Veronika Grimm ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Frau Grimm, Ampel oder Jamaika?
Hauptsache gute Wirtschaftspolitik!
Und wie sähe die aus?
Ich wünsche mir ein Regierungsprogramm, das die großen Nachhaltigkeitsfragen unserer Zeit adressiert: also wirksamen Klimaschutz, der die Innovationskraft unserer Wirtschaft nutzt, zukunftsfähige Jobs und Wertschöpfung bringt und den sozialen Ausgleich bewahrt. Eine Bildungspolitik, die deutlich mehr Chancengerechtigkeit schafft. Und eine kluge Antwort auf unsere alternde Gesellschaft: die Rente ist nicht mehr sicher, wenn alles bleibt, wie es ist.
Was davon müsste in einem 100-Tage-Programm sofort umgesetzt werden?
Meines Erachtens geht es weniger um plakativen Aktionismus, als um tragfähige Lösungen.
Was würde das beim Thema Klimaschutz konkret heißen?
Dass wir das Problem nicht mit dem Ausschütten des staatlichen Füllhorns versuchen zu lösen, sondern mit den richtigen Leitplanken. Das heißt: klarer Fokus auf den Emissionshandel als zentrales Steuerungsinstrument, der dann perspektivisch in einen europäischen Zertifikatehandel überführt wird. Und eine deutliche Beschleunigung des Infrastrukturausbaus. Alle weiteren Maßnahmen müssen sich daraus ergeben. Für ein solchen Vorgehen ist vor allem eine Menge politisches Kapital nötig.
Verstehen wir Sie richtig: Subventionen werden die grüne Transformation nicht beschleunigen?
Zuallererst geht es um Weichenstellungen, die allen betroffenen Branchen und auch den Kapitalmärkten möglichst große Klarheit über den politischen Pfad zu geben. Wenn diese regulatorische Sicherheit auch für Investoren vorhanden ist, wird sehr viel angestoßen werden.
Welche Auswirkung kann die aktuelle Diskussion über hohe Energiepreise auf die Energiewende haben? Gerade steigen die Preise für Öl und Gas rapide. Kann das dafür sorgen, dass die Energiewende bei den Bürgern zunehmend auf Widerstand trifft?
Nun haben die jüngsten Bewegungen auch andere Gründe als die Energiewende, aber: Klimaschutz wird teuer. Das wollte im Wahlkampf niemand laut sagen. Umso wichtiger ist es, dafür zu sorgen, dass die Transformation sozial gerecht abläuft. Möglich ist es.
Was wäre in Bezug auf die Energiepreise denn die wichtigste Aufgabe der neuen Bundesregierung?
Dafür zu sorgen, dass der absehbaren Belastung durch den CO2-Preis beim Heizen oder Tanken auch eine Entlastung gegenübersteht. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel können dafür genutzt werden, die EEG-Zulage abzuschaffen und die Stromsteuer massiv zu senken. Das hilft allen Haushalten. Und nebenbei wäre das Ende des EEG ein Anreiz, wegen der günstigeren Strompreise mehr Prozesse zu elektrifizieren und ein spürbarer Bürokratieabbau. Firmen, die immer wieder neu die besondere Ausgleichsregel beantragen müssen, wissen, wovon ich rede.
Sprechen wir noch über die zweite Herausforderung: Demografie. Was muss sich in der Rentenpolitik ändern?
Eine Menge. Denn das Umlageverfahren wird in diesem Jahrzehnt unter Druck geraten. Wir sollten in der Tat die Arbeitszeit an die Lebenserwartung koppeln, wie es viele Experten bereits seit Langem fordern. Aber gleichzeitig müssen wir durch Weiterbildung, Umschulung und mehr betriebliche Flexibilität auch dafür sorgen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter immer weiter nach hinten rücken kann. Da passiert noch zu wenig.
Bei dieser Wahl haben Erst- und Jungwähler bemerkenswert sich auffällig häufig für FDP und Grüne entschieden. Haben Sie die Hoffnung, dass beide Parteien sich zu Anwälten der Nachhaltigkeit machen?
Das hoffe ich sogar sehr. Wenn FDP und Grüne ihre verbindenden Ideen anerkennen und zusammenführen, kann daraus in jeder Regierungskonstellation eine Politik entstehen, die der jungen Generation Chancen eröffnet und erhält. Was mir zum Beispiel sehr gefällt, ist der starke Fokus auf Bildung in beiden Parteien: Gute Kitas und Schulen sind und bleiben die beste Verteilungspolitik.
Mehr zum Thema: Der Verhandlungsexperte René Schumann erklärt, warum SPD und Union in einem Gefangenen-Dilemma feststecken, warum Baerbock und Habeck darin die Rolle der Polizisten zukommt – und was Lindner aus den geplatzten Jamaika-Verhandlungen 2017 gelernt hat.