Wirtschaftstheorie Den "Markt" gibt es nicht

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Hayek und der herrschende Markt

Die zweite Marktlogik, in Reinform vertreten durch Friedrich von Hayek und mittlerweile weitestgehend Allgemeingut der Wirtschaftslehre, geht noch weiter. Der Markt selbst wird zum Zweck und „paternalistischen Gott“ (Seele und Zapf), der nicht wie, sondern durch eine unsichtbare Hand die Menschen lenkt.

Für Smith ist der Markt nur ein Instrument des Austauschs, das zum Nutzen der Menschen die besten Ergebnisse erzielt und daher allzeit vertrauenswürdig ist. Während bei Smith also die Menschen dem Markt das Leben einhauchen, ist es für Hayek umgekehrt: Die über dem menschlichen Bewusstsein stehende („supraconscious“) Überstruktur des Marktes bedingt das Handeln des Menschen. Der Markt ist größer als der Mensch geworden.

Seele und Zapf haben das Verhängnis der Vergötzung des Marktes durch Anhänger und Feinde natürlich nicht als erste erkannt. "Wir tun so, als wäre der Markt ein lebendiges Wesen mit Gefühlen, Ängsten und Krankheiten, obwohl wir alle wissen, dass der Markt tot ist", sagte der Ökonomen-Renegat Tomáš Sedláček einmal in einem Interview. Für Seele und Zapf ist „selbst ein toter Markt noch eine Überhöhung". Denn: "Er war … noch nie lebendig".

Diese Position bestimmt denn auch die dritte, von Zapf und Seele vertretene, aufklärerische Logik der Marktbetrachtung: Es gibt keine unsichtbare Hand des Marktes, sondern nur die sichtbaren Hände der Transaktionspartner, die sich auf eine gemeinsame Kulturtechnik des Güteraustauschs verständigt haben.

Die Schlussfolgerung von Seele und Zapf ist eigentlich banal, aber angesichts der Wirtschaftswirklichkeit muss sie laut verkündet werden: Der Markt als menschengemachtes Konstrukt kann keine eigene Moral liefern. Der Markt sei „trotz seiner verschiedensten begrifflichen Aufladungen immer eine technische Struktur, die aus sich selbst heraus weder gut noch böse ist.“ Darum tragen die Akteure selbst alle Verantwortung für ihr Handeln – und sollten auch die Risiken tragen.

Niemand kann sich auf ein Naturgesetz der Wirtschaft berufen, um politische Entscheidungen zu begründen. Denn es gibt keins. Was es gibt, sind historisch entstandene, auf Übereinkünften der Akteure beruhende Regeln. Diese sind begründungsbedürftig, kritisier- und veränderbar wie alle Menschenwerke.  

Erst wenn klar ist, dass die unsichtbare Hand, also der Markt als unhinterfragbare Quasi-Gottheit oder Naturgesetz nicht existiert, wird deutlich, dass der Markt weder absoluter Heilsbringer noch Übeltäter ist. Entkleidet man den Markt von all den Schleiern, die ihm sprachmächtige Ökonomen und nicht zuletzt interessengeleitete Marktteilnehmer selbst überwarfen, dann kann man ihn als das schätzen und gegen seine Kritiker verteidigen, was er ist: eine kluge, vernünftige Einrichtung zur Steigerung ökonomischer Effizienz in bürgerlichen Gesellschaften.  

Diese Aufklärung, diese Entzauberung des Marktes als veränderbares Menschenwerk können nur die Marktakteure selbst leisten. Das ist die ökonomische Reformation, die den marktvergötternden Gesellschaften der Gegenwart aufgegeben ist, wenn sie sich nicht zu Knechten ihrer eigenen Schöpfung machen wollen. Sie waren vermutlich schon einmal weiter fortgeschritten mit dieser Aufgabe als derzeit.

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