Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie bedienen sich beim Staat

Ob Kita-Ausbau, Ganztagsschule oder Altenpflege – in den Wachstumsfeldern des Sozialstaats spielen die kirchlichen Wohlfahrtsträger Caritas und Diakonie die entscheidenden Rollen. Unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit haben sie ein expansives Perpetuum mobile konstruiert: Sie erfinden sich selbst immer neue Aufgaben, der Staat gibt das Geld.

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Die großen Wohlfahrtsverbände
Mit Kerzen wurde das Wort Caritas geschrieben Quelle: obs
FSJler zeigen das Zeichen der Diakonie Quelle: dpa
Einsatzkräfte des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) während einer Katastrophenübung Quelle: dpa
Ein Altenheim Quelle: dpa
Obdachlose stehen für eine Portion Essen an Quelle: REUTERS
Angehende Rabbiner in einem jüdischen Bildungszentrum Quelle: dpa

Wenn Hans-Georg Liegener neue Märkte erschließt, dann macht er dazu ein verdrießliches Gesicht. Das bereitet vielleicht weniger Freude, als Rohbauten zu taufen oder mit noblen Füllfederhaltern Verträge zu unterzeichnen. Aber so sind nun mal die Regeln des Geschäfts. Wer hier erfolgreich sein will, braucht den Trauerblick.

"Dass viele Menschen heute ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können, macht uns traurig und betroffen", sagt Liegener. Er leitet die Caritas Krefeld, das Sozialunternehmen der katholischen Kirche am Niederrhein. Neben ihm sitzen ein Umweltminister, ein Herr von der Verbraucherzentrale und einer vom Energieversorger. Durch die Energiewende steigen die Preise für Strom, und jeden der vier betrifft das Folgeproblem der steigenden Zahl von säumigen Stromzahlern irgendwie. Den Mann von den Stadtwerken kosten sie Umsätze, der Verbraucherzentrale bescheren sie übervolle Sprechstunden und dem Umweltminister politischen Ärger. Und Herrn Liegener von der Caritas?

Sauber argumentiert

Für den bedeuten sie eine Marktlücke. Denn aus den Problemen der drei anderen Herren ergibt sich, dass sie Geld ausgeben wollen. In diesem Fall sind es 1,5 Millionen Euro in drei Jahren – für Energieberatung.

Was das mit kirchlicher Arbeit zu tun hat? Schwierig, Liegener fabuliert: "Nothilfe ist eines der obersten christlichen Prinzipien." Dogmatisch ist das sauber argumentiert, plausibel ist etwas anderes: Die Energieberatung ermöglicht es der Caritas, neue Stellen zu schaffen. Zunächst sind es sechs ehemalige Langzeitarbeitslose, die anderen Sorgenkindern der Gesellschaft erklären, wie sie wenigstens diese Sorge loswerden.

Es ist nur eine kleine Episode, doch so alltäglich sie ist, verrät sie viel über die Untiefen des deutschen Sozialsystems. "Die Wohlfahrtsverbände sind erfolgreich darin, Krisenphänomene erst zu erfinden, um dann die Leistungen zu ihrer Lösung anzubieten", fasst der Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf zusammen. Der umtriebige Professor hat mit seinem kritischen Buch "Kirchendämmerung" nicht nur viele Kleriker gegen sich aufgebracht, er hat auch lange Zeit selbst Wohlfahrtsorganisationen beraten.

Mehrung des eigenen Einflusses im Vordergrund

Mehr als eine halbe Million Mitarbeiter hat die Caritas in Deutschland, beim evangelischen Pendant, der Diakonie, sind es etwas weniger. Die beiden Sozialkonzerne sind die größten privaten Arbeitgeber in Deutschland, wer vom Sozialstaat spricht, der meint eigentlich die Wohlfahrtsorganisationen. Nicht von langer Hand geplant, sondern aus reiner Gewohnheit hat sich in Deutschland der Modus eingespielt: Wo Wohltaten zu verteilen sind, werden die kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen mit ins Boot geholt. Ob das aber auch zum Wohle einer Gesellschaft ist, in der die Kirche eine immer geringere Rolle spielt, wurde lange nicht hinterfragt.

Zwar sind die Verbände steuerlich dem Gemeinwohl verpflichtet, doch in der Praxis kümmern sie sich zuvorderst um die Mehrung des eigenen Einflusses. Dabei helfen Privilegien, die einst für die innere Organisation der Kirche erdacht waren. Sie müssen keinerlei Unternehmensdaten veröffentlichen, ihre Aufträge erhalten sie in vielen Feldern ohne öffentliche Ausschreibung, und ihren Mitarbeitern ist es untersagt, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Am Dienstag fällt das Bundesarbeitsgericht ein Urteil, das zumindest das Streikverbot kippen könnte. In den kirchlichen Organisationen ist man vor diesem Tag nervös, doch nicht allein wegen des Urteils selbst. Denn es könnte eine ganz andere Diskussion auslösen: Wie gut tun die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Gesellschaft und Staatshaushalt überhaupt?

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