Yascha Mounk „Inklusiver Nationalismus sorgt für Toleranz“

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„Der moderne Staat basiert zwangsläufig auf einem bestimmten Maß an Ausgrenzung“

Aber aus Ihrer Sicht wäre das nicht ausreichend. Sie sprechen sich in ihrem Buch für einen inklusiven Nationalismus aus. Als ich das las, musste ich an den Soziologen Zygmunt Bauman denken, der 1998 vor dem Wiedererstarken nationalistischen und rassistischen Denkens warnte: „Die Chance auf ein menschliches Miteinander hängt allein von den Rechten des Fremden ab, nicht von der Frage, wer – Staat oder Stamm – das Recht habe, darüber zu befinden, wer Fremder sei und wer nicht.“ Ich vermag mir keinen Nationalismus vorzustellen, der nicht auf Ausgrenzung fußt.
Solange wir Grenzen aufrecht erhalten wollen, müssen wir natürlich auf irgendeine Weise bestimmen, wer dazugehört, und wer eben nicht. Insofern basiert der moderne Staat zwangsläufig auf einem bestimmten Maß von Ausgrenzung. Aber der inklusive Nationalismus – der in Europa und den USA in den besten Momenten durchaus schon Realität ist – kann wenigsten innerhalb unseres Landes für Toleranz sorgen: er beharrt darauf, dass weder Religion noch die Hautfarbe darüber bestimmen, ob jemand Teil des politischen Systems und der Gesellschaft ist. Denn jemand der hier lebt, kann Deutscher sein, egal ob er braun oder schwarz, Muslim, Hindu oder Jude ist. Gleichzeitig scheut sich der inklusive Patriotismus nicht davor zu sagen, dass es etwas Besonderes an dem kollektiven Zusammengehörigkeitsgefühl der Nation gibt. 

Das klingt nach Jürgen Habermas’ Verfassungspatriotismus.
Es geht aber darüber hinaus. Die meisten Menschen wissen doch gar nicht, wie sich die deutsche Verfassung von denen in Großbritannien, Frankreich oder den USA unterscheidet. Die kulturellen Besonderheiten ihres eigenen Landes sind ihnen dagegen durchaus bewusst. Übrigens habe ich in all diesen Ländern gelebt und weiß, dass sich die Mentalität, der Alltag, und die Lebensrealität in ihnen durchaus voneinander unterscheiden. Menschen in Frankreich dürfen auf die spezifischen Elemente ihrer Kultur also durchaus stolz sein – und werden die deutsche Kultur deshalb doch nicht zwangsmäßig geringschätzen. 

In Deutschland ist Einwanderung das treibende Thema der AfD. Doch dort, wo Populisten viel stärker sind als hierzulande, ist ein ökonomisches Problem für ihren Erfolg entscheidend.
von Ferdinand Knauß

Trotzdem bleibt die Frage, wie die Gesellschaft dann mit den Fremden umgehen soll, die aus den Krisenregionen dieser Welt zu uns kommen. Welchen Platz haben sie in einer Gesellschaft, in der ein inklusiver Nationalismus herrscht? Bestimmt darüber ein Heimatminister? 
Wir sollten zwischen Dingen unterscheiden, über die wir in einer liberalen Demokratie legitim debattieren können und Dingen, die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung fundamental zuwiderlaufen. Es ist in Ordnung und zum Teil sogar positiv, wenn wir eine kontroverse Debatte führen, wie viel – und was für – Einwanderung wir als Gesellschaft wollen. Die Befürworter der Einwanderung, zu denen ich mich zähle, dürfen abweichende Meinungen nicht per se als illegitim abstempeln. Wenn aber Menschen, die in Deutschland leben und zum Teil sogar Staatsbürger sind, abgesprochen wird, dass sie echte Deutsche sind, nur weil sie eine andere ethnische Herkunft oder Religion haben, dann verstößt dies tatsächlich gegen die grundsätzlichen Werte einer liberalen Demokratie. 

Was für eine Einwanderung befürworten Sie?
Ich halte das kanadische Modell für sehr sinnvoll. Die besten Indikatoren, ob sich ein Mensch leicht integrieren wird, sind nicht Hautfarbe, Herkunftsland oder Religion sondern Bildung und Sprachkompetenz. Deutschland hat bisher kaum versucht, besonders begabte oder qualifizierte Menschen ins Land zu locken. Wir müssen aktiv um Studenten und Fachleute werben.

Also Einwanderung nur für Leistungsträger, die unsere Wirtschaft ankurbeln?
Nicht nur. Übrigens gibt es viele Gründe dafür, hochqualifizierte Einwanderer anzulocken, die nichts mit Wirtschaft zu tun haben. Denn diese würden auch zu einem positiveren Bild der multiethnischen Gesellschaft beitragen, und so viel für ein tolerantes Miteinander tun. Übrigens gibt es durchaus Beispiele für Regionen, in denen der schwierige Prozess der Verwandlung von einer monoethnischen zu einer multiethnischen Gesellschaft gut gelungen ist. In Kalifornien etwa gab es in den neunziger Jahren einen riesigen Backlash gegen die Einwanderung. Heute ist der Bundesstaat einer der lebenswertesten und tolerantesten in den ganzen USA.  

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