Wirtschaftstheorie Den "Markt" gibt es nicht

Die "unsichtbare Hand" ist unsichtbar, weil sie nicht existiert. Eine aufgeklärte Sicht auf den Markt tut not. Ein aktuelles Buch hilft weiter.

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Regulierung des Marktes. Quelle: Getty Images

Die Sprache verführt dazu, über abstrakte menschliche Einrichtungen zu sprechen, als seien sie lebende Wesen. Manche dieser Wesen erwiesen sich als besonders vital. Sie überlebten ihre Sprachschöpfer bis heute. Der Staat wurde durch Thomas Hobbes zum Leviathan, also zu einem Ungeheuer. Der Markt durch Adam Smith zu einer „unsichtbaren Hand“.

Solche Metaphern sind schön und anschaulich, daher attraktiv. Aber die Gefahr besteht, dass sie irgendwann nicht mehr als solche begriffen werden. Dass also die bildhafte Sprache sich ihre eigene Wirklichkeit schafft. Dann ist aus dem Staat und dem Markt oder Kapitalismus in den Köpfen der Menschen wirklich ein eigenes Wesen geworden. Ein Wesen, das dann für den einzelnen Menschen unerreichbar, unangreifbar erscheint - und herrscht.

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Das ist nicht unbedingt bedrohlich, sondern durchaus attraktiv für viele Menschen. Denn: Nicht der Chef ist dann verantwortlich für die Entlassung – der übermächtige Markt verlangt es. Nicht die Aufsichtsratsmitglieder sind es, die Topmanagern obszön hohe Gehälter, Boni trotz Versagen und Abfindungen trotz Skandalen bewilligen – der Markt will es so. Der Markt zwingt uns auch, so predigen Ökonomen, Berater und Wirtschaftsjournalisten unisono: zu Innovation, zu Effizienzsteigerung, zu immer neuen Anstrengungen im marktgewollten Wettbewerb um noch mehr Wohlstand.

Die wichtigste Stimme dieser metaphysischen Positionierung des Marktes war Friedrich von Hayek. Der Ökonom sah im Markt eine über dem menschlichen Bewusstsein angesiedelte Kraft, als universelles, naturgegebenes Prinzip an. Der Markt ist nach Hayeks Sichtweise – und die ist unter gegenwärtigen Ökonomen mehrheitsfähig – also nicht menschengemacht, nicht historisch, sondern universell gültiges Prinzip, dem man sich zu unterwerfen habe.

Aber auch diejenigen, die den Kapitalismus kritisieren, betrachten ihn oft wie ein übermenschliches Wesen. Der Kabarettist Volker Pispers beispielsweise verkündet: „Der Kapitalismus lebt davon, dass er die Menschen blöd hält“. Da lebt also offenbar ein übermenschliches Wesen mit eigenem Willen, den es jedem einzelnen und ganzen Gesellschaften, ja der Welt zu deren Unglück aufzwingt. Auch die Kapitalismuskritiker entbinden sich durch die Klage über „den Kapitalismus“ von der unangenehmen Aufgabe, konkrete verantwortliche Menschen aufzuzeigen.

Aufklärung gegen diesen ökonomischen Fetischismus der Marktvergötterung oder Marktverteufelung bringt ein Buch von zwei Wissenschaftlern, die zugleich Ökonomen, Philosophen und Theologen sind: Peter Seele, Professor für Corporate Social Responsibility an der Universität Lugano und Christian Lucas Zapf, Religionsökonom an der Universität Basel. „Der Markt existiert nicht“ ist keine antikapitalistische Kampfschrift, sondern ein Plädoyer für einen unverschleierten Blick auf die wirtschaftliche Wirklichkeit mit Mitteln der Sprachanalyse und philosophischen Logik.

Seele und Zapf schälen drei Logiken der Betrachtung des Marktes heraus. Die ersten beiden, heute dominanten Betrachtungsweisen sehen den Markt neben den menschlichen Akteuren als „eigenständiges Drittes“. Bei Adam Smith dominierte etwa die Sichtweise des Marktes als eines natürlich gegebenen Koordinationsinstrumentes, das - „wie mit unsichtbarer Hand“ - einem Zweck, nämlich dem Wohlstand der handelnden Menschen dient.

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