Zerstörungen, Vertreibungen, Morde Warum der Westen in Myanmar nur zuschaut

Myanmars Sicherheitskräfte haben in wenigen Wochen mehr als eine halbe Million Menschen vertrieben. Doch der Westen schreckt vor Sanktionen zurück.

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Der Westen will seine Beziehungen zum rohstoffreichen Myanmar nicht belasten. Quelle: Reuters

Bangkok An Beweisen zur Gewalt in Myanmar fehlt es nicht: „Alle Zeugenberichte weisen darauf hin, dass den Menschen aus kurzer Entfernung in den Rücken geschossen wurde, als sie in Panik flohen“, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen. Satellitenbilder der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigen hunderte niedergebrannte Dörfer. „Myanmars Armee mordete, vergewaltigte und beging andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagt der Vize-Chef der Organisation, Phil Robertson.

Doch auch nachdem mehr als eine halbe Million Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya nach Bangladesch geflohen sind, bleibt der Westen gegenüber den Tätern zurückhaltend. Erst diese Woche rangen sich die EU-Außenminister dazu durch, gegen mehrere Generäle Myanmars Einreisesperren zu verhängen. Unter den Betroffenen ist auch Min Aung Hlaing, der noch im April auf Einladung der Bundesregierung Deutschland besucht hatte.

Vor Wirtschaftssanktionen schreckt die EU aber zurück. „Wir behalten uns weitere Maßnahmen vor, wenn sich die Situation nicht verbessert“, teilt der Rat für Auswärtige Angelegenheiten nur mit. Auch die Vereinigten Staaten belassen es vorerst bei Warnungen.

Jahrzehntelang hatten die EU und USA das südostasiatische Land isoliert. Erst nach seinen demokratischen Reformen im Jahr 2011 wurde der Paria-Staat rehabilitiert. Abgesehen von einem weiter bestehenden Waffenembargo stoppte die EU 2013 ihre Sanktionen, die USA beendeten die letzten Strafmaßnahmen gegen rund 50 Personen im Herbst 2016, darunter mehr als ein Dutzend Militärs. Der Westen feierte Myanmars vermeintliche Liberalisierung als Siegeszug der Demokratie – und sah in dem rohstoffreichen Entwicklungsland mit mehr als 50 Millionen Einwohnern einen neuen Wachstumsmarkt.

Die nun von Menschenrechtsorganisationen geforderten Strafen gegen einzelne hohe Militärs könnten eine schwere Belastung für die noch zaghaften Wirtschaftsbeziehungen sein. Ein Großteil der Wirtschaft ist unter Kontrolle der Armee: Sind Geschäfte mit den Generälen verboten, ist der Marktzugang zu dem südostasiatischen Land deutlich erschwert, in vielen Branchen praktisch unmöglich. Besonders im Rohstoffsektor haben zahlreiche Generäle ihre Hände im Spiel.

Beobachter bezweifeln allerdings, dass Strafen überhaupt die gewünschte Wirkung entfalten würden. Eine „Rückkehr zu bilateralen Sanktionen gegen Myanmar in Form von Reisebeschränkungen und dem Einfrieren von Vermögen dürfte nicht zielführend sein“, warnt der Think Thank International Crisis Group. Stattdessen würden Sanktionen nur den künftigen Spielraum für Diplomatie einschränken.


Warum der Einfluss des Westens marginal ist

Tatsächlich dürften vielen Generälen Wirtschaftssanktionen des Westens ziemlich egal sein. Geschäftlich haben sie sich längst anders orientiert: Mehr als die Hälfte der Exporte des Landes geht nach China. Aus der Volksrepublik kam bisher mehr als ein Viertel aller Direktinvestitionen. Der Einfluss des Westens ist marginal: Der Anteil der bisherigen Direktinvestitionen aus den USA und Deutschland beträgt zusammengenommen weniger als ein Prozent.

Im Falle von Sanktionen würde sich Myanmar wohl noch weiter Richtung China orientieren. Dass sich China gegen Myanmars Sicherheitskräfte stellt, gilt als äußerst unwahrscheinlich. In den vergangenen Wochen verteidigte China Myanmars Vorgehen. Kein Wunder: Für die Volksrepublik ist das südostasiatische Land von höchster strategischer Bedeutung.

Myanmar spielt eine zentrale Rolle in Chinas Seidenstraße-Initiative, mit der es seine Handelswege ausbauen will. Ausgerechnet durch die Konfliktregion Rakhine, wo nun die ethnischen Säuberungen stattfinden, haben die Chinesen eine Öl-Pipeline gebaut, eine für Gas ist noch im Bau. Mit ihnen sichert sich China direkten Zugang zum Indischen Ozean, die Pipelines führen zu einem geplanten Tiefseehafen bei Kyaukphyu. An dem rund sieben Milliarden Dollar teuren Großprojekt könnte China laut Medienberichten rund 70 Prozent übernehmen.

Über die Pipelines könnte China rund sechs Prozent seiner Öl- und Gasnachfrage decken. Es wäre so unabhängiger vom Seeweg durch die Straße von Malakka, die als strategische Achillesferse der Volksrepublik gilt. Doch auch die Beziehungen zwischen China und Myanmar sind nicht spannungsfrei. Manche in Myanmar befürchten einen zu großen Einfluss des mächtigen Nachbarn und übervorteilt zu werden.

Die Konflikte in Rakhine sollen da nicht zu einem weiteren Streitpunkt werden. In Myanmar rechnet man das den Chinesen bereits hoch an: Als der nun mit einem Europa-Einreiseverbot belegte Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing kürzlich den chinesischen Top-Diplomaten Sun Guoxiang traf, dankte er ihm schon für dessen Solidarität.

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