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Im Wirtschaftsministerium in Bonn begann am 01.06.1967 die Zweite Runde der Konzertierten Aktion. Quelle: dpa

Die Konzertierte Aktion und ihre Folgen

Vor wenigen Wochen berief Bundeskanzler Olaf Scholz eine Konzertierte Aktion ein. 1967 wurde diese erstmals von Karl Schiller ins Leben gerufen. Ein Rückblick auf die Folgen dieser Zusammenkunft.

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Kaum jemand erinnert sich noch an ihn, aber Alex Möller war der erste sozialdemokratische Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland, ein Amt, das er von 1969 bis zu seinem Rücktritt 1971 bekleidete. Im Mai 1971 warf er das Handtuch; die hohen Ausgabenforderungen der anderen Minister des Kabinetts Brandt lehnte er erfolglos ab. Im Gegensatz zu der Mehrzahl seiner sozialdemokratischen Kabinettskollegen war er nicht der Auffassung, der Staat könne sich ohne weiteres deutlich verschulden. Er hing vielmehr der traditionellen Vorstellung der Globalsteuerung an, dass der Staat zwar in der Krise aktiv werden sollte, im Aufschwung aber seine Tätigkeit einschränken müsse, um die zuvor gemachten Schulden wieder abbauen zu können.

Gegenspieler war insbesondere der einflussreiche Kanzleramtschef Horst Ehmke, der die Auffassung vertrat, dass sich gegenwärtige Verschuldung im Wirtschaftsaufschwung, der durch sie ja noch befördert werde, mehr oder weniger automatisch von selbst abbaue. Ehmke und andere führende Sozialdemokraten der Zeit glaubten auf diese Weise ein Mittel zur Durchsetzung weitreichender sozialer Reformen in der Hand zu haben. Für sie war die Staatsverschuldung nicht allein das probate Instrument kontrazyklischer Konjunktursteuerung, sondern das eigentliche Werkzeug, die vermeintlich erstarrte Wiederaufbaugesellschaft grundsätzlich zu modernisieren und damit zugleich den entsprechenden Forderungen ihrer Partei gerecht zu werden, in der die Funktionsfähigkeit der bestehenden Marktwirtschaft gerade unter sozialen Gesichtspunkten grundsätzlich angezweifelt wurde. War es schon nicht möglich, die privatwirtschaftlichen Strukturen grundsätzlich aufzubrechen, so wollten Teile der SPD immerhin die „Belastbarkeit der Wirtschaft“ testen, wie es der SPD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, Jochen Steffen, ausdrückte.

Von Karl Schiller, der 1966 in der Großen Koalition Wirtschaftsminister geworden war und nach Möllers Rücktritt als eine Art „Superminister“ auch das Amt des Finanzministers übernahm, ließ sich das „Abgleiten in den Schuldenstaat“ (Hans-Peter Ullmann) jedenfalls nicht verhindern. Er warf ein gutes Jahr später, im Sommer 1972, aus den mehr oder weniger gleichen Gründen wie Alex Möller das Handtuch, nachdem er die Erfahrung gemacht hatte, sich im Kabinett nicht gegen dessen verschuldungsbereite Mehrheit durchsetzen zu können. Eine in seinen Augen unverantwortliche Finanzpolitik, die er anfänglich noch glaubte, verhindern zu können, wollte der Erfinder der deutschen Variante der Globalsteuerung nicht mittragen. Damit war auch das von Schiller maßgeblich entwickelte Konzept der „Konzertierten Aktion“, das bereits zuvor durch die Weigerung der Gewerkschaften, ihre Lohnpolitik entsprechend der Vorgaben zu disziplinieren, einen schweren Schlag erhalten hatte, gescheitert. Weder die Gewerkschaften noch die SPD, die bei den im Herbst 1972 stattfindenden Bundestagswahlen einen glänzenden Sieg errang, waren bereit, sich einer finanzpolitischen Disziplin zu unterwerfen, die dem politischen Zeitgeist und den eigenen Forderungen nicht entsprach. Doch gerade damit hatte Karl Schiller 1967 das Konzept der Konzertierten Aktion begründet, mit der gemeinsamen Verabredung von wirtschafts- und finanzpolitischen Zielkorridoren, durch die der Erfolg der von ihm betriebenen Globalsteuerung erst sichergestellt werden konnte.

Kurz nach Schillers Amtsantritt war das Stabilitätsgesetz verabschiedet worden, das den Staat auf die Verfolgung von vier großen wirtschaftspolitischen Zielen festlegte: Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ausgeglichene Außenhandelsbilanz. Diese als „magisches Viereck“ bezeichnete Zielvorstellung sollte durch eine angemessene staatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik und durch eine hierauf abgestimmte Handlungsweise der großen Akteure, namentlich der Bundesbank, der Arbeitgeber und der Gewerkschaften erreicht werden. Um letzteres durchzusetzen, wurde im Stabilitätsgesetz die Konzertierte Aktion genannt, die erstmals im Frühjahr 1967 zusammentrat. Auf der Basis des von der Bundesregierung vorgelegten Jahreswirtschaftsberichts sollte zukünftig das Verhalten der Marktteilnehmer – namentlich die Lohnpolitik der Gewerkschaften – so koordiniert werden, dass die Ziele der Globalsteuerung erreicht wurden. Karl Schiller war überzeugt, dass vor allem durch seine überragende Expertise eine Disziplinierung des Verhaltens im Sinne einer kontrazyklischen Konjunkturpolitik möglich sein würde, womit er anfangs auch durchaus erfolgreich war.

Während unter der Vorgängerregierung von Ludwig Erhard die Rezession der Jahre 1966/67 eine ungeschickt agierende Regierung rasch als handlungsunfähig demontiert hatte, schien unter Karl Schiller nun wissenschaftlich fundierte Zielstrebigkeit den älteren Schlendrian zu ersetzen. 1968 sprang die Konjunktur an und erreichte bereits 1969 wieder die aus der Zeit des Wirtschaftswunders gekannten Daten, doch lag in diesem Erfolg auch ein wesentlicher Grund des Scheiterns der Konzertierten Aktion. Denn angesichts deutlicher Preissteigerungen und hoher Wachstumsraten war den Gewerkschaftsmitgliedern die lohnpolitische Zurückhaltung ihrer Organisationen kaum mehr zu verkaufen; es kam zu wilden Streiks (unter anderem bei Ford und Hoechst), durch die die Gewerkschaften in eine Legitimationskrise gerieten, die sie geradezu zwang, sich zukünftig nicht mehr in ihren Lohnforderungen an den Vorgaben der Konzertierten Aktion zu orientieren. Damit war der erste Baustein der Globalsteuerung gefallen, der angesichts der sich in den 1970er Jahren beschleunigenden Inflation auch nicht wiederhergestellt werden konnte. Die sich sukzessiv abzeichnende Lohn- Preis-Spirale jedenfalls konnte angesichts von Inflationsquoten, die zeitweilig über sieben Prozent lagen, nicht verhindert werden.

Aber auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung ließ sich angesichts umfangreicher, namentlich sozialpolitischer Maßnahmen, nicht an die Kette der Kontrazyklik legen, wodurch der zweite Pfeiler der Globalsteuerung ins Wanken geriet. Obwohl die Konjunktur brummte, ging 1969 und 1970 die Staatsverschuldung nicht zurück, geschweige denn, dass Schulden getilgt wurden. Schuldenstand und Zinslast stiegen vielmehr kontinuierlich an, und da bis 1975 die Nettoschuldenlast schneller anstieg als der Zinsdienst, konnte der Staat hierdurch in der Tat zusätzliche Handlungsmöglichkeiten schaffen.

Doch spätestens seit der Mitte der Siebzigerjahre lag der laufende Zinsdienst deutlich über der Nettoneuverschuldung; die Verschuldung war zu einer großen Bürde geworden, ohne die staatlichen Spielräume noch zu erweitern. Möller und Schiller hatten davor gewarnt, doch selbst ihre Rücktritte bewirkten wenig.

1971 und 1972 hätte der Staat in der Tat vorsichtiger auftreten können, denn die gute Konjunktur erlaubte eine Zurücknahme zumindest der Verschuldung. Als schließlich 1973 angesichts weiterhin guter Konjunktur eine Überhitzung drohte, griff der Staat erstmal zu kontrazyklischen Mitteln. Zwar wurde nicht die Verschuldung zurückgefahren – hier herrschte weiterhin der Optimismus der sich selbst vertilgenden Schulden – aber es kam zu konjunkturdämpfenden Schritten (Investitionsabgabe), die freilich zeitlich nicht ungünstiger hätten liegen. Denn 1973 kühlte die Konjunktur ohnehin ab und mit den Ölpreiserhöhungen in Folge des Jom-Kippur-Krieges kam es zu einer starken preislichen Belastung von Wirtschaft und Verbrauch, die zusätzlich die Konjunktur ausbremsten.

1974/75 rutschte die Bundesrepublik in eine ernsthafte konjunkturelle Krise; die Millionengrenze in der Arbeitslosigkeit war bald überschritten. Zwar verhinderten die restriktive Geldpolitik der Bundesbank und die Tatsache, dass nach dem Ende des Wechselkursmechanismus von Bretton Woods 1971/73 die D-Mark stark aufwertete, dass die Inflation ähnlich wie in Großbritannien oder Italien regelrecht explodierte und die Zahlungsbilanz ins Ungleichgewicht geriet, aber das Phänomen der Stagflation ging auch an der Bundesrepublik nicht vorbei. Schwaches Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, hohe Inflation und weiterhin wachsende Staatsverschuldung wurden nun zu mehr oder weniger chronischen Begleitern des wirtschaftlichen Strukturwandels. Die goldene Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders war endgültig vorbei und die Globalsteuerung vermochte nichts dagegen zu tun, im Gegenteil verschärfte ihre Handhabung noch die Krisenphänomene.

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Es war sicher nicht allein die fehlerhafte Wirtschafts- und Finanzpolitik der sozialliberalen Zeit, die diese Krisenerscheinungen, die in der ganzen westlichen Welt zu beobachten waren, zu verantworten hatte. Aber die Politik der Konzertierten Aktion hat hierzu gerade durch ihre anfangs vermeintlich positiven Aspekte deutlich beigetragen, da die Regierung im Aufschwung nicht bereit war, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, sondern glaubte, sich aus politischen Gründen weiter verschulden zu können. Dass die Gewerkschaften sich bei inflationären Entwicklungen nicht disziplinieren lassen können, hätte zudem frühzeitig klar sein können, doch war die Aufbruchstimmung in den ersten Jahren der Regierung Brandt/Scheel von einer gewissen Sorglosigkeit geprägt, die von der Hoffnung lebte, das Wirtschaftswachstum dauere schon an und erlaube auch höhere Schuldenstände, ja die so mögliche gesellschaftliche Modernisierung sei geradezu wachstumsfördernd.

Das war eine Illusion, die Möller und Schiller frühzeitig ahnten. Hätte nicht die Bundesbank eine konsequente Politik der Preisstabilität verfolgt, wären auch der Bundesrepublik Inflationsraten von zeitweilig mehr als 20 Prozent kaum erspart geblieben ebenso wie es auch hierzulande schließlich zu einem harten Schnitt gekommen wäre, der sich Ende der Siebzigerjahre mit Thatchers Regierungsantritt in London und der drastischen Zinspolitik Paul Volckers in den USA abzeichnete. Die Gefahren der Konzertierten Aktion scheinen derzeit freilich ebenso vergessen wie die Person Alex Möller.

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