Wirtschaftsethiker Karl Homann "Der linke Funke ist übergesprungen"

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Einige Banker haben bewusst die bestehenden Regeln ausgehebelt und, etwa bei der Hypo Real Estate, Papiere nach Irland oder anderswo ausgelagert, um sie der staatlichen Kontrolle zu entziehen. Ist das nicht verwerflich?

Es ist ein Kontrollfehler des Staates. Die Politik hat nicht mit der Entwicklung der Finanzmärkte Schritt gehalten und den Aufsichtsrahmen nicht entsprechend angepasst.

Also ist die Politik für die Krise verantwortlich?

Ich staune jedenfalls über die Selbstgerechtigkeit von Politikern, die erst beim Abstecken des Ordnungsrahmens und ihren Kontrollpflichten versagen und nun dem Markt beziehungsweise den Bankern die Schuld zuschieben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück haben immerhin im Sommer 2007 beim G8-Treffen in Heiligendamm auf strengere Vorschriften an den Finanzmärkten gedrängt, wenn auch vergebens.

Das Gefangenendilemma wiederholt sich auf der politischen Ebene. Im internationalen Wettbewerb verhielten sich Amerikaner und Briten ebenfalls völlig rational. Man könnte die Weltwirtschaftskrise als Summe verschiedener Gefangenendilemmata betrachten.

Brauchen wir also die Krise, um aus den Gefangenendilemmata ausbrechen und die Regeln nun ändern zu können?

Das ist der Punkt. Der Leidensdruck musste groß genug sein. Beim G20-Gipfel in London haben selbst Amerikaner und Briten strengeren Regeln für die Finanzmärkte zugestimmt. Das ist ein Erfolg der Deutschen, und ich scheue mich nicht zu sagen, dass unsere soziale Marktwirtschaft, die dem Markt einen klaren Ordnungsrahmen vorgibt, Vorbild für die Welt sein sollte.

Zuvor haben Sie aber gesagt, dass in Deutschland die soziale Marktwirtschaft in Gefahr sei. Heißt das, die Welt entwickelt sich weiter und Deutschland zurück?

So ist das zu befürchten. Die Bundesregierung betreibt derzeit mit ihren Konjunkturpaketen einen Ad-hoc-Interventionismus. Gerade jetzt wäre aber die Zeit für Ordnungspolitik, damit die Marktwirtschaft ihre wohlstandstreibenden Kräfte in wohlgeordneten Bahnen entfalten kann.

Bundespräsident Horst Köhler mahnt die Manager, zu den Grundsätzen des ehrbaren Kaufmanns zurückzukehren. Hat er da nicht recht?

Er fordert zugleich aber auch bessere Regeln, sonst wäre das der Versuch, Systemfehler mit personalen Appellen zu lösen. Dabei sagen selbst unsere Lebensweisheiten wie „Der Ehrliche ist der Dumme“, dass dies nicht ausreichen kann.

Wie beurteilen Sie das Verhalten unserer Manager und Unternehmer in der Krise?

Es ist bedauerlich, dass unsere Top-Manager bei TV-Talkshows wie Anne Will nicht in der Lage sind, die Marktwirtschaft als moralisches System zu erklären. Doch das ist nicht ihre Schuld, da es diese Diskussion seit 40 Jahren nicht gegeben hat.

Was sollten sie denn sagen?

Zu sagen, dass die Marktwirtschaft zu mehr Wohlstand führt, reicht nicht. Die Menschen wollen moralische Antworten. Man müsste erklären, dass und warum die Marktwirtschaft die der modernen Welt angepasste institutionalisierte Nächstenliebe ist. Schließlich leben selbst Menschen, die nach unserer Definition arm sind, heute viel länger, weil unser System die gesundheitlichen und sozialen Versorgungseinrichtungen finanziert.

Welche Lehren müssen die Manager in ihren eigenen Unternehmen ziehen?

Auch Unternehmen sind Systeme, in denen Regeln gelten. Nehmen wir den Fall Siemens: Da haben doch nicht korrupte Manager in die eigene Tasche gewirtschaftet. Nein, die haben entsprechend den – bis 1998 vom Staat subventionierten – Gepflogenheiten in ihrem System gehandelt. Umso wichtiger ist es, dass das Thema Ethik in Unternehmen und in der Betriebswirtschaftslehre nicht länger als Orchideenfach gering geschätzt wird.

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