Wirtschaftsweiser Lars Feld „Einigen Ökonomen täte Demut gut“

Lars Feld ist Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch Rat der Wirtschaftsweisen genannt. Quelle: dpa

Ginge es nach der SPD, wäre Lars Feld nicht mehr lange Chef der Wirtschaftsweisen. Der ordoliberale Ökonom warnt vor hysterischen Attacken auf Impfstoffhersteller – und sieht Deutschland frühestens 2024 wieder auf dem alten Wachstumspfad.

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Lars Feld, 54, ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Leiter des dortigen Walter-Eucken-Instituts. Seit 2011 ist er Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, seit März 2020 dessen Vorsitzender. Derzeit streiten sich das Wirtschafts- und das Finanzministerium über seine Ende Februar anstehende Amtsverlängerung. Die SPD möchte den ordoliberalen Ökonomen und Verteidiger der Schuldenbremse gern loswerden und durch einen Keynesianer ersetzen.

WirtschtschaftsWoche: Herr Feld, die nur schleppend anlaufenden Impfungen in Deutschland haben das öffentliche und politische Klima in Deutschland aufgeheizt. Belasten die Impfprobleme am Ende auch die Konjunktur?
Lars Feld: Ein Stück weit schon, Wirtschaft ist ja immer auch Psychologie und hat viel mit Zukunftsvertrauen zu tun. Ich warne gleichwohl vor allzu schrillen Tönen in der Corona-Debatte. Einigen Ökonomenkollegen, die derzeit über die sozialen Netzwerke massiv Stimmung gegen die Politik und die Pharmabranche machen, täte ein bisschen Demut gut. Dass Unternehmen innerhalb nur eines Jahres so viel Impfstoff produzieren, ist allen logistischen Problemen zum Trotz eine außergewöhnliche Leistung. Vor einem Dreivierteljahr noch haben mir Pharmaexperten gesagt, dass es bis zu zwei Jahre dauern könne, bis ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht.   

Schließen Sie einen erneuten Absturz der Wirtschaft aus?
Im vierten Quartal 2020 hat es beim Wachstum noch zu einer schwarzen Null gereicht. Im ersten Quartal wird es zwar deutlicher nach unten gehen, dafür aber ist schon im zweiten Quartal ein starker Rebound-Effekt möglich, ähnlich dem im vergangenen Sommer. Die deutsche Industrie läuft weiterhin gut, auch wenn es am aktuellen Rand wegen Lieferengpässen ein bisschen hakt. Wir könnten daher trotz der aktuellen Impfprobleme beim Wachstum 2021 eine Drei vor dem Komma schaffen. Ihr Vorkrisenniveau wird die deutsche Wirtschaft dann wahrscheinlich Mitte 2022 erreichen. Allerdings sind wir damit noch lange nicht zurück auf unserem alten Wachstumspfad – das dürfte noch bis mindestens 2024 dauern.

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Und wenn die Infektionslage eskaliert – etwa weil sich Virusmutationen ausbreiten?
Das wäre fatal. Das aktuell größte Risiko für die Konjunktur sind mögliche Grenzschließungen bei einer Eskalation der Infektionslage. Diese hängen wie ein Damoklesschwert über der Wirtschaft und müssen unbedingt vermieden werden. Grenzschließungen und erneut unterbrochene Lieferketten würden die Industrie empfindlich treffen, dann wären alle bisherigen Konjunkturprognosen hinfällig.

Blicken wir auf die Nach-Corona-Ära. Einige Wissenschaftler sehen die Krise als einen Katalysator für Technologiesprünge und halten bereits eine Wiederauflage der „Golden Zwanzigerjahre“ für möglich. Teilen Sie diese Hoffnung?  
Ich finde es ja gut, wenn auch Ökonomen Visionen haben, aber ich halte es da lieber mit Altkanzler Helmut Schmidt…

..der einst befand: „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen“…
…und würde die Kirche im Dorf lassen. Es stimmt: Die Ausgangslage für die Zeit direkt nach der Krise ist günstig. Es gibt einen enormen Nachholeffekt beim Konsum und teilweise bei den Investitionen, der zu einem kräftigen Wachstumsschub führen dürfte. In der Industrie hat die Krise die inneren Strukturveränderungen beschleunigt, etwa bei der Digitalisierung und der Reform der Wertschöpfungsketten – frei nach dem alten Sprichwort: „Never waste a good crisis“. Viele Unternehmen sind resilienter geworden, haben sich diversifiziert und die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten verringert. Und es gibt einen Bereich, in dem die aktuelle Krise tatsächlich wie ein Katalysator für Technologie- und Fortschrittssprünge wirken könnte: der Pharmasektor. Aber ich bin trotzdem skeptisch, dieses Jahrzehnt in ein goldenes Zeitalter umzudeuten. Die politischen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und grundlegende Strukturprobleme wie die Demografie haben sich ja nicht verbessert.

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Dann mal anders gefragt: Es gibt in der Ökonomie seit Jahren eine Debatte, ob wir uns in einem neuen Kondratieff-Konjunkturzyklus befinden, befeuert zum Beispiel durch IT-Sektor und Gesundheitsökonomie. Ist da was dran?
Ach je, der gute alte Kondratieff! Der ist doch widerlegt, es gibt diese regelmäßigen langen Zyklen nicht. Jeder Zyklus ist anders. Wir bleiben langfristig im Trend abnehmender Produktivitätszuwächse, da zeigt sich keine größere Veränderung.

Die letzte Pandemie vor Corona war die Spanische Grippe 1918 bis 1920. Lässt sich diese Krise ökonomisch mit der heutigen vergleichen?
Nur zum Teil. Die Spanische Grippe hatte massive wirtschaftliche Auswirkungen, da vor allem jüngere Menschen und Erwerbsfähige betroffen waren und viele von ihnen starben. Dies führte ökonomisch gesehen zu einem massiven Verlust an Humankapital, der sehr lange nachwirkte. Das ist in dieser Pandemie nicht so. Die schweren Verläufe, die zum Tod führen, treffen ja überwiegend alte Menschen.    

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Wie konnte es damals trotzdem zu dem starken Aufschwung kommen? 
Da hat in Deutschland natürlich die Währungsreform 1924 eine entscheidende Rolle gespielt. Ihr folgte eine starke Modernisierung durch technologischen Fortschritt. Man muss aber vorsichtig sein, die kurzfristigen konjunkturellen Effekte in den 1920er Jahren mit den längerfristigen Struktureffekten zu vermischen. Deutschlands Boom von damals war ein kurzfristiges Feuerwerk, angefacht durch eine mit amerikanischem Kapital angefachte Kreditexpansion. Langfristig, das sieht man vor allem in den USA, aber auch in der Schweiz, hatte die Spanische Grippe spürbare negative Effekte auf das Wachstumspotenzial.

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