die Börsenaufsichtsbehörde Financial Conduct Authority registrierte eine Zunahme von „wertvollen, substanziellen Whistleblower-Hinweisen um rund 70 Prozent“. Francesca West, Strategie-Chefin der britischen Whistlerblower-Organisation Public Concern at Work, führt den Anstieg auf die Präsenz von Hinweisgebern in den Medien und die „Darstellung mancher Whistleblower als Helden“ zurück.

Die Entwicklung in Großbritannien steht in krassem Widerspruch zu Deutschland, wo es kaum gesetzlichen Schutz für Whistleblower gibt. Trotz des Drängens etwa der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist ein deutsches Whistleblower-Schutzgesetz nicht absehbar. SPD, Grüne und Linke haben zwar Gesetzesentwürfe vorgelegt. Doch weil die Union – anders als nach dem Gammelfleischskandal in Bayern 2007 – von einem zusätzlichen gesetzlichen Whistleblower-Schutz derzeit nichts wissen will, wird es einen gesetzlichen Vorstoß auf absehbare Zeit wohl nicht geben.

„Deutschland ist beim Whistleblower-Schutz auf einem Niveau, das man sonst nur aus Drittweltländern kennt“, kritisiert der amerikanische Whistleblowing-Experte Devine. Er könne die Skepsis der Politik gegenüber Whistleblowern in einer „starken Wirtschaftsnation wie Deutschland“ zwar nachvollziehen, trotzdem sei sie fehl am Platz. Die Hälfte seiner Arbeitszeit verwende er darauf, Unternehmen zu erklären, welch wertvolle Ressource Whistleblower seien: „Sie sind als aufrechte, aufmerksame und motivierte Menschen nicht nur gute Mitarbeiter. Sie sind die Warnlampe, die leuchtet, bevor die Fahnder oder Zivilkläger anrücken und es richtig teuer wird.“

Über eine besondere Wertschätzung für Whistleblower wird laut Steve Pearlman, Partner bei der New Yorker Rechtsanwaltskanzlei Proskauer, derzeit in einigen US-Firmen diskutiert: nämlich über Prämien des Arbeitgebers. Offenbar prüfen US-Unternehmen, ob sie mit den SEC-Prämien gleichziehen müssen, damit Whistleblower intern Alarm schlagen – und nicht zur Börsenaufsicht gehen.

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