




Eines hat Wolfgang Schäuble dem Alt-Kanzler Helmut Kohl deutlich voraus. Während Kohl nur 26 Jahre Mitglied des Bundestages war, kann Schäuble bereits 40 Jahre vorweisen. Mehr schaffte nur das einstige bayerische Urgestein Richard Stücklen, doch auch dessen 41 Jahre wird Schäuble locker schaffen. Denn zur nächsten Bundestagswahl im September 2013 möchte der CDU-Politiker erneut antreten und – wenn es die politische Konstellation erlaubt – weiterhin Bundesfinanzminister bleiben. Der deutsche Normalbürger ist seit fünf Jahren in Rente, doch Schäuble fühlt sich mit seinen 70 Lenzen im Zenit seiner politischen Schaffenskraft. Schäuble, ein Kind des großen europäischen Krieges, möchte Europa aus seiner aktuellen Krise retten und am liebsten weiter in Richtung einer einheitlichen und friedlichen Alten Welt fortentwickeln. Das treibt den Politiker an, 80, 90 100 Stunden in der Woche zu arbeiten, in Berlin, Brüssel, Ende voriger Woche auf Zypern, bald wieder in Brüssel, Paris, Tokio oder Singapur.
Für Schäuble hat sich der Rollstuhl zu einer unvermeidlichen Normalität entwickelt, für ihn mehr noch als für seine Mitbürger, die sich immer wieder fragen, wie ein Mensch solch eine Belastung aushalten kann. Vor zwei Jahren sah es so aus, als sei er körperlich am Ende. Eine Sitzwunde wollte nicht verheilen, er musste Wochen im Krankenhaus verbringen, war zunehmend gereizt und fuhr seinen damaligen Pressesprecher vor laufenden Kameras an. Damals schrieben einige Zeitungen schon das politische Ende von Schäuble herbei.
Eine Freundschaftsbekundung der besonderen Art
Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel stand in dieser Lebenskrise zu ihrem Minister. Sie bat ihn, seine Wunde in Ruhe auszukurieren und nicht ungeduldig wieder zu früh ins Ministerium zu drängen. Später sah sie auch den Film „Ziemlich beste Freunde“ mit ihm zusammen im Kino, ein Freundschaftsbeweis der besonderen Art. Das war nicht immer so. Im Jahr 2000 sprang Merkel ihm nicht zur Seite, als er, damals CDU-Parteichef, sich im Parteispendenskandal verwickelte. Und vier Jahre später rief sie ihn nicht zum bürgerlichen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aus; damals wurde es Horst Köhler, 2010 dann Christian Wulff; mit beiden erlitt die Kanzlerin Schiffbruch.
Schäuble dagegen ist in seinem Amt eine Bank. Minister sein ist für ihn gewiss auch Freude, auch wenn der protestantische Ethos diese nur allzu oft verdeckt. Schäuble füllt sein Amt aus, mit oder ohne Rollstuhl, ob als Innen-, Finanz- oder Kanzleramtsminister, der er einst unter Helmut Kohl gewesen war. Schäuble verhandelte vor gut zwei Jahrzehnten die deutsche Einheit, nun liegt ihm die europäische Einheit am Herzen. Stets kennt er die Aktenlage bestens, analysiert die Lage messerscharf und kämpft für seinen Lösungsansatz.
Keine Freunde bei der FDP
Das einzige, was den heutigen, 70-jährigen Schäuble vom früheren unterscheidet, ist eine Prise mehr Geduld. Selbst Euro-Skeptiker rammt Schäuble nicht gleich in Grund und Boden, sondern er versucht wieder und wieder für seine Argumente, für den ESM und den Euro zu werben. Und natürlich verteidigt der Finanzminister seinen Haushalt – den ersten ausgeglichenen Bundeshaushalt seit über 40 Jahrzehnten vor Augen - gegen Steuersenkungen aller Art, weshalb er sich in der FDP in den vergangenen drei Jahren kaum Freunde gemacht hat. Doch darauf hat Schäuble nie großen Wert gelegt, und für nötig befindet er es jetzt wohl auch nicht mehr. Mehr als Bundesfinanzminister möchte er gar nicht mehr werden. Vielleicht noch Euro-Gruppenchef dazu - und das dann am liebsten bis zur Vollendung der europäischen Wirtschafts- und Finanzunion.