Wirtschaftspolitik Dieser Aufgabenzettel wartet auf Jamaika

Die Berliner Politik ist damit beschäftigt, sich selbst zu sortieren. Es wäre gut, wenn sie damit schnell fertig würde. Denn Deutschland steht zwar gut da, braucht aber wichtige Korrekturen in der Wirtschaftspolitik.

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Deutschland-Flagge Quelle: dpa

Wenn der Wunsch nicht erfüllt wurde, muss man sich eben mit der Wirklichkeit arrangieren. Und so war es an der Unternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller, bekennende CDU-Sympathisantin, den nötigen Weg von der Parteipolitik des Wahlkampfes auf die Sachpolitik der Nachwahlzeit einzuläuten.

„Jamaika ist nie meine Wunschkoalition gewesen“, sagte Leibinger-Kammüller Anfang der Woche mit Blick auf das wahrscheinlichste neue Regierungsbündnis. Doch nun solle die Konstellation eben dafür sorgen, „dass Wirtschaftsthemen im Zeichen von Globalisierung und Digitalisierung wieder mehr Gewicht bekommen.“

Andere Wirtschaftsvertreter und Ökonomen klangen in diesen Nachwahltagen, in denen sich die Politik sortiert, ähnlich. Handelskammertag-Präsident Eric Schweitzer forderte einen Koalitionsvertrag für „kluge Köpfe, moderne Infrastruktur und Freiraum für Unternehmen.“ Ifo-Chef Clemens Fuest forderte unter anderem, Digitalisierung „in den Mittelpunkt“ zu stellen.

Die wettbewerbsfähigsten Länder der Welt (2017)

Und tatsächlich: Der Ruf nach einem starken Bekenntnis zu einer besseren Digitalisierungsoffensive des Bundes entspricht nicht Pro-Domo-Werben von Wirtschaftsvertretern sondern leuchtet ein echtes Problemfeld der deutschen Wirtschaftspolitik aus: In ihrem jährlich erscheinenden Bericht über die globale Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften bescheinigen internationale Ökonomen des Weltwirtschaftsforums Deutschland zwar eine insgesamt gute Entwicklung. Beim Thema Digitalisierung und digitale Infrastruktur aber fällt die Bundesrepublik zurück. Verstände man die Vergleichsstudie unter mehr als 100 Ländern als Aufgabenzettel für die nächste Bundesregierung, müsste das Thema Digitalisierung ganz oben stehen.

Gegenwart top, Zukunft…?

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel in den gerade abgelaufenen Wahlkampf zog, hielt sie den Slogan „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ für eine gute Idee. Zwar hat die Ideen stiftende Agentur Jung von Matt mittlerweile eingeräumt, sich in diesem Wahlkampfmotto wohl geirrt zu haben. Doch trifft der Slogan nach Ansicht der Weltwirtschaftsforums-Ökonomen die Lage in der Bundesrepublik eigentlich ganz gut: Deutschland landet wie im Jahr zuvor auf dem fünften Platz der weltweit wettbewerbsfähigsten Länder. In Europa sind nur die Schweiz und die Niederlande besser aufgestellt.

„Die deutlichsten Verbesserungen verzeichnet die deutsche Volkswirtschaft bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes – bei fortgesetzt hohen Standards beim Schutz seiner Arbeitnehmer“, schreiben die Autoren des Berichts. 

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Wettbewerbsfähigkeit leidet nicht unter regulierten Arbeitsmärkten – sie verbessert sich sogar, wenn die nötige Flexibilität mit einem angemessenen Schutz der Arbeitnehmerrechte kombiniert wird. Bei dem zu erwartenden massenweisen Wegfall von Jobs durch Automatisierung und Robotisierung wird es darauf ankommen, widerstandsfähige Strukturen zu schaffen und Arbeitnehmer in Übergangsphasen zu unterstützen.

Auch im Bereich Innovation steht Deutschland gut da, landet weltweit auf Platz drei. „Globale Wettbewerbsfähigkeit hängt immer stärker von der Innovationskraft eines Landes ab“, sagt Klaus Schwab, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Weltwirtschaftsforums. „Gut ausgebildete, kreative Arbeitskräfte werden zunehmend wichtiger als Kapital, denn die Welt vollzieht gerade den Übergang vom Kapitalismus zum Talentismus. Länder, die sich auf die vierte industrielle Revolution einstellen und gleichzeitig ihre politischen, ökonomischen und sozialen Systeme stärken, sind die Sieger im künftigen Wettbewerbsrennen.“

Die deutsche Digitalisierungs-Lücke

Doch genau hier beginnen beim Exportweltmeister Deutschland die Probleme. Im Bereich der Studie, der sich mit der Offenheit einer Volkswirtschaft für technologische Neuerungen beschäftigt, schneidet Deutschland unterdurchschnittlich ab. Bei der Versorgung der Bevölkerung mit Breitband-Internet landet Deutschland nur auf Platz 42 des internationalen Vergleichs, bei Zugang zu schnellen Mobilfunk-Daten auf Platz 40.

„Zwar bessert sich die Versorgungsquote in den Bereichen“, heißt es beim Weltwirtschaftsforum. „Aber andere Länder sind da deutlich schneller.“ So stieg die Versorgungsrate mit Breitbandinternet im abgelaufenen Jahr um fünf Prozentpunkte. In anderen Ländern fiel dieser Schritt aber größer aus, sodass Deutschland in der Wertung weitere fünf Plätze verlor. Das Thema gilt freilich bei allen drei an einer möglichen Jamaika-Koalition beteiligten Parteien als prioritär. Bisher scheiterte der Ausbau an Zuständigkeitsstreitigkeiten innerhalb der abgewählten Bundesregierung – und der Weigerung der Deutschen Telekom, flächendeckend Glasfaserkabel zu verlegen.

Auf nach Jamaika - und mit welchen Leuten?
Nach dem Wahl-Beben gibt es nur zwei mögliche Regierungen: die große Koalition oder Jamaika. Doch die SPD hat einem erneuten Bündnis mit der Union schon eine Absage erteilt. Mal sehen, ob SPD-Chef Martin Schulz hart bleibt. Aber sollte es mit CDU, CSU, FDP und Grünen klappen, wer würde dann Deutschland im Kabinett Merkel IV regieren? Eine Übersicht. Quelle: dpa
Angela Merkel (CDU/63): Bleibt Kanzlerin. Auch wenn ihre CDU über acht Prozentpunkte gegenüber 2013 einbüßte. Merkel dürfte pragmatisch sein. Kohle-Ausstieg? Könnten die Grünen bekommen. Ausstieg aus Diesel und Benziner? Eher nicht. Da würden ihr CSU-Chef Horst Seehofer und die Autolobby aufs Dach steigen. Apropos Seehofer. Er stürzte in Bayern unter 40 Prozent mit der CSU ab. Ein Jahr vor der Landtagswahl könnte es ihm besonders schwerfallen, mit den Grünen in Berlin zu regieren. Das schränkt Merkels Beinfreiheit ein. Aus dem CDU-Präsidium verlautet, Merkel wolle auf jeden Fall die neue Regierung in ruhiges Fahrwasser führen. Vielleicht leite sie zur Mitte der Wahlperiode einen Wechsel ein oder gebe den Parteivorsitz 2020 ab und mache den Weg frei für die Nachfolge zur nächsten Wahl. Quelle: REUTERS
Wolfgang Schäuble (CDU/75): Die FDP dürfte in Koalitionsverhandlungen Anspruch auf das Finanzministerium erheben. Die Lammert-Nachfolge als Bundestagspräsident dürfte für Schäuble eine ernsthafte Option sein. Der dienstälteste Abgeordnete gilt als leidenschaftlicher Parlamentarier. Von den vielen Spitzenämtern, die Schäuble in der Vergangenheit ausgeübt hatte, dürfte ihm der Fraktionsvorsitz bei der Union am meisten Spaß gemacht haben. Schäuble ist aber auch jemand, der gern regiert und gestaltet. Und der Umbau der Euro-Zone ist in den nächsten Jahren eine schwierige und reizvolle Aufgabe. Quelle: dpa
Ursula von der Leyen (CDU/58): Ihr PR-getriebener Umgang beim Bundeswehr-Skandal um rechte Umtriebe in der Truppe hat ihr Macherin-Image angekratzt. Seitdem begegnen ihr viele in der Bundeswehr mit Misstrauen, sie würde trotzdem gern Verteidigungsministerin bleiben. Eine wichtige Rolle dürfte sie jedenfalls auch in Zukunft spielen. Quelle: dpa
Peter Altmaier (CDU/59): Merkels Allzweckwaffe. Auch bei den Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis und darüber hinaus dürfte er eine wichtige Rolle spielen dürfte. Ihm wird jederzeit ein Ministerposten zugetraut. Quelle: REUTERS
Joachim Herrmann (CSU/61): Bayerns Innenminister war der Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl. Ziel von CSU-Chef Horst Seehofer ist es, für Herrmann das Bundesinnenministerium zu „erobern“. Unklar ist, ob das gelingt. Da Herrmann nun trotz seines ersten Listenplatzes kein Bundestagsmandat erhält, dürfte es für ihn noch schwieriger werden. Quelle: dpa
Thomas de Maizière (CDU/63): In der Flüchtlingskrise geriet der Innenminister unter Druck, weil es im zuständigen Bundesamt nicht rund lief. Sollte Finanzminister Schäuble doch seinen Posten räumen, könnte de Maizière das Haus der Zahlen reizen. In Sachsen war er von 2001 bis 2002 Finanzminister. Ansonsten vielleicht wieder Manager im Kanzleramt? Quelle: dpa

Als weitere Baustellen der deutschen Volkswirtschaft identifizieren die Ökonomen in ihrer Studie, die auf der Auswertung vorhandener Daten sowie der Befragung von weltweit 14.500 Top-Managern beruht, die Höhe der Steuersätze und die Komplexität des Steuersystems sowie allgemeine Bürokratie – und das Bankensystem. Das wird in Deutschland als besonders instabil gewertet.

Weltweite Krise des Finanzsektors

Das wiederum hat die Bundesrepublik nach Ansicht der Autoren mit vielen Industrieländern gemein. „Zehn Jahre nach der weltweiten Finanzkrise besteht immer noch wenig Aussicht auf eine dauerhafte wirtschaftliche Erholung, denn Politiker und Entscheidungsträger versagen auf breiter Front, wenn es darum geht, Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und dringend benötigte Produktivitätssteigerungen einzuleiten“, heißt es in dem Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums.

Mit Rückgriff auf Daten des letzten Jahrzehnts identifiziert der Bericht drei besondere Problembereiche. Dazu gehören zum einen die Finanzsysteme: Sie haben sich immer noch nicht vom Schock von 2007 erholt, in manchen Teilen der Welt nimmt ihre Stabilität sogar weiter ab.

So schneidet der Rest Europas ab

Die Schweiz, Niederlande und Deutschland belegen auch dieses Jahr Rang 1, 4 und 5 des Index. Die einzige Änderung in den Top 5 betrifft die USA und Singapur, die den zweiten und dritten Platz tauschen. Großer Gewinner unter den Top 10 ist Hongkong, das drei Plätze nach oben auf Rang 6 steigt und Schweden (7), Großbritannien (8) und Japan (9) hinter sich lässt, die alle jeweils um einen Rang fallen. Finnland bleibt fest auf Rang 10, während Israel die größte Dynamik in den Top 20 an den Tag legt: Es klettert ganze acht Plätze auf Rang 16.

In Europa wird die zweitgrößte Volkswirtschaft, Frankreich, auf Platz 22 zurückgedrängt. Auch bei der Überwindung des Nord-Süd-Gefälles ist kaum Besserung in Sicht. Spanien (34), Italien (43) und Griechenland (87) bleiben fast unverändert. Einzig Portugal überrascht: Es verbessert sich um vier Plätze und liegt jetzt vor Italien auf Rang 42. Im Zehn-Jahres-Trend zeigt Europa teilweise Verbesserungen der Innovationskraft, aber auch besorgniserregende Verschlechterungen bei wichtigen Bildungsindikatoren.

 

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