Wohnungsmarkt Wiener Verhältnisse für alle

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Ein modifizierter Import aus Deutschland

Die Ironie der Geschichte, die Orner den Zuhörern präsentiert: Die österreichische Gemeinnützigkeit sei eigentlich ein modifizierter Import aus Deutschland. Warum es sie im Unterschied zu Deutschland noch gebe? Zwar habe man auch den gemeinnützigen Bauvereinigungen in Österreich in den 90er Jahren vorgeworfen, politische Amtsträger mit Posten auszustatten. Richtige Skandale habe es aber – fast – keine gegeben.

Anders als in Deutschland, wo Anfang der 80er Jahre der Spiegel die Affäre um das DGB-eigene Wohnungsbauunternehmen Neue Heimat aufdeckte: Vorstandsmitglieder hatten Mittel unterschlagen und der Gesellschaft einen Millionenverlust bereitet – das Unternehmen wurde später verkauft. Auch die Trabantensiedlungen der Neuen Heimat gelten heute als Beispiel dafür, welche Fehler im Städtebau besser nicht wiederholt werden sollten.

Die Grünen argumentieren nun, diesmal könne man es besser machen – deshalb „neue“ Wohngemeinnützigkeit. Experten bezweifeln aber, dass das möglich wäre. Ein Grund: Gemeinnützige Wohnungsunternehmen sollen sich nicht daran orientieren, Gewinne zu erwirtschaften, sondern müssten erfüllen, was der Staat ihnen bei Bautätigkeit und Miethöhe vorgibt.

Sie stünden damit außerhalb des regulären Wettbewerbs, schreibt Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln in einer Studie. Zu viel Personal zu beschäftigen sei ebenso ein Problem der Wohnungsgemeinnützigkeit gewesen wie die mangelnde Kostenkontrolle. „Unternehmen, die sich außerhalb des Marktmechanismus bewegen, neigen dazu, ineffizient zu operieren, sprich, zu hohe Kosten zu verursachen“, schreibt Voigtländer.

Dazu stellt sich die Frage, ob die neue Wohngemeinnützigkeit überhaupt etwas daran ändern würde, dass es heute weniger Sozialwohnungen gibt als bis zu den 90er Jahren. Guido Spars, Professor für Ökonomie des Planens und Bauens an der Bergischen Universität Wuppertal, bezweifelt das. Dass Wohnungsunternehmen freiwillig an einem solchen Angebot teilnehmen wollten, werde sich voraussichtlich auf wenige Firmen beschränken, schreibt er in einer Studie: Der Mengeneffekt beim Neubauvolumen „bliebe also zunächst sehr überschaubar“.

Außerdem drohten neue Wohnghettos, schreibt Voigtländer, sollte die Wohngemeinnützigkeit wieder eingeführt werden. Fehlte gemeinnützigen Wohnungsunternehmen das Geld, um Wohnungen zu modernisieren oder auch nur instand zu halten, fänden sie nur noch Mieter, die wegen ihres geringen Einkommens nicht auf andere Wohnungen ausweichen können. „Hierdurch können neue Problemviertel entstehen“, warnt Voigtländer in der Studie.

Die Grünen kennen dieses Argument, auch Chris Kühn, der wohnungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, greift es an diesem Abend bei der Veranstaltung seiner Partei auf. Das gelte aber nur bei schlechter Umsetzung, sagt Kühn, das zeige ja gerade das Beispiel Wien, wo sich eben keine Ghettos gebildet hätten. „Ganz Wien ist ein Ghetto“, scherzt da EBG-Mann Orner. 

Womit er insofern recht hat, dass, anders als in Deutschland, Sozialwohnungen nicht nur an wirklich sozial Schwache vergeben werden. Die Einkommensgrenzen sind so weit gesteckt, dass drei von vier Wienern in einer städtischen Wohnung leben dürften – in Hamburg sind es noch nicht einmal 20 Prozent. Das heißt auch, dass nicht nur Menschen mit geringem Einkommen nebeneinander wohnen: Wien durchmischt sich, und genau das ist gewollt.

Wirtschaftsprofessor Spars empfiehlt daher statt der Wohngemeinnützigkeit andere Maßnahmen: den Wohnungsneubau durch eine Steuerabschreibung zu fördern, aber nur dort, wo Wohnraum besonders knapp ist, und auch nicht für teure Wohnungen. Förderprogramme so zu gestalten, dass längere Belegungsbindungen vereinbart werden – in Schleswig-Holstein seien Sozialwohnungen bereits bis zu 35 Jahre gebunden. Vor allem aber müssten die Kommunen noch viel stärker Bauland ausweisen.

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