Wirtschaftsbilanz So gut funktioniert die Ampel-Koalition*

Ein Modell für den Bund? In Rheinland-Pfalz lässt sich erkennen, wie gut eine Ampel-Koalition zusammenarbeitet. Quelle: dpa

*Okay, nur in Rheinland-Pfalz, wo es ein solches Bündnis schon gibt. Aber taugt die Arbeit von Rot-Gelb-Grün in Mainz als Empfehlungsschreiben für den Bund?

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Wahlkämpfe, Plakate und vollmundige Versprechen sind das eine, die Realität vor Ort aber vielleicht eine andere. Günter Jertz wollte es deshalb genau wissen. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Rheinhessen gab eine Befragung unter seinen Mitgliedern in Auftrag, pünktlich zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2021.

Heraus kam ein umfassendes Zeugnis für die Landesregierung – und es fiel durchwachsen aus: 2,9, befriedigend also, lautete die Gesamtnote. Jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) konnte keine Veränderung des Wirtschaftsstandortes zwischen Mainz und luxemburgischer Grenze in den vergangenen fünf Jahren erkennen, immerhin 38 Prozent sahen dann doch einen positiven Trend.

Mit am besten funktionierte in den Augen der rund 1500 befragten Firmen die Zusammenarbeit mit Unis und die Förderung der beruflichen Bildung. Scharf an der Grenze zur gefährdeten Versetzung rangierten hingegen Fächer wie die Digitalisierung der Schulen und Verwaltungen oder die Anbindung an Breitband-Highways und Mobilfunknetze. Für eine SPD-Regierung mit FDP-Beteiligung, die seit vielen Jahren „Digital first“ fordert, schon ein bemerkenswertes Urteil.

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Rheinland-Pfalz wird in diesen Tagen besonders interessant, weil es die einzige amtierende Ampel-Koalition auf Landesebene ist – und von vielen Seiten gerade als Blaupause für Berlin hervorgehoben wird. Mit SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer, FDP-Generalsekretär Volker Wissing (bis Mitte Mai noch Wirtschaftsminister in Mainz) und dem liberalen Schatzmeister und Ex-Genossen Harald Christ sitzen nicht zufällig gleich drei Rheinland-Pfälzer in den Sondierungsteams, die ab heute ausloten werden, ob es zur ersten Ampel auf Bundesebene kommen könnte.

Was also könnte man vom Land für den Bund lernen, welche Schlüsse ziehen? Und welche Wirtschaftsbilanz hat Rot-Gelb-Grün in Mainz überhaupt?

Die Ampelkoalition habe „durchaus ein offenes Ohr für die Belange der Wirtschaft“, sagt IHK-Geschäftsführer Jertz. Doch die Umfrage unter seinen Mitgliedern zeige eben auch: „Es hakt bei der Umsetzung. Der Wille ist da, die Ergebnisse sind es noch nicht.“ So fehle beispielsweise bis heute ein Gewerbegebietsatlas, auf den man dann zurückgreifen könnte, wenn es darum ginge, große Ansiedlungen mit attraktiven Flächen zu begleiten. Jertz klingt da letztlich wie seine Umfrage: alles soweit solide, aber Euphorie – Fehlanzeige.

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Das Land vereint Gegensätze: mit Mainz und Rhein-Neckar zwei Metropolregionen, dazu aber viele strukturschwache Landstriche wie die Eifel oder der Hunsrück. Wenige Großunternehmen wie BASF, Teile des Daimler-Konzerns oder Boehringer Ingelheim, zuletzt natürlich der Biontech-Aufbruch um die Uni Mainz herum, ansonsten viel Mittelstand, darunter auch einige exzellente hidden champions. Licht und Schatten also.

Dreyer, die populäre Landesmutter, regiert mit der Ampel seit 2016. Dass ihre Koalition Vorbildcharakter für Berlin haben könnte, diesen Gedanken greift sie auch selbst immer wieder gerne auf. Wirtschaftspolitisch jedoch müsste an diese Vorbildrolle wohl ein Fragezeichen gemacht werden. Im jüngsten KfW-Gründermonitor fiel das Land von Rang 9 auf 13. Bei den Ausgaben je Student rangiert es sogar auf dem vorvorletzten Platz aller Bundesländer. Unter der Ampel hat es das Land zudem bisher kein einziges Mal geschafft, stärker als der Bundestrend zu wachsen. 2019, also noch vor der Coronakrise, sank das Bruttoinlandsprodukt bereits um 1,3 Prozent. Und die Bruttolöhne? Liegen ebenfalls unter dem Bundesdurchschnitt.

Kein Wunder, dass die CDU-Opposition die Koalition aus SPD, FDP und Grünen weder lobt noch als bundesweit nachahmenswert erachtet. „Die Ampel in Rheinland-Pfalz regiert mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das Land ist leider weit weg von einem wirtschaftlichen Spitzenplatz, genau gesagt liegen wir weit hinten“, sagt Christian Baldauf, CDU-Fraktionschef im Landtag und noch im Frühjahr Dreyer bei der Wahl unterlegen.

Bereits seit Ende 2018 befände sich das Land in der Rezession, gibt Baldauf zu bedenken, nur zwei Prozent aller Gründungen erfolgten in Rheinland-Pfalz, was auch an einer schlecht ausgestatteten Hochschullandschaft läge. Die Ampel-Koalition habe außerdem „nichts gegen die wachsende Verschuldung getan: Von den 20 am meisten verschuldeten Kreisen und Städten in Deutschland befinden sich elf in Rheinland-Pfalz“. Und für den Neubau von Straßen seien gerade einmal 15 Millionen vorgesehen, „für ein Industrieland ist das verheerend“.



Eine Ampel in Berlin? Er könne „nur davor warnen, die Chance auf Jamaika fahren zu lassen“, sagt Baldauf, auch wenn das nach Lage der Dinge sehr unwahrscheinlich ist. Die derzeitigen internen Machtkämpfe und Intrigen bei CDU und CSU sieht Baldauf, der den CDU-Landesvorsitz von der gescheiterten Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner übernehmen will, äußerst kritisch. Die CDU müsse sich zwar inhaltlich erneuern und eine Fehleranalyse zulassen, sagt Baldauf, aber „alles zu seiner Zeit“ – und das heißt: „wenn die Regierungsbildung abgeschlossen ist“.

Dass bei der real existierenden Ampel zumindest guter Wille vorhanden ist, die Wirtschaft besser zu verstehen und dann entsprechend zu handeln, zeigt Jörn Block. Der Professor für Unternehmensführung leitet das Forschungszentrum Mittelstand an der Uni Trier und hat jüngst im Auftrag des Wirtschaftsministeriums für eine Studie die hidden champions im Land befragt, quasi die Unternehmerelite.

Zunächst einmal müsse sich Rheinland-Pfalz mit seiner Dichte und Qualität an export- und innovationsstarken Firmen „im Bundesvergleich nicht verstecken“, sagt Block. Mit den Rahmenbedingungen am Standort zeigen sich die befragten Firmen „weitestgehend zufrieden“, heißt es in der Studie, gleichzeitig sähen sie Aufholbedarf bei „Infrastruktur, Innovationsförderung und Vernetzung“. Zudem gebe es „Potential für Verbesserung im Bereich Kooperation mit den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen des Landes“.

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Hier, im Zusammenspiel mit den Forschungseinrichtungen und Hochschulen, sieht Block eine der größten Chancen für die Zukunft: „Der Standort Mainz muss den Biotech-Effekt nutzen und versuchen, dort ein Biotech-Zentrum mit weltweiter Strahlkraft aufzubauen, an das innovative Unternehmen und Start-ups in der Region andocken können.“ Gleiches gelte für große Spieler wie BASF: Austausch und Befruchtung mit dem Mittelstand seien „sicher noch ausbaufähig“. An Stelle des Wirtschaftsministeriums, sagt Block, „würde ich diese Vernetzung und die Vernetzung der Mittelständler untereinander und mit den Forschungseinrichtungen des Landes in den Fokus nehmen“, sagt Block. Immerhin: eine zweite Studie dazu ist bereits in Arbeit.

Mehr zum Thema: Wichtige Vertreter der Wirtschaft wenden sich von der Union ab. So plädiert Karl Haeusgen, Unternehmer und Präsident des Verbandes Deutscher Maschinenbauer (VDMA), im Interview mit der WirtschaftsWoche für eine Ampelkoalition.

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