Wissenslücken bei digitalen Themen „Deutschland kann sich Informatik als Nischenfach nicht leisten“

Die Digitalwirtschaft beklagt massive Defizite bei der digitalen Bildung – es fehle an nötigen Investitionen. Doch die GroKo-Parteien sind uneins.

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Die Digitalwirtschaft kritisiert: „Die digitale und ökonomische Bildung bewegt sich auf einem Niveau, das den Ansprüchen Deutschlands als führende Technologienation nicht im Ansatz gerecht wird.“ Quelle: dpa

Berlin Alle reden von Digitalisierung, doch in den Schulen, wo der Grundstein für die Vermittlung digitaler Kompetenzen gelegt werden soll, ist die Lage alles andere als zufriedenstellend. „Die digitale und ökonomische Bildung bewegt sich auf einem Niveau, das den Ansprüchen Deutschlands als führende Technologienation nicht im Ansatz gerecht wird“, sagt der Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft, Matthias Wahl, im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Hier müssen wir schon jetzt eine Menge aufholen, um Bildung als Fundament einer erfolgreichen Volkswirtschaft mit der nötigen Priorität zu versehen.“

Die Erwartung des Verbands an die künftige Regierung, dafür jetzt die Weichen zu stellen, könnte daher größer nicht sein. Doch was bisher aus den Koalitionsverhandlungen nach außen gedrungen ist, klingt für Wahl eher nach einem „Weiter-so“. Zwar klingt die von Union und SPD geplante Investitionsoffensive für Schulen vielversprechend. Doch bei der Frage der Finanzierung enden bereits die Gemeinsamkeiten einer möglichen neuen GroKo.

SPD-Bildungspolitiker Hubertus Heil freute sich, dass das Kooperationsverbot nun aufgehoben werden soll: Der Bund könne künftig gezielt in Schulen investieren, etwa in den Ausbau von Ganztagsschulen und digitale Bildung. Doch Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle, der für die CSU für die Themen Bildung und Forschung mit am Koalitions-Verhandlungstisch sitzt, stellt umgehend klar: „Schule bleibt in der Zuständigkeit der Länder, das ist nicht einen Millimeter verhandelbar.“ Sämtliche Inhalte blieben Ländersache.

Das ärgert Digitalverbandschef Wahl. Er hält das Kooperationsverbot für „absolut kontraproduktiv“ und fordert, es in der laufenden Legislaturperiode „endlich zu beerdigen“. Denn aus seiner Sicht schützt die Regelung nicht die Kulturhoheit einzelner Länder, sondern die „schädigt das gesamte Bildungssystem der Bundesrepublik“.

Mit dem Begriff Kooperationsverbot bezeichnet man die Trennung von Bund- und Länderkompetenzen im Bereich der Bildung. Das Verbot wurde 2006 im Grundgesetz verankert. Da Bildung eigentlich Ländersache ist, durfte der Bund seither nur in Ausnahmefällen Fördergelder bereitstellen, etwa für Forschungseinrichtungen wie die Max-Planck-Gesellschaft. 2014 und 2017 wurde das Verbot gelockert. Der Bund kann nun auch langfristig Hochschulen unterstützen und Kommunen dabei helfen, marode Schulen zu sanieren.

In einem dem Handelsblatt vorliegenden, noch unveröffentlichten Positionspapier trommelt der BVDW nun dafür, dem Bund künftig zu erlauben, Schulen dauerhaft mit Geld zu unterstützen. „Da die Digitalisierung der Schule erhebliche Investitionen erfordert, wird dafür eine konzertierte Aktion benötigt, bei der der Bund und die Länder ausreichende Mittel zur Verfügung stellen, um die digitale Ausstattung finanzieren zu können“, heißt es in dem Papier. Konkret sieht der Verband die künftige Regierung in der Pflicht, „das Kooperationsverbot aufzulösen, um bessere Bildung durch mehr Kooperation von Bund und Ländern möglich zu machen“.

Bereits 2016 hatte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) einen „Digitalpakt“ mit fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung an den Schulen angekündigt, der bisher allerdings nicht umgesetzt ist. Mit dem Geld sollten über fünf Jahre die rund 40.000 Grund-, weiterführenden und Berufsschulen mit Breitband, Wlan und Computern versorgt werden sollen. Aus den Koalitionsverhandlungen verlautete zuletzt, dass Union und SPD den Digitalpakt nun umsetzen wollen. Dafür sollen in der laufenden Legislaturperiode voraussichtlich 3,5 Milliarden Euro fließen. Die Summe soll dem Vernehmen nach bis zum Ende der Wahlperiode reichen.

Mehr und vor allem bessere digitale Bildung ist auch das, was viele Deutsche wollen, wie eine Studie des Münchner Ifo-Instituts zeigt, die im Herbst 2017 veröffentlicht wurde. Danach sehen viele bei der Digitalisierung an Schulen Nachholbedarf. 80 Prozent der von Kantar Public Deutschland (zuvor TNS Infratest Sozialforschung) 4.078 befragten Personen sind dafür, dass der Bund alle Schulen mit Computern, Wlan und Breitband-Zugang ausstattet. 67 Prozent befürworten einen vom Bund bezahlten Computer für jeden Schüler einer weiterführenden Schule, so das ifo-Bildungsbarometer.

Welche Folgen mangelnde Ausstattung haben kann, hatte vor einigen Jahren die internationale Vergleichsstudie ICILS gezeigt. Die Bildungsforscher gingen unter anderem der Frage nach, warum Schüler in Deutschland mit ihren Computerkenntnissen nur im Mittelfeld liegen. Das Ergebnis: Die schlechte Ausstattung der Schulen mit Computern gepaart mit fehlendem Fachwissen vieler Lehrer führte letztlich dazu, dass auch die Schüler weniger fit mit Internet und Computern waren als in anderen Ländern.

Insofern verwundert es nicht, dass laut der Ifo-Studie nunmehr 63 Prozent der Bevölkerung einen Anteil von mindestens 30 Prozent der Unterrichtszeit für das selbstständige Arbeiten am Computer befürworten – 15 Prozentpunkte mehr als noch vor zwei Jahren. Daneben ist mehr als die Hälfte der Deutschen (55 Prozent) dafür, bereits in Grundschulen Digital- und Medienkompetenzen zu vermitteln. Ab den weiterführenden Schulen sprechen sich sogar rund 90 Prozent der Befragten dafür aus.

Aus Sicht des Digitalverbands BVDW „muss die Arbeit mit Computern zum Regelfall werden und nicht – wie bislang – Ausnahme bleiben“, wie es in dem Positionspapier heißt. „Schon Schülerinnen und Schüler müssen lernen, dass digitale Technologie nicht nur zum Chatten und Spielen genutzt werden kann.“

Zudem fordern die Experten, dass eine „Grundausbildung in Computerkenntnissen“ für alle Schüler „verpflichtend“ werden müsse. „Deutschland kann es sich nicht mehr leisten, dass an den Schulen Informatik ein Nischenfach für wenige ist“, schreibt der Verband in seinem Papier. Außerdem müsse es „selbstverständlich“ werden, dass Lehrkräften Dienstrechner, Lehr- und Lernsoftware zur Verfügung stehen.

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