Auch die Lösungen für ihre sozialen Problemfälle suchen die Ruhrkommunen gerne in der ländlichen Idylle. "Ich habe mit der Vorstellung angefangen, ich könnte einfach meine Dienstleistung anbieten, und dann würde ich schon Kunden finden", sagt Mischke, der die Betreuung von Pflegekindern in Familien organisiert. Doch schnell zeigte sich: Er hatte den Businessplan ohne die Oligopolisten gemacht.
Von den wichtigen Tätigkeitsbereichen der Wohlfahrtsverbände ist die Jugendhilfe bis heute das Feld, in dem die bedenkliche Nähe zwischen Staat und Sozialkonzernen besonders offensichtlich ist. Formal gilt hier das Dreiecksverhältnis zwischen Jugendamt, Eltern und Einrichtung. Das Geld für Leistungen wie Erziehungshilfen oder Heimplätze kommt vom Amt, die Eltern wählen den Anbieter, dieser erhält den Auftrag. So weit die Theorie.
In der Praxis aber sitzen die Wohlfahrtsverbände an allen entscheidenden Schalthebeln, um die Mittelvergabe in ihrem Sinne zu regeln. Das beginnt mit einer Sonderregelung für die kommunalen Jugendhilfeausschüsse. Ein Drittel der Ausschusssitze ist den Vertretern der Wohlfahrtsverbände vorenthalten. Neben den kirchlichen Organisationen zählen dazu das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt (AWO), der paritätische Wohlfahrtsverband und ein jüdischer Verband.
Sozialkonzerne haben Vorgriffsrecht auf Leistungen
Welcher Anbieter überhaupt zum Zug kommen, entscheidet das Jugendamt. Auch hier befinden sich die Verbände in einer privilegierten Position. Im nach der gesetzlichen Grundlage "78er-Ausschuss" genannten Gremium stimmen sie ihre Preisvorstellungen ab, die dann dem Jugendamt mitgeteilt werden. Fast immer folgt das ihren Ideen. "Es kann nicht sein, dass die Wohlfahrt auf beiden Seiten der Entscheidung steht", sagt Daniel Zimmer, Vorsitzender der Monopolkommission. "Es ist zu vermuten, dass die Ergebnisse eher im Sinne der Wohlfahrt als des Steuerzahlers ausfallen." In ihrem nächsten Gutachten werde die Kommission sich damit auseinandersetzen, kündigt Zimmer an.
In vielen Städten haben die Sozialkonzerne sogar ein Vorgriffsrecht bei neuen Leistungen. Nur wenn die Verbände sich nicht in der Lage sehen, Leistungen zu erbringen, kommen andere zum Zuge. In manchen Städten bestehen sogar feste Verträge, die eine Vergabe an die bestimmten Wohlfahrtsverbände vorschreiben. Es ist das vermutlich am besten eingespielte Kartell Deutschlands – auf alle Fälle aber das einzige, das gesetzlichen Schutz genießt.
Für kleine gewerbliche Anbieter wie Mischke heißt das: Entweder man lässt sich mit den Wohlfahrern ein, oder man geht auf Konfrontation – doch das geht meist nicht lange gut. Mischke entschied sich zunächst dennoch für Letzteres. "Ich selbst bin ja aus der Diakonie ausgestiegen, weil ich dort mit den Leistungen nicht zufrieden war." Zu viel Bürokratie, wenig individuelle Entscheidungsbefugnisse der Mitarbeiter, das waren seine Gründe.