Wirtschaftspolitik der AfD „Die Realität, wie wir sie sehen“

Tino Chrupalla, neugewählter Bundessprecher der AfD, sieht das größte Wählerpotenzial bei Handwerkern und mittelständischen Unternehmen. Quelle: dpa

Der AfD fehlt eine stringente Wirtschaftspolitik. Ein Papier eines AfD-Bundestagsabgeordneten zeigt: So schnell wird die Partei keine bekommen. Es enthält krude Verschwörungstheorien und ruft zu „Deutschland first“ auf.

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Seine Bewerbung begründete Tino Chrupalla auch mit seinem Berufsleben. Er sei Maler- und Lackierermeister, habe bis vor kurzem einen eigenen Betrieb mit sechs Mitarbeitern geführt und Lehrlinge ausgebildet. „Deshalb kandidiere ich heute für den höchsten Posten unserer Partei“, sagte er. So stellte sich Chrupalla am Wochenende auf dem Parteitag der AfD den Delegierten vor. Es sei ein „erhebendes Gefühl, etwas Neues aufzubauen“, so beschrieb er es – ob als Unternehmer oder in der Politik.

Die Delegierten überzeugte der Auftritt. Sie wählten den 44-Jährigen zu einem von zwei Parteichefs, Co-Chef Jörg Meuthen wurde wiedergewählt. Es ist zu erwarten, dass mit Chrupalla an der Spitze eine Entwicklung weitergeht, die sich seit einiger Zeit abzeichnet: Zunehmend dringt die AfD in den Mittelstand vor, erreicht Handwerker und kleine(re) Unternehmer.

Im Herbst erzielte die AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen bei Selbstständigen bis zu 30 Prozent Zustimmung. Mit das größte Wählerpotenzial, sagte auch Chrupalla in Braunschweig, sehe er bei Handwerkern und mittelständischen Unternehmen, „die ausgepresst werden wie eine Zitrone“. Dass so eine Botschaft, bei aller Übertreibung, bei den Angesprochenen verfangen kann, überrascht nicht weiter. Denn natürlich kämpfen viele immer wieder beispielsweise mit Forderungen des Finanzamts und der Sozialversicherungen.

Kein Wirtschaftskonzept

Was die Rhetorik zu überspielen versucht: Es fehlt der AfD auch mehr als sechs Jahre nach ihrer Gründung an einer stringenten Wirtschaftspolitik. Der Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller hat nun ein Konzept vorgelegt, das er mit der von ihm initiierten und in diesem Jahr gegründeten „Friedrich-List-Gesellschaft zur Förderung der heimischen Wirtschaft“ erarbeitet hat. Müller nennt es ein Angebot an die Bundes-AfD, die Ideen zu übernehmen. Er selbst zieht damit derzeit durch die Kreisverbände.

In dem Papier stehen, vorsichtig formuliert, ein krudes Weltbild und ökonomisch zumindest diskussionswürdige Ideen nebeneinander. Die „Friedrich-List-Gesellschaft zur Förderung der heimischen Wirtschaft“ sieht die Welt von einer „globalen Finanzoligarchie“ beherrscht – für den Amerikanisten Michael Butter, der an der Universität Tübingen forscht, Teil einer der gefährlichsten Verschwörungstheorien hierzulande.

Die Gesellschaft definiert auch das Konzept des Neo-Liberalismus eigentümlich: als „zentralisierte, weltweite Oligopol-Wirtschaft“, ja sogar als „globale Neuauflage des Sozialismus“. Diesen Neo-Liberalismus, schreibt eine Mitarbeiterin aus Müllers Büro, vertrete die FDP. Auch wenn diese Behauptung natürlich mehr als schief ist: Die FDP tut sich in der Tat schwer mit der Suche nach einer Gegenstrategie gegen den wachsenden Erfolg der AfD bei ihrer Stammklientel.

Die AfD stehe dagegen für echte Freiheitlichkeit: Wirtschaftsliberalität bedeute „echte Marktwirtschaft, in der die Macht einzelner, zu einflussreicher Akteure klar begrenzt“ werde, so steht es in dem Papier. „Wir beschreiben die Realität, wie wir sie sehen“, heißt es bezeichnenderweise weiter.

Die Autoren beziehen sich in ihrem Papier unter anderem auf „libertäre Elemente aus der Österreichischen Schule“, auf Walter Eucken und eben den Nationalökonomen Friedrich List (1789–1846). Eugen Wendler, Wirtschaftswissenschaftler und Gründer des Friedrich-List-Instituts in Reutlingen, zeigt sich darüber „empört“: Es sei leider so, dass List von allen möglichen Seiten, „insbesondere von nationalistischen Vertretern schändlich missbraucht“ werde, sagt er.

Müller und seine AfD-Mitstreiter unterteilen Wirtschaftsakteure pauschal in Konzerne und „Pseudounternehmer“, die leistungslos Geld kassierten, „welches sie zuvor den ehrlich arbeitenden Bürgern über den Umverteilungsstaat weggenommen haben“. Dem gegenüber stünden „echte Unternehmer“ – der Mittelstand eben, der durch Leistung für seine Kunden sein Geld zurecht verdiene.

Wenn Mittelständler deshalb Gewinne reinvestierten oder nicht ausschütteten, sollten sie steuerfrei bleiben. Auch wenn sie auf dem beschriebenen, widersprüchlichen Weltbild basieren: Solche Forderungen können bei denen, die dann begünstigt würden, durchaus Zustimmung finden.

Und auch das ist ein Merkmal des Konzepts: Das Miteinander von Unternehmern und „sogenannten kleinen Leuten“ wird geradezu beschworen. Es ist wohl auch der Versuch, die wirtschaftsliberalen AfDler mit der Gruppe um den Björn Höcke nahestehenden Bundestagsabgeordneten Jürgen Pohl zu versöhnen, der sich durchaus mehr staatliche Sozialleistungen vorstellt (aber nur für deutsche Staatsbürger).

Von deutlichen Senkungen von Steuern und Abgaben „für inländische Leistungsträger“, und zwar für alle Lohngruppen, schreiben die Autoren um Müller, profitierten Mittelstand und Arbeiterschaft gemeinsam. Auch Chrupalla nannte in seiner Rede die Menschen, „die im Dunkeln aufstehen und zur Arbeit fahren und im Dunkeln wieder nach Hause kommen“ sowie Handwerker und mittelständische Unternehmer gleich nacheinander.

Ökonomisch schwierig wird es allerdings bei den Reformvorschlägen, die Müller und seine Mitautoren machen: Als Vorbild dient ihnen die alte Deutschland AG, die durch Überkreuzbeteiligungen den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft ans Ausland verhindert habe. Eine neue Deutschland AG solle – „souverän und von der EU unabhängig“ – mit gleichartigen Länder-AGs in den USA, Russland, Ungarn und anderen Ländern zusammenarbeiten.

Es ist die Übertragung der „America first“-Strategie von US-Präsident Donald Trump auf Deutschland, verbunden mit einer Ablehnung multilateraler zugunsten bilateraler Abkommen. „Eine Rückkehr zur sogenannten Deutschland AG mit ihren Überkreuzinvestitionen und Effizienznachteilen wäre alles andere als sinnvoll“, sagt dagegen Willi Rugen, Präsident des Bundesverbands Deutscher Volks- und Betriebswirte.

Friedrich List sei es in erster Linie um den Abbau von Handelshemmnissen gegangen. Er habe Zollschranken einreißen wollen, nicht aufbauen, „und als überzeugter Europäer dachte List dabei weit über den Flickenteppich der deutschen Kleinstaaten hinaus“, ergänzt Rugen. Die AfD-Gesellschaft, die List im Namen trägt, fordert dagegen den Austritt Deutschlands aus der EU.

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