Angesichts des Rückgangs der Gas-Lieferungen aus Russland hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag die zweite Stufe das Notfallplans Gas ausgerufen.
Was ist der Notfallplan Gas und was bedeutet die nun ausgerufene Alarmstufe?
Die Alarmstufe ist die zweite von drei Stufen des Notfallplans Gas. Die drei Stufen sind:
- die Frühwarnstufe
- die Alarmstufe
- die Notfallstufe
Bisher galt die Frühwarnstufe. Die höchste Stufe ist die sogenannte Notfallstufe. Der Notfallplan Gas wiederum regelt das Vorgehen in Deutschland, wenn sich die Versorgungslage stark zu verschlechtern droht – oder wenn dies der Fall ist.
Es folgt die Alarmstufe, die das Bundeswirtschaftsministerium am Donnerstag ausrief. Laut Plan liegt in diesem Fall „eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt – der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen“.
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Private Haushalte, aber auch Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, die Feuerwehr und die Polizei sind in der dritten und höchsten Stufe, dem Notfall, besonders geschützt. Das bedeutet, ihre Versorgung soll auch durch Eingriffe des Staates in den Markt sichergestellt werden. Bei der von der Bundesregierung bereits ausgerufenen Frühwarnstufe wurden Vorbereitungen getroffen. In dieser Phase hat etwa die Bundesnetzagentur als zuständige Behörde erarbeitet, nach welchen Kriterien sie bei einer Notlage das knapp gewordene Gas verteilen kann.
Diese Länder haben einen Alarm bei der Gaslieferung ausgesprochen
In Deutschland galt seit Ende März die Frühwarnstufe und damit die erste Eskalationsstufe des Notfallplans Gas. Dieser sieht als zweiten Schritt die Alarm- und als dritten die Notfallstufe vor. Am 23. Juni wurde die Alarmstufe ausgerufen.
Würde die dritte Stufe ausgerufen, würde die Bundesnetzagentur in den Markt eingreifen und entscheiden, ob und wieviel Gas an Haushalte, Industrie und Gewerbe geliefert werden.
Österreich hat wie Deutschland die Frühwarnstufe im Gas-Notfallplan ausgerufen. Die Alarmstufe zu erhöhen ist nach Angaben des Regulators E-Control derzeit nicht notwendig. „Im Moment ist es so, dass auch mit den reduzierten Mengen der Verbrauch gedeckt werden kann und auch eingespeichert werden kann pro Tag“, sagte Carola Millgramm, die Leiterin der Gasabteilung der E-Control, am 21. Juni der Nachrichtenagentur Reuters.
Betroffen von einer Drosselung seien die Gasflüsse über die Ostsee-Pipeline Nord Stream. Die Importe über den Gashub Baumgarten in Niederösterreich seien stabil, erklärte die Austrian Gas Grid Management (AGGM), die für das Management der internationalen Gastransitleitungen zuständig ist, in ihrem Lagebericht.
Die Niederlande befindet sich in der ersten Phase einer Gaskrise, warnte Energieminister Rob Jetten am 20. Juni. Russland hatte bereits im Mai die Lieferung von Gas gestoppt. Jetzt kurbelt das Land die Produktion der Kohlekraftwerke erneut an. Es gebe zwar noch keinerlei Engpässe. Doch durch Russlands Entscheidung, die Gaslieferungen in europäische Länder zu stoppen oder stark zu reduzieren, könne sich die Lage schnell verschlechtern. Der Minister rief Bürger und Betriebe dringend auf, so viel Energie wie möglich zu sparen.
Dänemark hat am 20. Juni eine Warnung ausgesprochen. Das Land erhält bereits kein Gas mehr aus Russland.
Schweden hat am 21. Juni für Teile des Landes die erste von drei Alarmstufen wegen möglicher Probleme bei der Gasversorgung aus Russland ausgerufen. Die Stufe gilt laut Energiebehörde für Landesteile im Westen und Süden Schwedens, um sich auf potenzielle Liefer-Unterbrechungen vorzubereiten.
Warum ruft das Wirtschaftsministerium die Alarmstufe Gas aus?
Grund sind laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die reduzierten Gaslieferungen aus Russland und die anhaltend hohen Preise. Auslöser der am Donnerstag ausgerufenen Alarmstufe war, dass der russische Staatskonzern Gazprom die Lieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream deutlich gedrosselt hat. Durch die Pipeline fließen nur noch knapp 40 Prozent der Maximalkapazität. Bereits auf dem derzeitigen Gasimport-Niveau lässt sich das Ziel, die Gasspeicher bis zum 1. November auf 90 Prozent zu füllen, kaum noch ohne Zusatzmaßnahmen erreichen. Derzeit sind die Speicher zu weniger als 60 Prozent gefüllt. Aktuell sei die Versorgungssicherheit noch gewährleistet.
„Die Lage ist ernst“, erklärte Habeck in Berlin. „Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff auf uns.“ Die Strategie von Russlands Präsident Wladimir Putin sei es, Unsicherheit zu schüren, die Preise hoch zu treiben und zu spalten. „Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen.“ Oberste Priorität sei es nun, die Gasspeicher zu füllen. Alternative Anbieter würden gesucht und erneuerbare Energien ausgebaut. Außerdem müsse mehr Gas eingespart werden.
Ist die Energieversorgung in Deutschland aktuell noch gesichert?
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagt, es gebe eine trügerische Sicherheit bei der Gasversorgung im Sommer. Man müsse sich aber auf den Winter vorbereiten. Deutschland habe im vergangenen Jahrzehnt viel versäumt. Die Abhängigkeit von Russland bei Energielieferungen müsse jetzt schrittweise reduziert werden. Die Ausrufung der Alarmstufe ist aber auch eine Voraussetzung für die Umsetzung der Pläne der Bundesregierung, dass vermehrt Kohle-Kraftwerke wieder ans Netz geholt werden sollen, um Erdgas bei der Stromproduktion einzusparen. Das entsprechende Gesetz soll am 8. Juli den Bundesrat passieren.
Kommt jetzt die Preisexplosion für Verbraucher?
Anders als die Frühwarnstufe könnte die Alarmstufe für Unternehmen und Verbraucher erhebliche Konsequenzen mit sich bringen, wenn Versorger ihre höheren Einkaufspreise direkt an ihre Kunden weiterreichen könnten. Dafür war im Energiesicherungsgesetz im Mai eine neue Preisanpassungsklausel geschaffen worden. Das ist aber kein Automatismus. Sie muss zuvor förmlich von der Bundesnetzagentur aktiviert werden.
Das bedeutet für Unternehmen und Verbraucher also vorerst nicht, dass Energieversorger die drastisch gestiegenen Einkaufspreise für Erdgas direkt an ihre Kunden weitergeben könnten. Die Bundesregierung verzichtete am Donnerstag auf diesen entscheidenden Schritt, der Unternehmen und Verbrauchern sofortige drastische Preiserhöhungen beim Erdgas beschert hätte: Die erst im Mai geschaffene gesetzliche Preisanpassungsklausel wurde nicht aktiviert. An einer Stelle in der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP wurde dies auch damit begründet, dass über Alternativen nachgedacht werde – und dass die Preisklausel allenfalls dann aktiviert würde, wenn weitere Entlastungen etwa für private Verbraucher beschlossen seien. Vielfach habe sich deren Belastung im Rahmen bestehender Verträge schon verdoppelt. Habeck warnt gleichwohl vor einem „Lehman Brothers"-Effekt.
Habeck wiederum erklärte am Donnerstag: „Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen.“ Das werde sich auf die Industrieproduktion auswirken und für viele Verbraucher eine große Last werden. Er rief unter anderem dazu auf, Heizungsanlagen warten zu lassen. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich.
Habeck sagte auch: „Es ist ein externer Schock.“ Er warf Russlands Präsident Wladimir Putin einen „ökonomischen Angriff“ vor.
Was folgt im Fall der Notfallstufe?
Sollte künftig sogar noch die dritte Stufe ausgerufen werden, die Notfallstufe, dann liegt eine „außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere beträchtliche Verschlechterung der Versorgungslage vor“. Maßnahmen des Markts reichen dann nicht aus, um die Gasnachfrage zu decken. Die Folge des Notfalls ist, dass der Staat einschreiten muss – um insbesondere die Versorgung der „geschützten Kunden“ sicherzustellen: das sind private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, stationäre Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen zur Pflege und Betreuung behinderter Menschen sowie etwa Feuerwehr, Polizei und Bundeswehr.
Zu Maßnahmen im Notfall zählen dann etwa Anordnungen zur Abschaltung von Industriekunden oder an End- und Großverbraucher, den Verbrauch zu verringern. Eine feste Abschaltreihenfolge in Bezug auf einzelne Großverbraucher oder Branchen gibt es nicht, wohl aber Kriterien, an denen sich die Bundesnetzagentur orientiert. Dies sind etwa die Dringlichkeit der Maßnahme, die Größe des Unternehmens, die Vorlaufzeiten für ein Herunterfahren oder die erwarteten volks- und betriebswirtschaftlichen Schäden.
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