
wiwo.de: Herr Professor Kerber, was bedeutet der Verzicht Axel Webers auf eine Kandidatur als Präsident der Europäischen Zentralbank für Deutschland?
Kerber: Weber war der einzige glaubhafte Kandidat für dieses Amt. Doch er wollte nicht für eine Politik der Bundesregierung stehen, die über keinen ordnungspolitischen Kompass verfügt und nicht in der Lage ist, in Brüssel die Interessen der deutschen Steuerzahler zu verteidigen. Die Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat Deutschland dermaßen desorganisiert, dass es in allen entscheidenden Fragen seine Souveränität als Ankerland der Euro-Zone verliert. Mit Webers Verzicht hat Deutschland nun kein Schwert mehr, mit dem es kämpfen kann. Dies ist ein Lehrstück, wie man es nicht machen darf. Diese Regierung wird als die größte Politik-Blamage nach dem Krieg in die Geschichte eingehen.
Wer kommt jetzt?
Kerber: Es ist zu befürchten, dass nun Italiens Zentralbank-Chef Mario Draghi kommt. Der feiert zwar in Interviews Deutschland als Stabilitätsmodell, aber das gilt nur, solange das Wetter schön ist. Sein eigenes Land ist mit mehr als 1,2 Billionen Euro verschuldet. Es ist ein Armutszeugnis, dass ein Land wie Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern keinen Ersatzkandidaten präsentieren kann oder will. Jürgen Stark, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), könnte das. Er ist zwar nicht vom Format des früheren EZB-Chefvolkswirts Otmar Issing, aber er kennt den Laden und weiß, was zu tun ist. Doch den will Merkel ja nicht. In Frankreich würde so etwas nie passieren. Da hätte man sofort einen neuen Kandidaten.
Das Volumen des Rettungsschirms soll nun verdoppelt werden, um gegen künftige Krisen besser gewappnet zu sein. Welche Risiken beinhaltet das für den deutschen Steuerzahler?
Kerber: Die schon jetzt kaum absehbaren Risiken verdoppeln sich, und je mehr Länder die Mittel in Anspruch nehmen, desto höher wird der deutsche Anteil an solchen Hilfen. Bei einer Verdoppelung des Volumens wächst die Haftungssumme auf insgesamt 880 Milliarden Euro, auf Deutschland würde etwa ein Drittel davon entfallen. Kein Parlament der Welt hat das Recht, die Steuereinkünfte seiner Bürger in einer solchen Weise zu verpfänden.
Was ist Ihrer Ansicht nach jetzt zu tun?
Kerber: Wenn wir so weitermachen, sind wir auf dem Weg in die Zinsknechtschaft. Unsere Regierung ist nicht in der Lage, die Interessen Deutschlands zu wahren. Innerhalb der FDP, aber auch der CSU, gärt es schon. Doch vermutlich muss erst eine Katastrophe eintreten, damit das Führungsdefizit ins allgemeine Bewusstsein tritt.
Berlin und Paris wollen doch mit dem Wettbewerbspakt gegen eine Aufweichung der Stabilität steuern!
Kerber: Das wäre ein staatlich veranlasstes Kartell! Das kann gar nicht funktionieren. Wie wollen Sie denn die völlig unterschiedlichen Steuer- oder Rentensysteme harmonisieren? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Spaltung der Euro-Zone
Sie haben Klage gegen den Rettungsschirm vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Ist das der einzige Weg, die von Ihnen befürchtete Entwicklung aufzuhalten?
Kerber: Nein. Auch der Bundestag kann und muss Widerstand gegen die Änderung der Verträge leisten, die die Einrichtung eines dauerhaften Krisenmechanismus ermöglichen sollen. Die bisherigen Hilfen fließen auf intergouvermentaler Ebene. Jetzt kann man aus dem Mechanismus noch aussteigen. Wenn aber alles erst in Verträgen fixiert ist, dann kommt Deutschland da nicht mehr heraus.
Welche Alternative schlagen Sie vor?
Kerber: Eine Spaltung der Euro-Zone ist nicht zu vermeiden. Wir brauchen einen Währungsraum der stabilitätsorientierten Länder: Neben Deutschland sind das noch Österreich, die Niederlande, Finnland, vielleicht Luxemburg. Eine solche Zone muss im Kern gesund sein und darf keine Fußkranken mitziehen. Frankreich darf da keinesfalls dabei sein. Da gebe ich Hans-Olaf Henkel, der sich übrigens unserer Initiative angeschlossen hat, recht. Schäuble und Merkel haben das Machtspiel der Franzosen, deren Erfüllungsgehilfe Trichet in Frankfurt als Pariser Präfekt fungiert, noch immer nicht durchschaut.