Meist sieht sich die SPD auf der Seite der Betriebsräte. Bei einer Branche aber ist das anders: bei der Zeitarbeit. Konkret erfährt das gerade Damienne Cellier. Die Betriebsratschefin des in Deutschland führenden Zeitarbeitsunternehmens Randstad hat der SPD-Chefin und früheren Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in einem Interview mit WirtschaftsWoche Online Anfang Januar den Spiegel vorgehalten. Für das 2017 von Nahles eingeführte Gesetz zur Zeitarbeit bezahlen demnach viele Zeitarbeitskräfte mit Einkommensverlusten und instabileren Lebensverhältnissen. Insbesondere die Verkürzung der Arbeitseinsätze auf maximal 18 Monate hat laut Cellier ungewollte Folgen:
- Die Zeitarbeitsunternehmen beenden zwar nun nach 18 Monaten gesetzeskonform die Einsätze ihrer Mitarbeiter bei den entleihenden Kunden. Viele Zeitarbeiter kehren aber nach drei Monaten zum selben entleihenden Unternehmen zurück. Die vierteljährige Unterbrechung überbrücken sie laut Cellier „mit einem kurzen Einsatz dazwischen oder mit Arbeitslosigkeit“.
- Bei ihrem nächsten Arbeitseinsatz verlieren viele Zeitarbeitskräfte dann sogar bares Geld. Denn ab neun Monaten Arbeitseinsatz haben sie sich eigentlich in Tarifverträgen vereinbarte Branchenboni über sogenannte Equal-Pay-Regelungen erarbeitet. Beim nächsten Einsatz nach der Zwangspause fangen sie, erklärt Cellier, „finanziell wieder unten an. Wenn das eine schlechter bezahlende Branche ist, etwa Logistik, dann sogar weit unten. Das kann regelrechte Einbrüche im Haushaltseinkommen bedeuten“. Mancher kassiert laut Cellier „auf Basis des vorher guten Verdienstes lieber Arbeitslosengeld, weil das höher“ liege als der Verdienst bei einem neuen Zeitarbeits-Einsatz.
- Den von der Politik erwünschten Wechsel vom verleihenden Zweitarbeitsunternehmen in die Stammbelegschaft eines entleihenden Betriebs erreichen, so Cellier, über die Hälfte ihrer Kolleginnen und Kollegen nur zu einem hohen Preis: „Sie werden befristet eingestellt und geben dafür bei den Zeitarbeitsunternehmen unbefristete Arbeitsverhältnisse auf“. Für Cellier ist das „ein schlechter Tausch“.
- Die Zwangsbeglückung durch die Politik kommt auch deshalb bei vielen Zeitarbeitskräften schlecht an, weil sie gar nicht nach anderthalb Jahren aus einem vertrauten Arbeitsumfeld wechseln wollen. Sie haben dann laut Cellier beim nächsten Einsatz „plötzlich neue Kollegen, neue Arbeit, neue Arbeitswege“.
Cellier, seit 2016 Gesamtbetriebsrats- und seit 2008 Betriebsratsvorsitzende der Business Area North bei Randstad, befand: „Das Gesetz war von Frau Nahles gut gemeint, aber schlecht gemacht.“ Die 46-Jährige forderte Nahles in dem Interview vom Neujahrstag auf, als SPD-Fraktionsvorsitzende die Folgen der von ihr forcierten Novelle „zu bewerten und erneut im Bundestag diskutieren zu lassen“.
Auf die Bitte unserer Redaktion an die SPD-Bundestagsfraktion um eine Stellungnahme antwortete nun die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag, Kerstin Tack. Die Parlamentarierin, zuständig für Arbeit und Soziales unter Fraktionschefin Nahles, antwortet freundlich, aber ohne wirkliches Verständnis für die beschriebenen Missstände: „So sehr ich Frau Celliers Position, aus ihrer Funktion als Betriebsratsvorsitzende eines Entleihbetriebes heraus, auch nachvollziehen kann, ist dies nicht die Position der SPD. Ich teile jedoch die geschilderte Kritik, dass Zeit- und Leiharbeiter bei einer Übernahme zum Teil aus einem un- in ein befristetes Arbeitsverhältnis wechseln. Die Antwort darauf ist jedoch nicht die Höchstüberlassungsdauer abzuschaffen, sondern die Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung zu reduzieren. Genau dies hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen auch durchgesetzt. Sachgrundlose Befristungen werden wieder zur Ausnahme und endlose Kettenbefristungen abgeschafft. Hierzu wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in diesem Jahr einen Gesetzesentwurf vorlegen.“
Abgesehen von der falschen Bezeichnung – Randstad entleiht nicht, sondern verleiht Arbeitskräfte – will Tack den Wechsel in die Stammbelegschaften der entleihenden Unternehmen nun also über die Beschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse forcieren. Zu befürchten steht, dass auch das den Zeitarbeitskräften in vielen Fällen nicht hilft, weil der Gesetzgeber den Wechsel einer Zeitarbeitskraft in eine befristete Neuanstellung bei einem anderen Arbeitgeber kaum verhindern kann. Auch wenn Folge-Befristungen per Gesetz erschwert werden, bliebe der Wechsel des Arbeitgebers für viele Zeitarbeiter riskant.
„Schlechten Ruf haben sich Zeitarbeitsunternehmen hart erarbeitet“
Tack legt ihre Motivlage offen: „Ziel der SPD ist immer, prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne zurück zu drängen und das unbefristete sowie ordentlich bezahlte Normalarbeitsverhältnis zu stärken. Deshalb wollen wir Zeit- und Leiharbeit auf ihre Kernfunktion beschränken, nämlich Auftragsspitzen zu bewältigen.“ Der Kampf gilt also der Zeitarbeit an sich. Dabei hat sich seit den Zeitarbeits-Skandalen der Vergangenheit – etwa beim inzwischen historischen Drogerie-Unternehmen Schlecker – die Situation der rund eine Million Beschäftigten in der Branche rechtlich und von den Konditionen her deutlich verbessert.
Cellier kritisiert die Haltung der Politik gegenüber den Beschäftigten: „Zeitarbeitskräfte werden von der Politik wie Opfer gesehen und behandelt. Sie würden aber lieber ernst genommen.“ Unterstützung bekommt die streitbare Randstad-Frau jetzt von Ralf Gundlach, Betriebsrats-Vorsitzender in der Deutschland-Hauptverwaltung des drittgrößten deutschen Zeitarbeitsunternehmens Manpower in Eschborn. Gundlach kritisiert: „Die Betriebsräte von Zeitarbeitsunternehmen werden von der Politik nicht ausreichend ernst genommen. Wir sind aber nicht der verlängerte Arm der Geschäftsführung, sondern gewählte Arbeitnehmervertreter.“ Politiker etwa von den Linken instrumentalisierten die Zeitarbeitsarbeitskräfte, „um selbst Robin Hood zu spielen. Das Vokabular etwa von Sarah Wagenknecht, wenn sie über Zeitarbeitskräfte redet, ist teilweise grenzwertig“.
Gundlach hält wie Cellier das neue Gesetz zur Zeitarbeit „und vor allem die Befristung der Einsatzzeit nicht für zielführend“. Der Wechsel oder die Beendigung eines Einsatzes nach 18 Monaten schwäche sogar die Bereitschaft, sich in den Arbeitnehmervertretungen der Zeitarbeitsunternehmen zu engagieren: „Wer weniger Stabilität hat im Arbeitsumfeld, kandidiert nicht für den Betriebsrat.“
Die Betriebsratschefs der Zeitarbeitsriesen wünschen sich eine differenziertere Debatte. Dabei schauen sie selbst kritisch auf die immer noch vorkommenden Verstöße gegen Arbeitnehmerrechte in der Branche. Gundlach etwa sagt: „Missstände gibt es auch heute noch – teilweise ist es unglaublich, wie manche Zeitarbeitsunternehmen mit ihren Leute umspringen.“ Es komme vor, dass Zeitarbeitskräfte gedrängt würden, sich bei einer Erkrankung nicht krank zu melden, sondern Urlaub zu nehmen. Und manche würden als Helfer bezahlt, obwohl sie als Fachkräfte arbeiten. Mitleid mit der eigenen Branche hat Gundlach nicht: „Einen schlechten Ruf kriegt man nicht umsonst. Den haben sich die Zeitarbeitsunternehmen in der Vergangenheit hart erarbeitet.“
Dennoch konstatiert der Manpower-Mann, „dass die Situation der Zeitarbeitnehmer durch Tarifverträge, Gesetzgebung und Rechtsprechung deutlich besser geworden ist“. Das werde in Politik und Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen: „In den neuen Bundesländern sind die Gehälter in der Zeitarbeit teilweise besser als in den Branchen, wo die Kolleginnen und Kollegen eingesetzt werden. Durch Zeitarbeit kommen Leute wieder in Arbeit, die sonst keine Chance für einen Neuanfang hätten: Langzeitarbeitslose zum Beispiel und/oder Bewerber mit Migrationshintergrund, Ältere oder alles zusammen.“ Auch stimme es längst nicht mehr, dass Zeitarbeitskräfte umgehend den Job verlören, wenn ihr Arbeitgeber sie nicht mehr vermitteln könne. Gundlach: „Die allermeisten Zeitarbeitskräfte, mit ganz wenigen Ausnahmen, sind bei Manpower unbefristet beschäftigt.“ Und in Folge der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht könnten Zeitarbeits-Unternehmen ihren Mitarbeitern erst nach drei Monaten ohne Einsatz betriebsbedingt kündigen.
Mehr Dialog zwischen Politikern und Betroffenen könnte der Debatte über die Zeitarbeit nicht schaden. Einstweilen fühlen sich die Betriebsräte der Branche unverstanden. Cellier sagte in ihrem Interview mit unserer Redaktion, Zeitarbeitskräfte „sollten nicht dadurch Nachteile erleiden, dass die Politik scheinbar arbeitnehmerfreundliche Ziele wie „Stärkung der Stammbelegschaft“ und „Tarifbindung in den Unternehmen“ mit ungeeigneten Maßnahmen erzwingen will“.
Den Dialog über die Begrenzung der Verleihdauer aber durch eine Petition zu erzwingen, dieser Versuch scheint zu scheitern. Bisher haben knapp 20.000 Unterzeichner eine entsprechende Forderung der Randstad-Betriebsräte unterstützt, erfuhr unsere Redaktion vom Petitionsausschuss des Bundestages. Für das Ansetzen einer öffentlichen Diskussion im Petitionsausschuss hätten es 50.000 sein müssen.