




Es ist noch warm in Washington. Die Aktivisten, die sich im Garten einer Villa unweit des Kapitols zu ihrem Jahrestreffen versammelt haben, suchen den Schatten. Viele haben ihre zerknautschten Sakkos abgelegt und die Hemdsärmel aufgekrempelt. Der eine hat gegen Rassismus in Behörden aufbegehrt, der andere Lauschattacken von Geheimdiensten enthüllt – und dafür gebüßt. Gesichtszüge lassen den Jobverlust, private Zerwürfnisse und zermürbende Gerichtsverfahren erahnen, die so mancher erlitten hat.
Einer passt nicht so recht ins Bild. Bradley Charles Birkenfeld – hochwertiges Tuch, markantes Gesicht – hat mit einer kleinen Entourage ein paar Stühle gekapert und beobachtet locker-interessiert das Treiben. Auch der 49-Jährige hat aufbegehrt, nämlich gegen seinen früheren Arbeitgeber, die Schweizer Bank UBS. Auch er hat etwas verraten: dass die eidgenössische Nobelbank Geld amerikanischer Steuerhinterzieher vor dem US-Fiskus auf Konten in der Alpenrepublik versteckt hat. Und auch er hat dafür seinen Job verloren.
Tippgeber die bereits ohne Belohnung auspackten
Er schlug bei der Citi-Group 2006 intern Alarm, weil rund 60 Prozent der Hypotheken faul seien; wurde kaltgestellt, wandte sich ergebnislos an SEC, wurde daraufhin gefeuert. Hypotheken dieser Art lösten 2008 die globale Finanzkrise aus.
Er enttarnte bei seinem Arbeitgeber, der Bank HSBC, ein verzweigtes Geldwäschesystem seines Arbeitgebers, informierte FBI und CIA und kündigte 2011. HSBC wurde zu 1,9 Milliarden Dollar Strafe verurteilt.
Sie meldete ihrem Arbeitgeber, der USBank JP Morgan, dass Tausende offener oder fehlerhaft berechneter Kreditkartenschulden ohne weitere Kontrolle an Inkassounternehmen gingen; wurde gefeuert; 2013 zahlte JP Morgan 389 Millionen Dollar Strafe und Schadensersatz.
Er sah als Manager des US-Krankenversicherers CIGNA, wie die Branche mit perfiden Tricks Leistungen verweigerte; sagte 2009 vor dem US-Kongress dazu aus.
Eric Ben-Artzi von der Deutschen Bank in New York wandte sich 2010 an die SCE wegen angeblich zu hoch bewerteter Papiere seines Arbeitgebers; musste ausscheiden; erwartet im Falle einer Strafe eine Belohnung; die Deutsche Bank bestreitet die Vorwürfe.
Doch Birkenfeld ist die Ruhe in Person. Denn er hat nicht nur vieles verloren, sondern auch einiges gewonnen: 104 Millionen Dollar bezahlte ihm 2012 die US-Steuerbehörde IRS für seine Insiderinformationen über amerikanische Steuersünderkonten in der Schweiz. Birkenfeld ist also Multimillionär – und wird zugleich als Robin Hood verehrt. Eine kurze Rede vor den Aktivisten, ein Preis, Applaus – dann rauschen er und seine Freunde wieder ab.
Leute wie Birkenfeld haben Hochkonjunktur in den USA. Während in Berlin die schwarz-rote Koalition über den gesetzlichen Schutz von Hinweisgebern ergebnislos streitet, ist jenseits des Atlantiks daraus ein Zig-Millionen-Geschäft geworden. Whistleblowing oder Tippgeben, wie der Verrat gesetzeswidrigen Verhaltens in Unternehmen und Behörden auf Deutsch heißt, nagt nicht nur an Konzernkassen, sondern schafft zugleich eine neue Klasse der Millionäre: Wer einer staatlichen Aufsichtsbehörde, ob für Börse, Militär oder Verbraucherschutz, ein Vergehen des Arbeitgebers gegen Vorschriften meldet, bekommt dafür eine Prämie in bis zu dreistelliger Millionenhöhe. Mit von der Partie sind Anwälte, die sich auf das Metier spezialisiert haben und ihren Anteil an der Belohnung abgreifen.
„Whistleblowing ist zum Big Business geworden, für die Informanten, für ihre Rechtsanwälte und für den Staat, dem die zu erwartenden Bußgeldmilliarden nicht ungelegen kommen“, sagt Tom Devine, Rechtsanwalt und einer der wichtigsten Whistleblowing-Experten der USA. „Es ist ein Goldrausch, aber ich kann nichts Schlechtes daran erkennen.“
Auslöser für den Run auf die neuen Nuggets ist vor allem der Dodd-Frank-Act aus dem Jahr 2011. Das nach den beiden demokratischen US-Politikern Chris Dodd und Barney Frank benannte Gesetz zur Zähmung der Finanzmärkte ermächtigt die US-Börsenaufsicht SEC wie die Steuerkontrolleure von der IRS und andere Behörden, Whistleblower für ihren Geheimnisverrat mit Prämien zu belohnen. Tipps, die zu Strafen von mindestens einer Million Dollar führen, honoriert die SEC mit 10 bis 30 Prozent der Bußgeldsumme.