Wirecard-Sondersitzung „Wir erleben Ablenkungsmanöver!“

Bei der letzten Sondersitzung des Bundestags-Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal kam nach Meinung vieler Beteiligter wenig bei rum. Quelle: dpa

Der Bundestag befasst sich erneut mit dem größten Finanzskandal der Nachkriegsgeschichte. Es gibt hunderte Fragen zur Causa Wirecard – und dürftige Antworten des Bundesfinanzministeriums und der BaFin.

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Nach den unschönen Protesten von Corona-Leugnern vor dem Reichstag am Wochenende geht es an diesem Montag und Dienstag im Hohen Haus wieder munter los – indes gesitteter, konstruktiver und demokratisch. Im großen Sitzungssaal PLH 2.300 treffen sich die Finanzexperten, um sich in einer weiteren Sondersitzung mit dem zusammengebrochenen Finanzkonzern Wirecard und der offenbar unzureichenden Finanzmarktkontrolle zu befassen. Diesmal fehlt Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), dafür sind Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (ebenfalls SPD) und aus dem Kanzleramt Staatsminister Hendrik Hoppenstedt (CDU) als höchstrangige Gäste geladen.

Allzu viel Hoffnung auf neue Informationen haben die Abgeordneten wohl nicht. So erklärt der Obmann von CDU/CSU, Hans Michelbach, kurz vor der Sondersitzung gegenüber der WirtschaftsWoche: „Wir unternehmen heute einen neuerlichen Versuch, um Licht in den bislang wohl größten Finanzskandal der Nachkriegsgeschichte zu bringen.“ Die bisherigen Erkenntnisse seien jedenfalls „unbefriedigend“.

Auch die Ausschussvorsitzende Katja Hessel würde sich einen größeren Erkenntnisgewinn als bei der ersten Sondersitzung des Parlaments vor vier Wochen wünschen. „Man kann viel reden und wenig sagen“, so Hessel, „das hat Bundesfinanzminister Scholz vier Stunden lang das letzte Mal getan.“ Die FDP-Politikerin fügt sarkastisch hinzu: „Deshalb haben wir bei der heutigen Sitzung deutlich Luft nach oben.“

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von Lukas Zdrzalek

So viel lässt sich bisher zur Bereitschaft der Bundesregierung sagen: Die Mauer des Schweigens und des Um-den-heißen-Brei-herum-Redens ist hoch. Auch die noch vor der zweiten Sondersitzung eingegangene Antworten des Bundeskanzleramtes auf Fragen des linken Abgeordneten Fabio De Masi, der Einzelheiten zu den Kontakten des Kanzleramtes zu Wirecard erfahren wollte, deuten darauf hin. Die meisten Antworten weisen auf die Vertraulichkeiten der Gespräche hin oder insinuieren Unkenntnis bis Ahnungslosigkeit. Damit provoziert aber die Regierung geradezu das Interesse der Abgeordneten an einer Aufklärung, wie es zu dem Finanzskandal von Wirecard an allen Prüf- und Kontrollmechanismen vorbei kommen konnte.

Allein bei den Grünen erarbeiteten die beiden Finanzexperten Lisa Paus und Danyal Bayaz einen Katalog von 90 Fragen für die Sondersitzung in dieser Woche. Dabei geht es um geheimdienstliche Erkenntnisse über den schillernden Wirecard-Vorstand Jan Marsalek genauso wie um Fragen zu Geldwäsche, um Kontrollen der BaFin als auch um die Einordnung von Wirecard als Tech-Konzern in Bayern oder um die Frage an Bundesjustizministerin Lambrecht, wie sie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen FT-Journalisten beurteilt.

Dabei könnte es eigentlich „ja nicht so schwer sein, klar zu machen, was schief gelaufen ist“, sagt CSU-Mann Michelbach. Doch er habe einen Präsidenten der BaFin erlebt, der Dinge sage, die er dann nicht gesagt haben wolle. Es gebe einen Bundesfinanzminister, der sich in die Zukunft flüchte, statt zu seiner Verantwortung zu stehen. Michelbach: „Wir erleben Ablenkungsmanöver.“


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Alles deutet darauf hin, dass der Bundestag nach der erneuten Sondersitzung die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses beschließen wird. Dazu reichen die Stimmen der Oppositionsparteien aus. Der Ausschuss könnte dann Dokumente und Mails anfordern – wo die Abgeordneten derzeit nur höflich drum bitten können. Das Recht dazu hätten nicht nur die unzähligen Anleger, die im Vertrauen auf effektive stattliche Kontrollen viel Geld verloren haben.

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