WirtschaftsWoche: Herr Radunski, Umfragen zufolge wird die Alternative für Deutschland am Sonntag bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern mehr als 20 Prozent der Stimmen holen. Ist die AfD auf dem besten Weg zur Volkspartei?
Peter Radunski: Sie ist es schon längst. Die AfD ist ein ernster politischer Konkurrent, der von allen Parteien auch so wahrgenommen werden muss. Man kann die AfD nicht mehr ignorieren, sondern muss sich inhaltlich mit ihr auseinandersetzen.
In dem am Freitag erschienenen Buch „AfD – Bekämpfen oder ignorieren“ fordern Sie in einem Beitrag nicht nur die Auseinandersetzung mit der Partei, Sie schlagen sogar vor mit ihr Regierungen zu bilden. Würde das die Partei nicht noch stärker machen?
Das Koalitionsangebot ist die beste Waffe in der Auseinandersetzung mit der Partei. Wenn der AfD Regierungsverantwortung übertragen wird, muss sie sich beweisen. Ihre Führungskräfte müssten den Anhängern zeigen, dass sie kompetent sind und sich das von ihnen propagierte Programm auch umsetzen lässt. Eine Regierungsbeteiligung wäre der härteste Existenztest für die AfD. Sollte die Partei mehrfach Koalitionen ablehnen, weil sie sich selbst noch nicht für regierungsfähig hält, werden ihre Wähler das nicht nachvollziehen können. Damit würde sich die AfD langfristig selbst schaden.
Zur Person
Der Wahlkampfexperte und Politikberater Peter Radunski leitete zwischen 1976 und 1990 alle Bundes- und Europawahlkämpfe Helmut Kohls sowie mehrere Landtagswahlkämpfe der Union. Von 1991 bis 1999 war Radunski, der selbst CDU-Mitglied ist, Senator für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie für Wissenschaft und Kunst in Berlin. Heute arbeitet der 77-Jährige als Politikberater für das Kommunikationsunternehmen MSL Group.
Als Regierungspartei hätte die AfD die Chance, das Programm, vor dem Sie und die anderen Autoren des Buches so eindringlich warnen, zumindest teilweise umzusetzen.
Nein, die AfD wäre ja in einer Koalition. Rein rechnerisch ist eine Koalition aus zwei Parteien etwa mit der CDU derzeit nicht möglich. Die zwei potentiellen Koalitionspartner der AfD wären somit deutlich in der Übermacht und würden nicht zulassen, dass die AfD die rassistischen und menschenverachtenden Punkte ihres Programms umsetzt.
Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern sind CDU und AfD Umfragen zufolge nah an einer gemeinsamen Mehrheit. Der perfekte Zeitpunkt für die erste Koalition der beiden Parteien?
Nein, heute ist noch keine Koalition möglich. Auf die AfD zuzugehen ist ein langfristiger Prozess. Eine Regierungsbeteiligung ist frühestens nach der kommenden Bundestagswahl im September 2017 denkbar – natürlich nur auf Landesebene. Außerdem haben sich die CDU-Landeschefs in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, Lorenz Caffier und Frank Henkel, bereits klar gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen.
Ihre Parteikollegen dürften über ihren Vorstoß kurz vor den Wahlen alles andere als begeistert sein. Befürchten Sie nicht der CDU durch ihren Vorschlag zu schaden?
Ich habe den Beitrag schon im Mai geschrieben. Dass das Buch jetzt erscheint, ist nicht meine Entscheidung gewesen. Mir wäre eine Veröffentlichung nach den Landtagswahlen lieber gewesen. Ich will den Wahlkampf der CDU nicht behindern.
Sie werben für einen intensiven Dialog mit AfD-Wählern. Lässt sich in einer solchen Diskussion überhaupt rational argumentieren?
Wir dürfen die AfD-Wähler nicht verloren geben, viele von ihnen haben vor kurzem noch die etablierten Parteien gewählt. Man kann eine ganze Reihe von Menschen zurückholen, wenn man mit ihnen spricht. Viele Wähler verspüren Angst, Wut und Unzufriedenheit. Wir dürfen nicht alle einfach als Rassisten und Extremisten bezeichnen.
Warum die CDU mehr wie die CSU sein sollte
Sie fordern, die etablierten Parteien sollten Begriffe wie „Deutschland“, „Heimat“, „Fremdenangst“ und „Anti-Islamismus“ im Gespräch mit AfD-Anhängern aufgreifen. Heißt das, die Parteien sollen auch einen Teil des Programms der AfD übernehmen?
Wenn man Begriffe wie Heimat verwendet, wird man heute schon als rechts bezeichnet. Das darf nicht sein. Im Bundestagswahlkampf 1976 haben wir mit dem Slogan ‚Aus Liebe zu Deutschland‘ für die CDU geworben. Diese Kampagne wäre heute nicht mehr möglich. Das bedaure ich. Wir dürfen Begriffe wie Heimat oder Deutschland nicht der AfD überlassen, sondern müssen lernen, uns wieder auf sie zu beziehen.
Die CDU sollte wieder weiter nach rechts rücken? Ihre Parteikollegen Julia Klöckner und Guido Wolf sind damit im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kläglich gescheitert.
Sie sind gescheitert, weil sie das Programm kurz vor den Wahlen geändert haben. Wir müssen weniger unser Programm als unsere Tonalität und Wortwahl ändern…
Die Sprüche der AfD
Ob Flüchtlingspolitik oder Fußball - mit markigen Sprüchen sorgen führende AfD-Politiker immer wieder für Kopfschütteln und Empörung, wie jetzt die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch. Einige Zitate.
Quelle: dpa
„Das ist ungefähr so, als würden Sie mit Plastikeimern einen Tsunami stoppen wollen.“ (Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen am 24. Oktober 2015 bei einem Landesparteitag in Baden-Württemberg über die Maßnahmen der Bundesregierung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise)
„Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp.“ (Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am 21. November 2015 in einem Vortrag über Asylbewerber aus Afrika)
„Wer das HALT an unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angreifer. Und gegen Angriffe müssen wir uns verteidigen. (...) Es gibt keinen Grund, mit Gewalt unsere Grenze zu überqueren.“ (Die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch Ende Januar 2016 auf ihrer Facebook-Seite über Flüchtlinge)
„Ich will das auch nicht. Aber zur Ultima Ratio gehört der Einsatz von Waffengewalt.“ (Die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry in einem Interview des „Mannheimer Morgen“ vom 30. Januar 2016. Angesichts des Flüchtlingszustroms forderte sie im Notfall auch den Einsatz von Schusswaffen.)
„Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.“ (Gauland am 24. Februar 2016 im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“ über Flüchtlinge)
„Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“ (Gauland in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 29. Mai 2016 über Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng)
„Eine deutsche oder eine englische Fußballnationalmannschaft sind schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne.“ (Der AfD-Bundesvize Alexander Gauland am 3. Juni 2016 im „Spiegel“)
…so wie die CSU?
Ja, die CSU schafft es auf jeden Fall viel besser auf das Thema Heimatliebe einzugehen und sich als eine Partei der Bayern, ihrer Wähler, zu präsentieren. Deshalb ist die AfD in Bayern auch nicht so stark wie in anderen Bundesländern.
Sie sind überzeugt, dass die etablierten Parteien deutlich bessere Spitzenpolitiker als die AfD haben. Sollten die Parteien demnach im Wahlkampf mehr auf Personen und weniger auf Inhalte setzten? Angela Merkels Beliebtheitswerte sind im vergangenen Jahr ja eher gesunken.
Ja, aber was wäre die CDU ohne Angela Merkel? Die Persönlichkeiten der etablierten Parteien wirken im Wahlkampf deutlich stärker als die der AfD, die nicht wegen einer Frauke Petry oder eines Alexander Gaulands gewählt wird. Die Partei wäre viel gefährlicher, wenn sie stärkere Spitzenpolitiker hätte. Wer heute Wahlkampf macht, sollte gerade im Kampf gegen die AfD noch stärker auf Gesichter setzen.
Wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen
Als Spezialproblem der Union wird die AfD ausdrücklich nicht betrachtet. Aus Sicht von Kanzlerin Angela Merkel ist dem Protest die Spitze zu nehmen, indem man Probleme anspricht und zu lösen versucht. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) beharrt darauf, die AfD zu ignorieren. Die CSU fährt einen eigenen Kurs. Mit scharfer Kritik an Merkels Kurs versucht Parteichef Horst Seehofer, eine dauerhafte AfD-Etablierung rechts von der Union zu verhindern.
Die SPD fordert, der Verfassungsschutz müsse die AfD beobachten. Als schräg empfanden es viele, dass in Mainz SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sich einem TV-Duell mit der AfD verweigerte - ihr SPD-Landeschef ging dann hin. Die AfD könnte auch der SPD kleinbürgerliche Anhänger abjagen, die denken, der Staat kümmere sich nur noch um Flüchtlinge. So fordert Parteichef Sigmar Gabriel ein Solidarpaket für sozial benachteiligte Bürger.
Die Grünen haben die geringsten politischen Schnittmengen mit der AfD und müssen von den etablierten Parteien wohl am wenigsten eine Abwanderung ihrer Wähler befürchten. Korrigiert wurde aber das Nein zu TV-Talkrunden mit der AfD. Die Rechtspopulisten haben laut Grünen-Chefin Simone Peter „eine Wucht erzeugt“, dass man sich mit der Partei „an einen Tisch setzen“ müsse.
Die Linke setzt auf klare Abgrenzung zur AfD. Durch die leichten Zugewinne bei den Kommunalwahlen in Hessen sieht sie diesen Kurs bestätigt. Union und SPD wirft die Linke dagegen vor, als Reaktion auf die AfD-Erfolge nach rechts zu driften. „Wir können durchaus von einer Polarisierung nach rechts reden“, sagt Parteichef Bernd Riexinger.
FDP-Chef Christian Lindner wollte die AfD lange ignorieren. Doch spätestens nach den Silvester-Übergriffen überwiegend ausländischer Täter auf Frauen in Köln und Hamburg, die auch die bürgerliche Mitte verunsicherten, war dieser Kurs nicht durchzuhalten. Lindner sieht die AfD aber nicht als direkte Konkurrenz: „Die Freien Demokraten sind unter allen Parteien der schärfste Kontrast zur AfD“.
Wenn die Parteien Ihre Strategien umsetzen, verschwindet dann die AfD wieder in der Versenkung?
Nein, die AfD wird bleiben. Die Frage ist, wie groß die Partei wird. Wird sie eine kleine Partei oder eine Volkspartei, so wie es derzeit scheint. Wenn sie mitregiert, könnte sie vor allem zu einer gemäßigten rechtskonservativen Partei werden.