Zoff um die Rüstungsindustrie Der Taxonomie-Streit spaltet die Ampelkoalition

Quelle: dpa

Rüstungshersteller befürchten, bei einer EU-Kategorisierung von Wirtschaftsaktivitäten auf einer Negativliste zu landen. Die Debatte um die soziale Taxonomie entzweit die Bundesregierung.

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Nach der Debatte um die ökologische Einordnung der Atom- und Gasenergiewirtschaft bahnt sich in der Ampelkoalition ein Konflikt zwischen Grünen und FDP in der Frage an, wie die Rüstungsindustrie in der künftigen sozialen Taxonomie einzuordnen ist. „Dass die Rüstungsindustrie nach den erweiterten Kriterien der EU-Kommission einen sozialen Nachhaltigkeitsstempel bekommt, ist für mich nicht vorstellbar“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Lisa Paus, gegenüber der WirtschaftsWoche. Rüstungsunternehmen als besonders soziale Finanzanlage anzupreisen, würde ein solches Gütesiegel ad absurdum führen und Anleger und Anlegerinnen vollends verwirren, erklärte die für Wirtschaft und Soziales zuständige Fraktionsvize Paus.

Damit zeichnet sich nach der grünen Taxonomie der nächste Konflikt ab - dieses Mal innerhalb der Bundesregierung. Die FDP opponiert gegen die Vorschläge der Grünen. Der liberale Koalitionspartner hält das Nachhaltigkeitskriterium für die Verteidigungsindustrie für angemessen.

Eine Expertengruppe der EU in Brüssel legt im Februar einen Bericht zur sozialen Taxonomie vor, der Grundlage für eine Gesetzesinitiative der EU-Kommission sein könnte. Waffenproduzenten befürchten, auf eine Negativliste gesetzt zu werden, was ihnen den Zugang zu Kapital erschweren würde. Sie betreiben aktuell Lobbyarbeit, um auf einer Positivliste landen. Ihr Argument: Sie garantieren die Sicherheit in Europa. Die Vorsitzende der Untergruppe Sozialtaxonomie der Expertengruppe, die Deutsche Antje Schneeweiß vom Aktionskreis Kirchlicher Investoren, plädiert für eine neutrale Einstufung.

(Wie sozial ist ein Panzer? Hier erfahren Sie mehr.)

von Rüdiger Kiani-Kreß, Karin Finkenzeller, Cornelius Welp

Für die Wirtschaft sind die Regeln zentral - das zeigt die Debatte um die grüne Taxonomie. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, Atom- und Gaskraft künftig als grüne Energie einzustufen und bat die Mitgliedsstaaten um Stellungnahme. Kurz vor Fristende widersprach die Bundesregierung vor wenigen Tagen den Plänen der EU-Kommission. „Aus Sicht der Bundesregierung ist Atomenergie nicht nachhaltig“, heißt es in dem Schreiben, das die Bundesregierung nach Brüssel schickte. Atomenergie sei teuer, gefährlich und die Endlagerfrage nicht gelöst. Es sei zweifelhaft, ob die Aufnahme von Atomenergie mit den Vorgaben der Taxonomieverordnung vereinbar sei. Erdgas hingegen wolle Berlin als „Brückentechnologie“ erlauben.

Bei der sozialen Taxonomie ist der Prozess noch nicht soweit. Nach der Vorlage des Expertenberichts im Februar wird es noch Jahre dauern, bis neue Regeln Wirkung erzielen könnten. Zunächst muss die EU-Kommission tatsächlich einen Gesetzesvorschlag vorlegen. EU-Mitgliedstaaten und Europäisches Parlament müssten anschließend zustimmen. Aber die Debatte um die soziale Taxonomie hat längst begonnen - und die Rüstungsbranche ist alarmiert. Sie fürchtet, Innovationsprojekte schwerer finanziert zu bekommen.

Die EU-Regeln zur sozialen Taxonomie haben Gewicht. Rund ein Drittel aller weltweiter Geldanlagen werden nach Schätzungen der Analysten von „Bloomberg“ im Jahr 2025 als grün oder sozial vermarktet werden. Ihr Wert dürfte sich auf über 53 Billionen Dollar belaufen.

Im Gegensatz zu den Grünen warnt die FDP daher vor einer pauschalen Einteilung von Verteidigungsgütern als sozial schädlich oder neutral bei der Taxonomie. Die Folge wäre „der massive Entzug von Kapital und potenziell die Demontage europäischer Verteidigungsunternehmen“, sagte der rüstungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Alexander Müller, gegenüber der WirtschaftsWoche. Das würde gerade mit Blick auf die aktuellen russischen Drohungen „wiederum eine enorme Schwächung von Europa zur Folge haben, was mir nicht als sozial nachhaltig einleuchtet“.

Bereits jetzt beklagen viele Rüstungsunternehmen wie der Gewehrhersteller Heckler & Koch, dass Banken oder Versicherungen ihnen die Geschäftsbeziehungen kappen. „Fast alle unsere Mitglieder berichten, dass sie die nötigen Finanzierungen nur schwer oder zunehmend auch gar nicht mehr bekommen“, sagte Armin Papperger, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) und im Hauptberuf Vorstandschef der Düsseldorfer Rheinmetall, der WirtschaftsWoche.

Für die Taxonomie als Teil der Finanzmarktregulierung ist innerhalb der Bundesregierung Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) federführend zuständig. Zur Frage einer Einstufung der Rüstungsindustrie in der Taxonomie teilte das Ministerium auf Anfrage zurückhaltend mit, dass es in der bisherigen (rein ökologischen) Taxonomie keine Kriterien gebe. Eine mögliche soziale Taxonomie werde derzeit auf europäischer Ebene diskutiert.

Soll die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft gelingen, brauchen Banken mehr Freiheiten. Denn wenn sie nur noch taxonomisch korrekte Produkte finanzieren dürfen, drohen Fehlallokationen.

Unterdessen fordert der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) von der Bundesregierung, sich für die Rüstungswirtschaft einzusetzen. Die Regierung müsse in der EU darauf drängen, „dass alles, was unseren Streitkräften und Sicherheitsorganen die Erfüllung ihrer Aufgaben erst ermöglicht, unmissverständlich als Beitrag zur Nachhaltigkeit verankert wird“, sagte BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien der WirtschaftsWoche.

Auch der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Florian Hahn, fordert die Bundesregierung auf, Unternehmen der wehrtechnischen Industrie als „nachhaltig“ zu klassifizieren. Hahn weist auf die Bedeutung der Taxonomie hin, die über eine günstige Finanzierung entscheide. Dies sei gerade in der wehrtechnischen Industrie mit ihren kostenintensiven Entwicklungsvorhaben wichtig.

Mehr zum Thema: Was ist sozial? Die Deutsche Antje Schneeweiß ist Vorsitzende der EU-Expertengruppe zur sozialen Taxonomie. Ihre Vorschläge dürften die Finanzbranche verändern – nachhaltig und womöglich sogar weltweit.

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