Zahlen und Fakten So sieht es auf dem Arbeitsmarkt für Flüchtlinge aus

Deutschlands Wirtschaft steht hinter der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Doch laut einer Umfrage beschäftigen derzeit nur sieben Prozent der Unternehmen Asylsuchende. Und auch über die richtigen Gesetze gibt es Streit.

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Der künftige Auszubildende Ayanie Osman Hosh aus Somalia in einem Minibagger: Viel geplant, viel zu tun. Quelle: dpa

München Das Handwerk gibt sich selbstbewusst: „Die Zukunft ist unsere Baustelle“ hat der Zentralverband als Motto über die diesjährige Handwerksmesse in München gestellt. Eine der größten Baustellen für die deutsche Wirtschaft ist derzeit aber, anerkannten Flüchtlingen auch eine Zukunft in Deutschland zu geben. Milliardenkosten für die Sozialkassen und eine weitere Polarisierung der Gesellschaft, die am Ende nur den Rechtspopulisten nützt, lassen sich nur verhindern, wenn aus Fremden rasch Kollegen in den Betrieben werden.

Die Regierung wird nicht müde, das Engagement der Unternehmen zu loben. Angela Merkel weiß die Wirtschaft hinter sich, wenn sie an diesem Freitag auf der Handwerksmesse die Spitzen der Verbände BDA, BDI, DIHK und ZDH trifft. Sie stehen hinter dem Kurs der CDU-Chefin, eine europäische Lösung der Flüchtlingsproblematik zu lösen. Auch für offene Grenzen haben sie sich mehrfach vehement stark gemacht.

Die Maßnahmen der Unternehmen sind vielfältig – es gibt jedoch noch viel zu tun:

  • So haben die

    Industrie- und Handelskammern

    am Donnerstag ihr bundesweites Aktionsprogramm „Ankommen in Deutschland“ gestartet. Jede einzelne Kammer werde aktiv bei der

    Beratung von Unternehmen sowie bei der beruflichen Orientierung und Ausbildungsvermittlung von Flüchtlingen

    , kündigte DIHK-Präsident Eric Schweitzer an. Angesichts der schieren Zahl der Flüchtlinge sei die Integrationsaufgabe zwar „Neuland“ für alle Beteiligten, erklärte Schweitzer, aber sie sei zu stemmen.
  • Der Zentralverband des Deutschen Handwerks will gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) und dem Bildungsministerium

    10.000 jugendliche Flüchtlinge gezielt an eine Ausbildung im Handwerk

    heranführen. Bisher nehmen sich die Erfolge allerdings noch bescheiden aus. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht davon aus, dass im ersten Jahr nach Ankunft in

    Deutschland nicht einmal jeder zehnte Asylbewerber einen Job

    findet

    .
  • Laut einer Umfrage des Münchener Ifo-Instituts unter mehr als 1000 Personalleitern beschäftigen derzeit

    nur sieben Prozent der deutschen Unternehmen Flüchtlinge oder haben das in den zurückliegenden zwei Jahren getan

    . Etwas besser sieht es bei den großen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern aus. Dort liegt die Quote bei zehn Prozent.


Im Gastgewerbe kommen die meisten unter

  • Vor allem das

    Gastgewerbe bietet Neuankömmlingen der Umfrage zufolge eine erste berufliche Heimat

    : 28 Prozent der Unternehmen der Branche tun sich als Arbeitgeber für Flüchtlinge hervor. Damit scheinen sich Befunde zu bestätigen, dass angesichts von Sprach- und Qualifikationsdefiziten anfangs vor allem Helfertätigkeiten in Frage kommen.
  • Eher mager fällt die Bilanz derzeit auch noch bei den Konzernen aus. Zwar haben

    36 Großunternehmen wie Siemens, Volkswagen, Henkel, DHL, Telekom oder RWE erst vor wenigen Tagen ihre Initiative „Wir zusammen“ gestartet

    . Hier geht es aber bisher vor allem um Praktikumsplätze, Mentor-Programme oder Sportangebote – und weniger um konkrete Jobs. Nach einer Umfrage von „Report Mainz“ haben bisher nur Beiersdorf und das Wohnungsunternehmen Vonovia Flüchtlinge eingestellt.
  • In der Ifo-Umfrage gibt aber immerhin gut

    jeder dritte Personalleiter an, Flüchtlingen in diesem oder im kommenden Jahr eine Chance geben zu wollen

    . Als

    größte Hindernisse

    , die dem noch im Weg stehen könnten, nennen die Befragten

    fehlende Deutschkenntnisse der Bewerber, komplizierte rechtliche Rahmenbedingungen und mangelnde fachliche Qualifikationen von Flüchtlingen.

  • Als zusätzliche Hürde könnte noch hinzukommen, dass angesichts des unsicheren wirtschaftliche Umfelds

    die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen insgesamt sinkt

    . So ist das Ifo-Beschäftigungsbarometer, das die Münchener Konjunkturforscher exklusiv für das Handelsblatt berechnen, im Februar auf 108,0 Zähler gesunken, nach 109,7 Punkten im Vormonat. Während die Zurückhaltung in der Industrie und am Bau schon länger zu beobachten ist, macht sie sich nun auch bei den Dienstleistern bemerkbar. Hier ist das Barometer so stark gesunken wie zuletzt vor drei Jahren. Gerade die Servicejobs sind aber für Flüchtlinge in der Regel eher geeignet als hochspezialisierte Industriearbeitsplätze.


Der Streit um die richtigen Gesetze

Weil es also ohnehin schwer genug werden wird, Flüchtlinge unterzubringen, erhofft sich die Wirtschaft zumindest weitere Erleichterungen. Die von Ifo befragten Personalchefs klagten zum Teil über „völlig unakzeptable gesetzliche Rahmenbedingungen“. So wird etwa die Vorrangprüfung als viel zu bürokratisch angesehen. Nach geltendem Recht müssen die Behörden bei Asylbewerbern, die sich für eine Stelle interessieren, in den ersten 15 Monaten prüfen, ob sich für den Job nicht auch ein deutscher oder EU-Bewerber findet.

Bei Peter Altmaier (CDU), dem Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, stoßen die Unternehmen dabei durchaus auf offene Ohren. „Wir werden noch in diesem Halbjahr im Kabinett ein Integrationsprogramm der Bundesregierung verabschieden“, kündigte er am Donnerstag beim Start des DIHK-Aktionsprogramms an.

Dabei deutete der Kanzleramtschef auch an, wohin die Reise gehen könnte. Weil es gerade im ländlichen Bereich viele offene Stellen gebe, die Flüchtlinge aber lieber in die Großstädte zögen, müsse man über eine Residenzpflicht nachdenken. Auch über die Vorrangprüfung werde zu reden sein. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist durchaus bereit, sie fallen zu lassen.

Allerdings sorgen sich einige Innenpolitiker in der Koalition, dass eine zu weitgehende Öffnung des Arbeitsmarkts als „Pull-Faktor“ dient – sprich: noch weitere Flüchtlinge erst nach Deutschland locken könnte. Sie würden deshalb ungern an der Vorrangprüfung rütteln. Auch die Forderung der Wirtschaft, jungen Flüchtlingen gleich für die gesamte Zeit einer Ausbildung und zwei Jahre danach ein Bleiberecht zu garantieren, sehen die Innenexperten skeptisch. Sie würden lieber an der bestehenden Regelung festhalten, die Duldung jeweils für ein Jahr zu erteilen und dann zu verlängern.

So werde ein Anreiz gesetzt, sich auch anzustrengen und eine Ausbildung tatsächlich zu Ende zu führen, sagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU). Auch Altmaier stellte sich – als CDU-Politiker, nicht als Kanzleramtschef – hinter ein vom CDU-Vorstand Mitte Februar verabschiedetes Konzept des „Förderns und Forderns“. Demnach sollen anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber etwa nach drei Jahren nicht mehr automatisch ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erhalten, sondern nur, wenn sie ausreichend Deutsch sprechen und ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können.

Das aber wird nur funktionieren, wenn sie auch eine Arbeit finden. Die Regierung werde die Arbeitsmarktintegration nach Kräften unterstützen, versprach Altmaier. „Das Einzige, was begrenzt ist, ist Geld“, sagte er. Auch da ist das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen. Die Haushaltsverhandlungen für 2017 laufen noch.

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