Wirtschaft im Weitwinkel

Die Großzügigkeit der Regierung kostet Arbeitsplätze

Ob Mindestlohn, Rente mit 63 oder die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst - die Spendierlaune der Bundesregierung wird nach hinten losgehen, meint Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Zwei Frauen gehen an dem Logo der Bundesagentur für Arbeit vorbei Quelle: dpa

Die schwarz-rote Bundesregierung ist in Spendierlaune: Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren dürfen schon bald abschlagsfrei mit 63 in Rente gehen. Mütter, die vor 1992 Kinder auf die Welt brachten, kriegen mehr Rente. Auch die Erwerbsgeminderten freuen sich schon auf eine deutliche Rentenerhöhung. Darüber hinaus wird die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro beschlossen. Und vor wenigen Tagen bekamen die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst eine satte Lohnerhöhung. Die Bundesregierung legt damit die Latte hoch. Denn die privaten Arbeitgeber müssen sich in ihren kommenden Tarifverhandlungen an diesem Abschluss orientieren.

Die neue Großzügigkeit der Bundesregierung kostet viel Geld und wird viele Arbeitsplätze vernichten. Allein die Mehrkosten für die Rente mit 63, die Mütterrente und die erwerbsgeminderten Rente liegen bei rund 160 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. Der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde wird zwar für kräftige Gehaltserhöhungen im Bereich der Niedrigverdiener sorgen und zugleich aber auch für neue Arbeitslose.

Fünf Millionen Arbeitnehmer, das sind rund 15 Prozent aller Beschäftigten, sind vom Thema Mindestlohn betroffen. Vor allem im Bereich der persönlichen Dienstleistungen, also etwa im Friseurhandwerk, bei Taxifahrern und im Fremdenverkehrsgewerbe, aber auch in der Landwirtschaft wird der Mindestlohn die Kosten erheblich nach oben treiben. Besonders kleine Betriebe werden deshalb in Bedrängnis geraten. Sie müssen dann versuchen, über entsprechende Preiserhöhungen die Belastungen an die Verbraucher weiterzugeben. Diejenigen, denen das nicht gelingt, werden aufgeben.

Betrachtet man die Erfahrungen, die unsere europäischen Nachbarn in den vergangenen Jahren mit dem Mindestlohn gemacht haben, so hätte man durchaus Einiges lernen können. Beispielsweise, dass negative Beschäftigungseffekte offenbar stark mit der Höhe des Mindestlohns zusammenhängen. Dabei ist weniger die absolute Höhe in Euro und Cent entscheidend, sondern vielmehr das relative Verhältnis des Mindestlohns zum Medianlohn. Beim Medianlohn verdient genau die Hälfte der Beschäftigten mehr, die andere Hälfte weniger. Nach einer Analyse des Sachverständigenrates würde Deutschland mit einem Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einen Spitzenplatz hinsichtlich des Verhältnisses von Mindest- zu Medianlohn einnehmen, das rund 62 Prozent betragen könnte.

Stefan Bielmeier ist seit 2010 der Chefvolkswirt und Leiter Research der DZ Bank, dem Zentralinstitut von mehr als 900 Genossenschaftsbanken. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Presse

Bislang hatte Frankreich unter den OECD-Ländern mit rund 9,50 Euro und gut 60 Prozent im Vergleich zum Medianlohn einen der höchsten Mindestlöhne in Europa zu verzeichnen. Die dort gemachten Erfahrungen sind in Bezug auf den Arbeitsmarkt nicht vielversprechend. Diverse Studien sehen in dem Mindestlohn und in dem starken Kündigungsschutz wichtige Ursachen für die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich. Eine Besonderheit in Frankreich: Der garantierte Mindestlohn wird mit einem deutlichen Lohnzuschuss kombiniert. Dieser wird vom Staat an die Unternehmen gezahlt, um die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Arbeitskosten abzufedern.

In Deutschland droht nun ein ähnliches Szenario: Der Mindestlohn wird nach Berechnungen des ifo-Instituts rund 900.000 Arbeitsplätze vernichten. Dennoch ist eine Wiederabschaffung des Mindestlohns kaum zu erwarten. Entsprechend muss auch hierzulande die Politik einen anderen Ausweg wählen. Sie könnte wie in Frankreich den Mindestlohn in Zukunft massiv subventionieren, um so die negativen Beschäftigungseffekte einzudämmen. Dann wird der Mindestlohn gleich eine dreifache negative Wirkung haben: Für diejenigen, die durch ihn ihre Arbeit verloren haben, für die Verbraucher aufgrund der Preissteigerungen, und auch für die Steuerzahler.

Wettbewerbsfähigkeit deutsche Unternehmen wird schlechter

Die deutschen Steuerzahler werden in den kommenden Jahren auch für die staatlichen Dienstleistungen tiefer in die Tasche greifen müssen. Denn die öffentliche Hand sorgt auch bei den eigenen Bediensteten, die kaum vom Mindestlohnbeschluss betroffen sein dürften, für gute Laune. Die Tarifeinigung für den öffentlichen Dienst, die für die 2,1 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen Einkommenssteigerungen um insgesamt 5,7 Prozent vorsieht, legt die Latte auch für die Privatwirtschaft sehr hoch. Vor allem im Bereich der niedrigen Einkommen, wo sich der vereinbarte Sockelbetrag von 90 Euro und die Gehaltssteigerung auch für 2015 auf eine Tariferhöhung um insgesamt 8,2% summieren.

Offensichtlich ist es das Ziel der Bundesregierung, die Spreizung der deutschen Lohnstruktur durch überdurchschnittlich starke Anhebungen im unteren Bereich (sowohl bei den Renten also auch bei den Löhnen) zu verringern. Doch betrifft bereits heute die Arbeitslosigkeit vor allem die Gruppe der wenig Qualifizierten. So lag nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit die qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote bei Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss im Jahr 2011 bei 20 Prozent, während sie bei Fachkräften, also Menschen mit beruflichem oder akademischem Abschluss, dagegen weniger als fünf Prozent betrug. Diese Unterschiede werden sich aller Voraussicht nach in den kommenden Jahren eher noch verschärfen. Für die weniger Qualifizierten wird es in Zukunft wohl noch schwieriger werden, überhaupt einen Job zu ergattern.

Die mit den höheren Löhnen verbundenen Kostensteigerungen verschlechtern tendenziell die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Denn auch für die Privatwirtschaft setzt der Abschluss im öffentlichen Dienst eine Marke. Zwar ist die Position der deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb nach wie vor recht günstig, doch werden neben dem hohen Eurokurs auch die steigenden Lohnkosten mehr und mehr zur Belastung. Die Konvergenz bei den Lohnstückkosten, die sich zwischen Deutschland und vielen der europäischen Nachbarn bereits seit rund drei Jahren beobachten lässt, wird sich wohl beschleunigen. Die Vorteile, die sich Deutschland durch Lohnzurückhaltung und Hartz-Reformen erarbeitet hat, schwinden zusehends dahin.

Im europäischen Ausland dürfte daher neben den verständlichen Neid auf die komfortable Situation der Beschäftigten in Deutschland auch Genugtuung treten: Wenn es so weitergeht, könnte es mit der Dominanz der deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb bald wieder vorbei sein.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%