„Wie in einer Zitronenpresse“ Was ein klammer Bürgermeister von der 10-Prozent-Tarifforderung hält

Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz (SPD) weiß nicht, wie er die hohen Tarifforderungen bezahlen sollte Quelle: imago images

Den Tarifstreit mit hohen Lohnforderungen für Angestellte im öffentlichen Dienst verfolgen Kommunen mit Sorge. Eine Lohnerhöhung von über zehn Prozent? Für überschuldete Städte wie Remscheid wohl kaum zu bezahlen.

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Remscheids Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz (SPD) muss am Telefon erst einmal tief Luft holen. Es geht um die Tarifverhandlungen für Angestellte im öffentlichen Dienst oder, wie der 66-Jährige sagt, „ein schwieriges Thema.“ Nach einem lauten Ausatmen legt er los: Zwei Herzen schlügen in seiner Brust. Das eine habe Verständnis dafür, dass die gestiegenen Kosten die Menschen mit geringen Einkommen enorm belasteten. „Wir müssen etwas tun, damit die Menschen mit ihrem Einkommen auch auskommen“, sagt er. Er denke dabei besonders an diejenigen, die für die Müllabfuhr oder die Straßenreinigung arbeiteten oder im mittleren Dienst anfangen und dort Karriere machen wollten.

Aber dann ist da eben noch das zweite Herz. Das des Oberbürgermeisters, der auf die Finanzen der Stadt blickt und die Lohnsteigerungen irgendwie finanzieren muss. Mast-Weisz sagt: „Eine riesige Herausforderung.“

Denn die Mitte Oktober vorgestellten Lohnforderungen für Angestellte des öffentlichen Dienstes sind enorm. Die Gewerkschaft Verdi und der Deutsche Beamtenbund (DBB) fordern ein Plus von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro. Betroffen sind mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen. Die Lohnrunde solle den drohenden Abstieg vieler hart arbeitender Menschen durch die bevorstehende Rezession verhindern, sagte Verdi-Chef Frank Werneke. Hinter den Beschäftigten lägen zwei Jahre des Reallohnverlustes.

Die erste Verhandlungsrunde vergangene Woche wurde nach dreistündiger Beratung ergebnislos vertagt. Stocken die Verhandlungen weiter, könnte es ungemütlich werden. Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach drohte am Montag in der „Augsburger Allgemeinen“ mit einem „Lockdown“ durch flächendeckende Streiks, sollten die Arbeitgeber nach der dritten Verhandlungsrunde im März kein Angebot vorliegen.

Das geforderte Plus von 10,5 Prozent würde die kommunalen Arbeitgeber insgesamt 15,4 Milliarden Euro kosten. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) lehnt das als „nicht leistbar“ ab. Zu teuer für viele Kommunen – und wohl auch für Remscheid.

Die 114.000 Einwohner Stadt im Herzen Nordrhein-Westfalens ist stark verschuldet. Rund 600 Millionen Euro Minus seien es, sagt Oberbürgermeister Mast-Weisz. Der Haushalt sei deshalb auf Kante genäht. Ein Viertel der Ausgaben gehe an die rund 2300 Beschäftigten.

Egal, was bei den Tarifverhandlungen herauskommt, es wird den Personaletat noch einmal „deutlich in die Höhe treiben“, wie Oberbürgermeister Mast-Weisz sagt. Der SPD-Politiker rechnet vor: „Eine Erhöhung um ein Prozent wären allein schon 840.000 Euro jährlich.“ Geld, das für zehn neue Stellen reiche.

Es gehe ihm aber nicht allein um die Belastungen durch höhere Personalkosten, sagt Mast-Weisz. Das Problem seien auch die allgemeinen Kostensteigerungen: höhere Energiekosten für kommunale Gebäude und höhere Kosten bei sozialen Trägern oder auch Bauprojekten. „Und wir müssen auch in Schulen und Kitas investieren.“

Und dann sind da noch die gestiegenen Zinsen für Kassenkredite. Allein im vergangenen Jahr kosteten die die Stadt sechs Millionen Euro. Mast-Weisz rechnet mit einer Verdopplung, sollten Bund und Länder keine Lösung für verschuldete Kommunen finden. Mast-Weisz wird deutlich: „Das alles bringt uns an den Rand der Handlungsfähigkeit.“

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Vor der Coronakrise war die Situation eine andere. Remscheid sparte – und konnte Schulden abbauen. Auf 550 Millionen Euro sank das Minus, erzählt Mast-Weisz. Der Preis dafür war hoch: 300 Stellen wurden gestrichen, Jugendeinrichtungen aufgegeben. Weiter Einsparungen seien jetzt nicht mehr möglich, meint Mast-Weisz: „Das Tischtuch ist inzwischen zu kurz.“ Sonst sei die Attraktivität der Stadt gefährdet.

Ein Problem des öffentlichen Dienstes ist der Personalmangel. DBB-Chef Ulrich Silberbach sagt, dass bereits jetzt 360.000 Beschäftigte fehlten. Tendenz steigend, da in den kommenden Jahren 1,3 Millionen Beschäftigte in den Ruhestand gingen. Ein Grund für die hohen Lohnforderungen von Verdi und DBB. „Ohne eine massive Lohnsteigerung wird der Personalmangel im öffentlichen Dienst eskalieren“, sagt Silberbach. In der Industrie seien die Gehälter immer noch höher.

Auch Remscheid bräuchte eigentlich mehr Personal. Der Bedarf liegt bei 90 Stellen. „Eingerichtet haben wir nur ein paar. Die, die unbedingt besetzt werden mussten“, sagt Oberbürgermeister Mast-Weisz. Problem sei dabei aber auch die finanzielle Situation der Stadt, die Neuanstellungen nicht zulasse. Er komme sich vor „wie in einer Zitronenpresse“. Auf der einen Seite erwarten die Bürger digitalisierte Ämter, auf der anderen Seite braucht es dafür aber Personal, das lieber in die freie Wirtschaft gehe oder zu teuer sei für die Stadt.

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Manchmal, sagt er, raube ihm die Situation der Stadt und der seiner Angestellten den Schlaf. „Aber ich blicke nach vorne.“ Er sei Optimist. Eine Grundhaltung, die in den kommenden Wochen häufiger auf die Probe gestellt werden dürfte.

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