Wirtschaftsfonds Wie die Unternehmensrettung per Staatshilfe funktioniert

Schon mehr als 1.200 Unternehmen wollen den Staat anzapfen. Wer Geld oder Garantien braucht, muss die Experten überzeugen oder die Politik erpressen. Wie die Unternehmensrettung funktioniert - und wer alles um Staatshilfe Schlange steht.

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Nacht des Schicksals. Im Quelle: AP

Weil sein Chef Nachtschicht im Kanzleramt schob, konnte sich Wirtschafts-Staatssekretär Walther Otremba über ein paar Stunden gewonnene Zeit freuen. Der Autobauer Opel, den Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg zusammen mit Kanzlerin und Kabinettskollegen in einer Sitzung bis zum Morgengrauen zum größten staatlichen Rettungsfall erkor, kommt gar nicht mehr in die vorgesehenen Gremien des Wirtschaftsfonds Deutschland. Der Lenkungsausschuss um den Vorsitzenden Otremba soll eigentlich über die Vergabe der Steuermilliarden entscheiden. Doch die Bundesregierung hatte unter dem öffentlichen Trommelfeuer der Arbeitnehmer und der betroffenen Landesregierungen längst vollendete Tatsachen geschaffen.

Als nächstes rief Arcandor die Generalmobilmachung aus. Bürgschaften über 650 Millionen Euro will der klamme Handelskonzern, damit die Banken ihm überhaupt noch Kredit geben. In den Karstadt-Filialen sammelten die Mitarbeiter über 700.000 Unterschriften für den Erhalt ihrer Warenhäuser, per Mail machte das Versandhaus Quelle Stimmung bei seinen Kunden: „Kämpfen Sie gemeinsam mit uns“, forderte Geschäftsführer Konrad Hilbers zu Massen-Drucksachen per Computer auf, mit denen sonst Quelle seine Produkte anpreist. „Richten Sie E-Mails an die Adressen wichtiger politischer Entscheidungsträger.“ Mit dabei: ein vorgefertigter Bettel-Text. Am Montag dieser Woche soll sich entscheiden, ob es Geld aus dem 115 Milliarden-Topf der Bundesregierung gibt.

Vater Staat als Retter in der Not

Der Wirtschaftsfonds Deutschlands hat seine Arbeit noch gar nicht richtig aufgenommen, da sind die ersten großen Summen schon verplant und die Statuten infrage gestellt. Hunderte Firmen brauchen Hilfe, und an ihre Spitze setzen sich als Bettler ausgerechnet die reichsten Patriarchen und Matriarchen. Von der Firmenherrin Maria-Elisabeth Schaeffler über die milliardenschweren Auto-Dynastien Piëch und Porsche samt ihrem topverdienenden Vorstand bis zu Bankhäusern und der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz. Lobbyarbeit und öffentlicher wie politischer Druck drohen die ausgeklügelten Abläufe auszuhebeln und den Handlungsspielraum der Akteure zu beschneiden.

Die sich verschärfende Wirtschaftskrise treibt immer mehr Unternehmen zu Vater Staat. Ausgerechnet die Kreditinstitute, die bereits über einen 480 Milliarden Euro schweren eigenen Bankenrettungsschirm gestützt werden, spielen dabei eine unselige Rolle.

KfW: Bislang 1.238 Anträge für Sonderprogramm

Viele Hausbanken „betreiben eine rigorose Kreditpolitik“, beobachtet Wolfgang Spitz, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen: „Die Banken kürzen Kreditlinien von jetzt auf gleich.“ Spitz befürchtet deshalb einen starken Anstieg der Unternehmensinsolvenzen. Statt durchschnittlich 29.000 Fälle pro Jahr erwartet der Inkassoverband für 2009 einen Anstieg auf 35.000 und 2010 auf die Rekordhöhe von 40.000 Insolvenzen. Die volkswirtschaftlichen Schäden durch Unternehmensinsolvenzen beziffert der Verbandspräsident für 2009 auf 40 Milliarden und 2010 auf 50 Milliarden Euro. Spitz: „Die Welle des Insolvenz-Tsunamis baut sich gerade auf.“

Genau 1.238 Anträge zählte die KfW bisher für ihr Sonderprogramm 2009 bis Ende Mai. Das meiste sind überschaubare Hilfswünsche von Mittelständlern, von denen Hunderte auch schon die Zusage bekommen haben. Immer stärker geht der Trend weg von Investitionsgeldern, hin zu reinen Betriebsmittelkrediten, weil die Liquidität schwindet. Auch die Bürgschaften ziehen an. Die beiden bisher bewilligten Großgarantien umfassten 585 Millionen Euro.

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Die Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft zu begrenzen – dies ist die originäre Aufgabe des Wirtschaftsfonds Deutschland. Nur die Unternehmen, die vor dem 1. Juli 2008 nicht in Schwierigkeiten waren und es durch die Bankenkrise nun sind, dürfen nach den Kriterien der Bundesregierung überhaupt Hilfen erhalten. Wenn „betriebswirtschaftliche Fehler jetzt durch den Einsatz von Steuergeldern an jeder Ecke ausgeglichen würden“, käme das einer „groben Verletzung des marktwirtschaftlichen Prinzips des Risikohaftung gleich“, schimpft Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutsche Industrie- und Handelskammertages.

Bewilligung hängt von vier Gremien ab

Reichlich politisches Kalkül war im Spiel, als Ministerien und Kanzleramt die Regularien für den Deutschlandfonds aufstellten. Vier Gremien und Institutionen beraten im Regelfall über die Antragsteller, und je höher es nach oben geht, desto problematischer – sprich: politischer – wird die Entscheidung gerade bei den großen Brocken:

Die Wirtschaftsprüfer von Pricewaterhouse Coopers (PwC) kontrollieren die eingereichten Unterlagen und bereiten die Daten auf. Sie geben in ihrer Expertise bereits erste Einschätzungen, ob das Geschäftsmodell und die Finanzierung überhaupt tragfähig sind – freilich nicht in klaren Worten, eher verklausuliert. Ihr vertrauliches Gutachten über Arcandor beispielsweise, das der WirtschaftsWoche vorliegt, sieht die Restrukturierungsansätze nur als „weitgehend plausibel“ an. Und PwC warnt, die Bürgschaft sei „aufgrund der in einem sehr schwierigen und von hoher Wettbewerbsintensität gekennzeichneten Marktumfeld umzusetzenden Maßnahmen“ doch „mit deutlichen Risiken behaftet“. Und deutlicher noch: Der Konzern verfüge „mittlerweile praktisch über keine freie Substanz mehr“.

Das Zusammenspiel entscheidet

Die Prüfung, ob das jeweilige Unternehmen darüber hinaus volkswirtschaftlich förderungswürdig ist, nimmt das Bundeswirtschaftsministerium mit Vertretern der betroffenen Bundesländer selbst vor. Es hofft, da frühzeitig auf die Bremse treten zu können, um allzu viele marktwirtschaftliche Sündenfälle zu vermeiden.Die nächste Hürde ist der Lenkungsrat aus externen Fachleuten mit langer Berufserfahrung. Neben der PwC-Expertise liegen ihnen im Fall Arcandor auch die Stellungnahmen der Bundesländer und des Antragstellers vor – insgesamt über 200 Seiten. „Das ist intensive Arbeit“, stöhnt einer der Räte. „Das ist aber nötig, wenn es seriös sein soll, sonst kann man es ja gleich politisch entscheiden.“ Die Ministerien für Wirtschaft (BMWi) und Finanzen (BMF) hatten jeweils Vorschläge gemacht, Staatssekretär Otremba telefonierte die Kandidaten ab. Von den Kandidaten des SPD-geführten Finanzministeriums blieben – Glück des Geschicks – just zwei übrig, die auch im BMWi Ansehen genießen: der Gewerkschaftsvorsitzende Hubertus Schmoldt und der frühere Staatssekretär im eigenen Hause und Energiemanager Alfred Tacke.

Der Lenkungsausschuss schließlich ist das eigentliche Beschlussgremium. Hier entscheiden vier Spitzenbeamte endgültig – wenn’s politisch geht. Auch hier ist die große Koalition politisch fein austariert: Den beiden schwarzen Vertretern aus BMWi und Kanzleramt stehen die -roten aus Finanz- und Justizministerium gegenüber.

Das Zusammenspiel entscheidet. Der Rat soll als Sturmgeschütz der Marktwirtschaft die Vorlagen prüfen, um ein weiteres, noch unpolitisiertes Votum zu haben. „Wir begreifen uns als fachlich-moralische Institution“, erklärt Ratsmitglied Michael Rogowski. Der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) will nicht Schicksal für Unternehmen und Arbeitsplätze spielen, sondern unpolitisch und damit letztlich doch sehr politisch entscheiden: „Wir sind dafür da, dass die Büchse der Pandora nicht überquillt.“

Beispiel Arcandor

„Der Lenkungsausschuss wird das Votum des Beirats berücksichtigen müssen“, ist ein Kollege Rogowskis optimistisch, „schon wegen der Überprüfung durch den Haushaltsausschuss.“ Allerdings wollen die acht Wegweiser auch nicht jeden Fall unter die Lupe nehmen. „Bei eindeutigen Fällen kann man gleich sagen: Es wird nix“, empfiehlt einer der Räte. „Sonst verlieren die Unternehmen unnötig Zeit, in der sie andere Lösungen suchen könnten.“ Ein Dritter witzelt über die Namen: „Wir geben nur Rat; ich will nicht sagen, dass die anderen Ausschuss liefern.“

Beispiel Arcandor: Wenn die Experten im Lenkungsrat den Kopf schütteln, „wird es schwer, noch dagegen zu argumentieren“, heißt es im Wirtschaftsministerium. „Der Rat ist für die breitere Öffentlichkeit und die Bundesregierung – für uns brauchen wir den nicht!“ Die wirtschaftspolitische Kronzeugenregelung kann die Politik freilich nicht entmachten. „Der Lenkungsrat hat das fachliche Prä, aber die Politik hat den übergeordneten Blick“, erklärt ein Spitzenbeamter. Allzu häufig könne man die leicht ergrauten Herren im Lenkungsrat aber nicht überrollen. Das sei so ähnlich wie bei einer Ministererlaubnis in der Fusionskontrolle, die das Votum des Kartellamts überstimmt.

Politik steht weiter in der Verantwortung

„Man kann nicht einen Antrag im Lenkungsausschuss ablehnen und sich dann zurücklehnen“, mahnt dagegen Ute Berg. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion sieht die Politik weiter in der Verantwortung: „Die Bemühungen müssen weitergehen, Arbeitsplätze zu retten. Nur der Deutschlandfonds scheidet dann als Geldquelle aus.“ Auch Berg gibt zu bedenken, dass Opel drei wichtige Kriterien erfüllte: „Es gab Investoren, es gab Kreditoren und eine Besicherung. Alle diese Kriterien erfüllt Arcandor nicht.“ Aber Rettungsbeihilfen nach EU-Muster kämen dann immer noch infrage. Auf jeden Fall müssten die Eigentümer einen Beitrag leisten. „Warum sollen die Mitarbeiter leiden, und die Eigentümer nicht. Wenn die ungeschoren davonkämen, widerspräche das meinem Gerechtigkeitsgedanken.“

Viel hatten die Gremien noch nicht zu entscheiden. Bislang gab es zwei Fälle: Der Heidelberger Druckmaschinen bewilligten die Beamten die gewünschten Mittel, Aksys verweigerten sie die Hilfe. Der Automobilzulieferer hätte wegen seiner geringen Größe eigentlich gar keine Entscheidung des Ausschusses erfordert, aber die Entscheider wollten „mal zeigen, wo die Grenzen sind“, so ein Teilnehmer.

Das ist auch dringend geboten, denn der unlautere Wettbewerb hat längst begonnen. Ganz vorn braust Porsche voran. Die Sportwagenschmiede, die sich mit der Übernahme von VW verhoben hat, will nun 1,75 Milliarden Kredit von der Staatsbank KfW. Schon vor etlichen Wochen wollte Porsche gern eine Staatsbürgschaft, um sich das Geld billiger leihen zu können, die KfW hätte das Geschäft sogar gern gemacht. „Wegen Aussichtslosigkeit nicht mal behandelt“, lautete dagegen das interne Urteil der Staatssekretärsrunde um Otremba. Doch offenbar ermuntert vom Sündenfall Opel wagt Porsche einen zweiten Anlauf.

Die Front scheint zu stehen

Darauf beruft sich nun auch Arcandor. Noch scheint die Front zu stehen. Weder Kanzleramt noch Finanzressort hätten bislang Druck aufs Ministerium ausgeübt, frohlocken zu Guttenbergs Berater. Haushälter Peer Steinbrück sei ja schon bei Opel kein Überzeugungstäter gewesen. Und die Bundeskanzlerin müsse ein Interesse haben, auch mal einen großen Fall zu stoppen, um nicht als willfährige Vollstreckerin der Unternehmenswünsche zu erscheinen.

Allerdings beschleicht die Wirtschaftsministerialen auch die Sorge, die SPD könne eine durch unterlassene Hilfeleistung provozierte Karstadt-Pleite als Wahlkampfmunition bereitlegen. Motto: Wir haben Opel gerettet, und wenn man die Konservativen machen lässt, endet es in Massenentlassungen.

Im Wirtschaftsministerium sehnt man deshalb den Wahltag im September herbei. „Die Zeit läuft. Bald kann man dann wieder nach volkswirtschaftlichen Kriterien entscheiden.“

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