Widerworte
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Das ist ja nicht normal!

Was diese Kolumne schon wieder soll – und was nicht.

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Wenn die Chinesen jemanden verfluchen wollen, sagen sie „mögest du in interessanten Zeiten leben“. Für deutsche Ohren klingt das nur wenig hinterlistig, stellen wir uns doch unter „interessant“ nicht zwingend etwas Schlechtes vor, sondern möglicherweise ein richtiges Abenteuer, vorausgesetzt, es lässt sich risikofrei erleben.

Die Chinesen hingegen sind an Abenteuern nicht interessiert, Abenteuer hatten sie in ihrer mehrtausendjährigen Geschichte schon genug: Den Einfall der Mongolen, diverse Bürgerkriege, eine Kulturrevolution, die sich gewaschen hatte und dazu auch noch die schlechte alte Tradition, dass als Regierungschefs immer nur Tyrannen im Sattel saßen – das alles war wirklich sehr, sehr interessant. Variatio delectat, Abwechslung erfreut? Darüber können Chinesen nur lachen.
Sie hätten es gern normal.

Das Wort „normal“ kommt vom lateinischen normalis, nach der Regel gemacht heißt das. Zugleich steht es auch immer für etwas, das wir gewohnt sind. Das Normal durch Regeln und das Normal durch Gewöhnung verbindet sich in unserem Alltag unmerklich miteinander, wird zu einem. Deshalb sagten die Leute ja auch, als sich abzeichnete, dass die Corona-Pandemie ihren Höhepunkt überschreiten könnte, dass es jetzt wieder „in die Normalität zurück gehe“ und man „weitere Schritte in Richtung Normalität“ gehen könne.

Witzig eigentlich. Denn die interessanten Zeiten der Corona-Pandemie haben uns gezeigt, dass das alte Normal, unsere Gewöhnung, mit dem anderen Normal, das neue Regeln braucht, gar nichts mehr zu tun hat. Wenigstens die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung will sich inzwischen nicht mehr, wie in der alten Fabrikwelt, Tag für Tag zu Schichtbeginn im Büro einfinden. Die meisten wollen auch nicht ständig im Homeoffice arbeiten. Sie wollen dort arbeiten, wo es am besten funktioniert, für das, was sie zu tun haben. Das darf natürlich weitergedacht werden: Stimmen die Regeln der Lebensarbeitszeit noch, sind die Ordnungen und Hierarchien noch richtig und sind die Alternativen, von denen wir immer wieder lesen und hören, tatsächlich welche? Oder doch nur Schall und Rauch, eine weitere Sau, die durchs globale Dorf der Transformationssprüche getrieben wird?

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Dies ist dann auch schon der Sinn und Zweck dieser kleinen Kolumne, die Sie hier künftig monatlich finden werden. Sie beschreibt all die Irrtümer, aber auch die guten Gründe dafür, dass wir etwas für normal halten. Sie will mit den alten Regeln abrechnen, ohne die neuen Regeln hochzujubeln. Widerworte sind Zweifel, und die sind, so hat es René Descartes gesagt, als er – ohne es recht zu wollen – den Startschuss für die Aufklärung und die nüchterne Sichtweise auf die Welt gegeben hat, „der Weisheit Anfang“. Widerworte zweifeln konstruktiv, aber hadern nicht.

Widerworte sagen uns: Hier ist gar nichts normal, okay, so wie immer, aber passt bloß auf, dass ihr beim Versuch, das Rad neu zu erfinden, kein Quadrat auf die Achse schraubt. Das ist eigentlich der Witz dabei: Dass zwischen den Extremen – der Beharrung auf alles, was ist und der vermeintlichen Revolution der Transformationen – so etwas wie das menschliche Maß entscheidend ist. Ganz gleich, ob es um Yoga, die Digitalisierung, neue Medien oder alte Zöpfe geht.

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Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne es niemandem recht machen kann. Und das ist gut so. Denn wir lernen nicht, wenn unsere Meinung bestätigt wird, sondern wenn man sie herausfordert. Der Zweifel ist der Weisheit Anfang. Am Anfang ist das Widerwort. In diesem Sinne:

Auf bald, Ihr Wolf Lotter

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